Bergedorf. Bergedorfs ehemaligem Museumsleiter bleibt Ehrung vorerst versagt. Auch Kurt A. Körbers „Faszination für das ,Hitlerreich‘“ hat Folgen.
Der Ausblick vom beliebtesten Bergedorfer Wanderweg in die Vierlande bleibt in der Tradition der Sternwarte. Die Schorrhöhe wird nicht nach dem Ex-Chef des Museums im Schloss und langjährigen DKP-Funktionär, Alfred Dreckmann, benannt, sondern wechselt von einem Sternwarten-Wissenschaftler zum nächsten. Nach vier Jahren mit teils emotionalen Diskussionen hat sich Bergedorfs Politik jetzt auf Schwaßmannhöhe geeinigt – gegen die Stimmen der Linken.
Es ist die einzige umstrittene Empfehlung der extra von der Bezirksversammlung eingesetzten Arbeitsgemeinschaft Straßenumbenennung. Und das, obwohl jetzt auch über das Aufstellen von Info-Tafeln zur Nazi-Nähe des Hauni-Gründers Kurt A. Körber an der nach im benannten Chaussee entschieden wurde. „In der Arbeitsgemeinschaft haben wir alle Empfehlungen ausführlich diskutiert, um in jedem der fünf Themen zu einem einvernehmlichen Ergebnis zu gelangen“, betonte AG-Vorsitzende Petra Petersen-Griem (SPD) mit Blick auf die gut einjährige Arbeit jetzt im Hauptausschuss der Bezirksversammlung.
Alfred Dreckmann: Zu Lebzeiten ebenso wortgewaltig wie umstritten
Dass das nicht ganz gelang, liegt an der Person Alfred Dreckmann. Der 2020 mit 84 Jahren verstorbene Museumsleiter verstand es zeitlebens, seine Anliegen wortgewaltig durchzusetzen. Auch gegen breite Widerstände. Das galt 2001 beim Aufbau des Entschädigungsfonds für die auch in Bergedorfs Betrieben im Zweiten Weltkrieg zu Tausenden eingesetzten Zwangsarbeiter ebenso wie bereits Ende der 60er-Jahre. Als Kopf der legendären Bergedorfer APO lehrte der ausgebildete Volksschullehrer den Politikern damals in ihren hiesigen Wahlkampfveranstaltungen das Fürchten. Dazu gehörten vor allem CDU-Größen wie Rainer Barzel, aber auch SPD-Ikone Helmut Schmidt.
Größtes Verdienst des überzeugten Kommunisten und seiner jungen Mitstreiter war es damals, der in Bergedorf tief verwurzelten NPD den Boden zu entziehen. Später setzte der Museumsleiter Dreckmann durch, dass die Straßen des entstehenden Stadtteils Neuallermöhe nach Bergedorfer Widerstandskämpfern benannt wurden, darunter besonders viele Frauen.
Mehrheit der Bergedorfer Politiker wollte Astronomen als Namensgeber
„Und ausgerechnet er selbst soll jetzt nicht mit einem Straßennamen geehrt werden“, ärgerte sich Maria Westberg (Linke) im Hauptausschuss. Tatsächlich war es ihre Fraktion, die zusammen mit ehemaligen Bergedorfer APO-Aktivisten den Vorschlag Alfred-Dreckmann-Höhe eingebracht hatte. Begründung: Er wohnte in der nahen Heysestraße und spazierte mit seiner Frau Elke gern auf dem Wanderweg an der Sternwarte entlang.
Das genügte den anderen Fraktionen der Bezirkspolitik allerdings nicht, hatten sie sich doch schon im Frühjahr 2019 grundsätzlich darauf verständigt, den Weg möglichst nach einer Wissenschaftlerin der Sternwarte zu benennen. Prof. Dr. Richard Schorr, Sternwarten-Direktor und Motor ihrer Übersiedlung nach Bergedorf von 1906 bis 1912, war als Namensgeber in Ungnade gefallen, weil er den Nazis im Dritten Reich die ihm verhassten Astrologen ans Messer geliefert haben soll.
Karl Arnold Schwaßmann war die rechte Hand von Richard Schorr
Nachdem keine verdiente Forscherin gefunden werden konnte, votierte der Ausschuss aber nicht für Alfred Dreckmann, sondern mit Ausnahme der Linken für Prof. Dr. Karl Arnold Schwaßmann. Der Astrophysiker gilt als rechte Hand von Direktor Schorr, der sich sowohl beim Umzug des Observatoriums vom Millerntor auf den Gojenberg einen Namen machte als auch in den ersten Jahren am neuen Standort. Denn der 1964 im Alter von 94 Jahren in Bergedorf verstorbene Karl Arnold Schwaßmann steht für den Übergang von der Astronomie zur Astrophysik und entdeckte von der Sternwarte aus insgesamt 22 Asteroide und vier Kometen.
Ohne weitere Diskussion ging im Hauptausschuss der Bezirksversammlung jetzt der Wortlaut der beiden geplanten Info-Tafeln zu Kurt A. Körber durch. Unter der unverfänglichen Zeile „Begründer der Hauni-Werke. Mäzen. Ehrenbürger der Stadt Hamburg“ wird der Text sehr deutlich: „Körber selbst gab 1989 zu: ,Ich wollte den Krieg gewinnen; dafür habe ich gearbeitet, Tag und Nacht‘ Auch eine gewisse Faszination für das ,Hitlerreich‘ räumte er offen ein.“
Info-Tafeln sollen Körbers unkritisches Verhältnis zu den Nazis dokumentieren
Eine Umbenennung der Kurt-A.-Körber-Chaussee wegen der Belastung des Namensgebers als Mitläufer des Dritten Reichs hatte die Bezirksversammlung bereits vor sechs Jahren abgelehnt – sofern seine Verstrickungen an der Straße öffentlich dokumentiert werden. Wo genau die Schilder stehen, wird noch festgelegt.
Beschlossen ist jetzt dagegen die Umbenennung des Elingiusplatzes in Nettelnburg. Dessen Namensgeber Carl Erich Elingius gilt heute als Profiteur des NS-Regimes, weil er als Architekt zahlreiche Aufträge von den Nazis bekam. Der Platz wird jetzt nach Otto Johann Heinrich Möller benannt, der 1920 Mitgründer der Siedlungsgenossenschaft Nettelnburg war. Er arbeitete als Glasmacher bei der benachbarten Glasfabrik Hein & Dietrichs und schloss sich einer Widerstandsgruppe gegen die Nazis an, die später ausländische Zwangsarbeiter unterstützte. Möller wurde verhaftet, kam für Jahre ins Zuchthaus und starb kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs vermutlich durch eine Giftspritze.
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Neben den Umbenennungen beschloss die Politik jetzt sogenannte Mitbenennungen vorhandener Straßennamen in Lohbrügge-Nord. So ist der Harnackring nun nicht mehr nur nach dem Sozialdemokraten Ernst von Harnack, sondern auch nach den Widerständlern Mildred und Arvid Harnack sowie Falk Harnack benannt, der Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ war.
Die Sterntwiete ist jetzt neben Psychologen William Stern auch seiner Frau Clara Stern gewidmet, die sich gemeinsam einen Namen mit der Erforschung des frühkindlichen Spracherwerbs machten. Und der Schulenburgring ehrt neben Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, dem Widerstandskämpfer aus dem Umfeld Claus Schenk Graf von Stauffenbergs, jetzt auch seine Schwester Tisa von der Schulenburg, die sich als Malerin der einfachen Bergleute einen Namen machte.
In Sachen Alfred Dreckmann konnte der einzige Zwist um Bergedorfs neue Straßennamen letztlich immerhin etwas entschärft werden: Die Bezirkspolitiker einigten sich darauf, ihn in eine Liste verdienter Bergedorfer Persönlichkeiten aufzunehmen, die für künftige Straßennamen herangezogen wird. Allerdings gilt auch dort der Grundsatz, dass zunächst Frauen den Vorzug bekommen sollten.