Hamburg. Kurz, aber heftig war die „außerparlamentarische Opposition“ (APO) in Bergedorf aktiv. Ein neues Buch erzählt die Geschichte.

Die späten 60er-Jahre waren eine turbulente Zeit – besonders in Bergedorf. Während die Jugend der Republik aufbegehrte gegen den Vietnam-Krieg, die Nazi-Vergangenheit der Eltern-Generation oder einfach musikalisch mit der Verehrung der Beatles, setzte an der Bille eine kaum 50 Menschen kleine Truppe politische Akzente, die weit über den Bezirk hinaus wirkten: Die APO Bergedorf galt als aktivste „außerparlamentarische Opposition“ Deutschlands.

Formiert nach dem Attentat auf Studentenführer Rudi Dutschke vom 11. April 1968 war die APO Bergedorf zwar nur zwei Jahre aktiv, aber das hatte Folgen. So ist es den Aktiven um den jungen Volksschullehrer und späteren Bergedorfer Museumsleiter Alfred Dreckmann zu verdanken, dass die damals noch in Bergedorf etablierte NPD keine öffentlichen Räume mehr bekam und bedeutungslos wurde. Auch damalige Politgrößen wie Rainer Barzel oder Helmut Schmidt sahen sich bei jedem Wahlkampfauftritt in Hamburgs Osten einer lautstarken APO im Publikum gegenüber.

Aus dem Luisen-Gymnasiums wurde über Nacht die „Rosa-Luxemburg-Schule“

Ganz zu schweigen von nächtlichen Aktionen, wie der „Umbenennung“ des Luisen-Gymnasiums in „Rosa-Luxemburg-Schule“ mittels großer weißer Buchstaben auf der Fassade. Und natürlich gab es auch eine Kommune wie die Berliner um Rainer Langhans und Uschi Obermeier. In Bergedorf residierte sie an der Kurt-A.-Körber-Chaussee.

„Die APO Bergedorf war vielfältiger als die Studentenbewegung, in deren Schatten sie bis heute steht. Um Alfred Dreckmann scharten sich Kommunisten, Anarchisten und Demokraten, es waren Studenten, aber eben auch viele Schüler und Lehrlinge. Uns einte die Kapitalismus-Kritik – und entzweite die Frage, wie eine gerechte Gesellschaft funktionieren kann“, sagt Dr. Arne Andersen (70), damals Zehntklässler des Hansa-Gymnasiums.

Der Bergedorfer APO sollte eine Brandstiftung in die Schuhe geschoben werden

Das Innenleben dieses bunten Haufens legte Andersen jetzt erstmals frei: Auf 264 Seiten hat er die Geschichte der Aktivisten zusammengeschrieben, die Bergedorfs gehobene Gesellschaft so durcheinander wirbelten und deren Obrigkeitsglauben austrieben, dass Villengebiets-Sprösslinge am Ende sogar versuchten, der APO die Brandstiftung in die Schuhe zu schieben, die im August 1969 den Großbrand der Holzhandlung Behr auf dem heutigen CCB-Gelände auslöste.

Unter dem Titel „Die Bergedorfer APO – Politischer Protest in der Hamburger Provinz“ (14,90 Euro; ab heute in allen Buchhandlungen) legt der studierte Historiker ein Werk vor, in dem er zwischen subjektiver Betroffenheit und objektiver Geschichtsschreibung pendelt: „Politisch hat mich die APO Bergedorf sozialisiert“, gesteht der Autor in der Einleitung.

25 Zeitzeugen berichten aus der wilden Zeit der 68er

Was das Buch sehr lesbar macht, lässt natürlich um die wissenschaftliche Objektivität fürchten. Deshalb sind auch 25 Zeitzeugen-Interviews in das Buch eingeflossen, dessen wichtigste Basis die Sammlung zu Bergedorfs APO von Alfred Dreckmann bildet, ihrem einstigen „Spiritus Rector“.

2001 als Museumsleiter in den Ruhestand gegangen, war es eigentlich er, der dieses Buch schreiben wollte. Doch die Krankheit, an der Alfred Dreckmann im Juni 2020 starb, ließ ihn dazu nicht mehr kommen. Dass Arne Andersens Werk genau heute erscheint, ist kein Zufall: „Am 12. Juni ist Alfreds erster Todestag“, sagt Andersen, der gemeinsam mit Witwe Elke Dreckmann die APO-Sammlung jetzt an das Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung übergeben hat. Wir stellen das Buch in den kommenden Wochen in einer Serie vor.