Hamburg. Eine Katastrophe erschütterte Hamburg vor 60 Jahren: Bei einer schweren Sturmflut brachen die Deiche. Zeitzeugen erzählen.

Eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes erschütterte Hamburg vor 60 Jahren: In der Nacht von Freitag, 16. Februar, zum Sonnabend, 17. Februar, brachen 1962 bei einer schweren Sturmflut an mehreren Stellen die Deiche. Auch Teile von Ochsenwerder, Billwerder, Allermöhe und Moorfleet wurden überflutet. In Hamburg starben 315 Menschen, die meisten von ihnen im besonders schwer betroffenen Wilhelmsburg. Im Verbreitungsgebiet unserer Zeitung leben noch zahlreiche Zeitzeugen der Katastrophe, die in einer Serie von ihren Erinnerungen berichten.

Horst Dau (79) erlebte die Flut am Billwerder Billdeich.
Horst Dau (79) erlebte die Flut am Billwerder Billdeich. © BGZ/Privat | Privat

Horst Dau aus Reinbek schildert seine Erinnerungen an die Sturmflut 1962 und sagt: „Zur Zeit der Sturmflut habe ich am Billwerder Billdeich 8 gewohnt und das Unglück miterlebt. Ich war zu dem Zeitpunkt 19 Jahre alt und hatte an dem Tag Judotraining in Hamburg. Als stolzer Besitzer einer „BMW Isetta“ war ich an dem Tag mit dem Auto zum Bahnhof Billwerder-Moorfleet gefahren und dann mit der Bahn weiter nach Hamburg. Als junger Autofahrer traute ich mich noch nicht, in die Stadt zu fahren. Als das Training vorbei war, bin ich gegen 23 Uhr in Moorfleet angekommen, bei fürchterlichem Sturm, konnte dann aber noch heil bis zum Billwerder Billdeich kommen.“

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  • Und weiter erzählt Horst Dau: „Am Sonnabendmorgen schaute ich aus dem Fenster und sah die Bescherung: Das Wasser stand bis zum Haus, das Auto und das Haus haben es allerdings heil überstanden. An diesem Tag habe ich mich beim Technischen Hilfswerk (THW) gemeldet, um meine Hilfe anzubieten. Ich habe dann mit den Mitarbeitern des THWs die Kleingärten entlang der Bahnlinie durchsucht und nach hilfebedürftigen Menschen gesucht. Wir haben aber keine verletzten Menschen oder Tiere gefunden. Kurze Zeit nach der Flut gefror das Wasser auf den Billwerder Wiesen und konnte nicht abfließen. Verwandte von mir und ich haben in den Tagen nach der Flut viele Fotos gemacht und in einem grauen Fotoalbum aufbewahrt. Es sind Eindrücke, die man nie vergisst.“

    Ehepaar Gottschalk heiratete am 16. Februar 1962

    In Moorfleet bahnen sich Helfer mit einem Boot den Weg durch die Straßen und sammeln den Hausrat ein, den das Wasser mit sich gerissen hat.
    In Moorfleet bahnen sich Helfer mit einem Boot den Weg durch die Straßen und sammeln den Hausrat ein, den das Wasser mit sich gerissen hat. © Horst Dau | Horst Dau

    Anke Gottschalk aus Reinbek berichtet von ihren Erlebnissen und sagt: „Damals war ich 20 Jahre alt. Ich arbeitete im Hafen am alten Fruchthof im fünften Stock mit Blick Richtung Grasbrook. Unter uns war die Oberhafenbrücke. Schon am 14. Februar kam da kein Kahn mehr durch; das Wasser war etwa 20 Zentimeter unter der Brücke. Auf meine Frage, ob das Wasser die Brücke überspülen wird, sagte mir ein älterer Kollege, vorher geht die Alster über die Ufer. Das kam dann auch so. Am 16. Februar haben wir geheiratet. Eine Feier gab es keine, da wir heiraten mussten, um die Wohnung zu bekommen. Es gab damals noch den Kuppelparagrafen. Am 17. Februar klingelte es morgens, und mein Mann (Polizist) wurde zum Dienst geholt. Er war damals Ausbilder in Alsterdorf. So verbrachten wir die Flitterwochen getrennt, ich bei der Arbeit, er in Francop und Neuenfelde. Warum er zum Dienst musste und was in Hamburg los war, erfuhr ich am Sonntag bei einem Telefonat mit Kassel.“

    Anke Gottschalk wohnt jetzt in Reinbek.
    Anke Gottschalk wohnt jetzt in Reinbek. © BGZ/Privat | Privat

    Und weiter sagt sie: „Am Sonnabend war ich in der Stadt, wollte Gutscheine einlösen. Bei Karstadt an der Mönckebergstraße gab es nur das Dämmerlicht der Notbeleuchtung. Aber da es noch keine elektronischen Kassen gab, konnten die Verkäufer noch kopfrechnen. In der Stadtschlachterei Post- oder Gerhoffstraße gab es kein Fleisch, der Kühlraum stand drei Meter unter Wasser. Der Gasometer auf dem Grasbrook war am Montag leer. Viele Hamburger konnten nicht kochen oder heizen. Bei meiner Mutter in Alsterdorf war beides ausgefallen. Wir in Wandsbek hatten stundenweise keinen Strom. Mein Mann flog damals das erste Mal mit einem Hubschrauber. Er hat etwa 14 Tage geholfen, die Infrastruktur instand zu setzen. Mein Mann und die anderen Helfer bewegten sich im Schlauchboot fort. Einer ruderte, der andere zog Telefonkabel vom Ortsamt zur Polizeiwache. Auf den wenigen trockenen Stellen lagen haufenweise Kadaver von Kühen und Schweinen.“