Hamburg. Als Kompensation für den neuen Stadtteil verbreitern Bagger Gräben in der Nachbarschaft. Was auf 140 Hektar genau passiert.
In Unterbillwerder, zwischen der Autobahn 1 (A1), Mittlerer Landweg, S-Bahn und Billwerder Billdeich, wird auf einer Fläche von etwa 140 Hektar Ausgleich geschaffen für den geplanten neuen Stadtteil Oberbillwerder. Bereits vorhandene, schmale Gräben wurden und werden deutlich verbreitert, die Uferkanten abgeflacht, damit viele Feuchtwiesen entstehen, Amphibien weniger Hürden überwinden müssen und somit die Grünlandflächen ökologisch aufgewertet werden. Der Aushub liegt in Form von großen Erdwällen neben den Gräben.
Anlieger Rainer Stubbe (60) kritisiert die Maßnahme scharf: „Die Landschaft wurde umgepflügt und das typische Landschaftsbild zerstört. Das ist eine Verschlimmbesserung.“ Die Gräben seien im 12. Jahrhundert „nach holländischem Vorbild“ für die landwirtschaftliche Nutzung des Gebietes angelegt worden, weiß Stubbe. „Sie waren schon in ihrem ursprünglichen Zustand naturschutzwürdig.“
Oberbillwerder: Ausgleich für Bau des neuen Hamburger Stadtteils
Das Denkmalschutzamt habe die „historische Kulturlandschaft“ nach dem Denkmalschutzgesetz als geschützt eingestuft, betont der Landwirt vom Billwerder Billdeich. „Deshalb hätten die Gräben ihren ursprünglichen Zustand behalten müssen“, meint Stubbe. Nun stimme das Verhältnis zwischen Land- und Wasserflächen nicht mehr. Es handle sich bei der Maßnahme nicht um eine ökologische Aufwertung, „sondern um die Zerstörung einer historischen Kulturlandschaft“.
Renate Pinzke, Sprecherin der Umweltbehörde, widerspricht Stubbe: „Die Flächen unterliegen keinem denkmalrechtlichen Schutz.“ Dies bestätigt Claudia Preiksch, Sprecherin der für den Denkmalschutz zuständigen Kulturbehörde: „Zwischen Ober- und Unterbillwerder gibt es keine geschützte Kulturlandschaft.“
Oberbillwerder-Kritiker warnt vor hoher Verkehrsbelastung
Es sei nahezu unmöglich, den neuen Stadtteil Oberbillwerder vernünftig naturschutzfachlich auszugleichen, meint Stubbe: „Da werden als 100 Hektar Fläche versiegelt. Hinzu kommt der massive Straßenverkehr, der durch Oberbillwerder entstehen wird.“ Erst sei von einem autofreien Stadtteil die Rede gewesen, betont der Kritiker. „Dann hieß es ‚autoarm‘ – und nun werden große Erschließungsstraßen gebaut.“
Dass vor solchen Eingriffen in die Natur Gutachten erstellt werden, lässt Stubbe, selbst studierter Landschaftsplaner, nicht gelten: „Das Ergebnis steht doch schon vorher fest. Das ist doch immer so.“ Der Oberbillwerder-Kritiker, der sich seit Jahrzehnten intensiv mit der Geschichte Billwerders und Bergedorfs beschäftigt, spricht von „Volksverdummung“. Ein Anwohner, der nahe der St.-Nikolai-Kirche am Billwerder Billdeich wohnt, habe sein Grundstück nun eingezäunt, aus Sorge, dass seine kleinen Kinder in den breiten Gräben verunglücken können, weiß Stubbe.
Gründlandflächen werden von drei Landwirten bewirtschaftet
Die Grünlandflächen werden von drei Pächtern extensiv bewirtschaftet. Einer von ihnen ist der Rinder- und Pferdehalter Peter Graumann, ebenfalls vom Billwerder Billdeich. Er stehe in Kontakt mit der Umweltbehörde, habe da einen kompetenten Ansprechpartner, der sich stets um einen Konsens zwischen Stadt und Pächtern bemühe, sagt der Landwirt, der sich nicht so kritisch äußert – wenngleich auch Graumann Kritik übt.
So wundert er sich, dass dort, wo der Aushub nun neben den Gräben lagert, nicht vorher der Mutterboden abgetragen worden sei, um diese besonders wertvolle Erde dann später, wenn der Aushub auf dem Land verteilt worden ist, obenauf zu platzieren. „Der Mutterboden hätte eigentlich nicht beerdigt werden dürfen“, sagt Graumann.
Aushub aus den Gräben soll auf den Flächen verteilt werden
Dieses Versäumnis schade ihm, weil das Gras in den betroffenen Bereichen schlechter keimen werde. „Der Boden unterhalb der 20 Zentimeter tiefen Mutterbodenschicht ist tot. Bis dort Gras darauf wächst, werden einige Jahre vergehen.“ Doch das Gras benötigt er als Futter für seine Tiere.
Die Umweltbehörde habe ihm entgegnet, dass der Aushub, wenn er dann verteilt worden ist, nicht höher als 15 Zentimeter sein werde – die Obergrenze, die das Mutterbodenschutzgesetz vorsieht. Graumann ist nun gespannt, ob sich die Behördenvorhersage bewahrheiten wird.
„Davon mal abgesehen, liegt der Aushub bereits zu lange in Form von Wällen neben den Gräben.“ Die Berge müssten eigentlich zeitnah abgetragen werden, weiß Graumann. „Aber auch hier hat das Wetter den Behörden einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Der Landwirt geht davon aus, dass der Aushub verteilt wird, „sobald es etwas trockener oder wenn die Erde einmal richtig durchgefroren ist“.
Neue Stauwehre zur Be- und Entwässerung des Beetgrabensystems
Doch Graumann wird im Bereich der verbreiterten Gräben in 2024 wohl sowieso noch nicht ernten können: „Durch das Wetter verzögern sich die Bauarbeiten. Deshalb kann ich erst verspätet neu aussäen.“ Im vergangenen Herbst wiederum konnte der Landwirt auf einigen seiner Pachtflächen keinen zweiten Schnitt machen, weil dort zwischen August und Dezember acht schwere Bagger im Einsatz waren. Renate Pinzke: „Derzeit werden Stauwehre errichtet und Rohrverbindungen hergestellt, um zukünftig die Be- und Entwässerung des neugestalteten Beetgrabensystems zu regeln.“
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Auf der Fläche, auf der Graumanns Rinder weiden, wurde noch nicht gebaggert. „Das wird erst im kommenden Jahr oder in 2025 passieren.“ Der Rinderhalter geht davon aus, dass ihm die Stadt dann eine Ersatzfläche in der Nähe anbieten wird. Eine weitere Pächterin hält Pferde auf einem Teil der Ausgleichsfläche, der ebenfalls noch nicht bearbeitet wird. Der dritte Pächter baut auf seinen Flächen nur Futter an. Künftig werden dort weniger Tiere gehalten werden können.
„Auf den Ausgleichsflächen ist zukünftig eine Wiesen- und/oder Weidenutzung mit zum Teil reduzierter Besatzdichte vorgesehen“, teilt Renate Pinzke mit. Auf etwa 50 Hektar sind bislang verlandete Gräben vergrößert worden. Renate Pinzke: „Neben Grünlandextensivierungen sollen zukünftig das stark verlandete Beetgrabensystem sowie die Be- und Entwässerung auf weiteren 78 Hektar in Unterbillwerder neugestaltet werden, um auch hier Ersatzlebensräume für seltene und gefährdete Tier- und Pflanzenarten zu realisieren.“
Ausgleich für Oberbillwerder auf insgesamt 260 Hektar Fläche
Die Landschaftsbauarbeiten stellen laut Umweltbehörde nur einen Teilbereich der gesamten Ausgleichskonzeption für Oberbillwerder dar. Insgesamt soll auf rund 260 Hektar Ausgleich für Oberbillwerder und die Erweiterung der Justizvollzugsanstalt Billwerder geschaffen werden. Neben der „Neuordnung des Wasserhaushaltes“ in Unterbillwerder geht es bei den anderen 120 Hektar laut der Behörde um den Landschaftskorridor zwischen Mittlerer Landweg und dem zukünftigen Stadtteil Oberbillwerder, den Billebogen und das Ufer der Bille „in naher Umgebung“ zu dem zukünftigen Stadtteil.
„Weitere Ausgleichsmaßnahmen werden im räumlich-funktionalen Zusammenhang in Curslack und auf Hahnöfersand in der niedersächsischen Gemeinde Jork ausgeführt“, sagt Renate Pinzke. Geplant sind Grünlandextensivierungen, Hecken-, Gehölz- und Saumstrukturen sowie diverse Habitatoptimierungen für geschützte und seltene Arten, teilt die Sprecherin mit.
„Das wesentliche Ziel der Maßnahmen zum Ausgleich ist es, artenreiches Feuchtgrünland als Lebensraum für dort beheimatete, seltene und gefährdete Tier- und Pflanzenarten zu entwickeln“, sagt Renate Pinzke. „Weiterhin wird durch die Entwicklungsmaßnahmen naturschutzfachlich hochwertiger Lebensraum mit ausgeprägtem Beetgrabensystem insbesondere für Wiesenvögel geschaffen.“