Bergedorf. Bei der „Neuen Mitte Stellingen“ hat Hamburg der Buwog die Rote Karte gezeigt. Genehmigungsverfahren in Bergedorf dauert an.

Erstaunlich wortkarg geben sich die Eigentümer und Entwickler des Stuhlrohr-Quartiers: „Wir haben zu Bergedorf nichts Neues zu vermelden“, schreibt Michael Divé auf Nachfrage unserer Zeitung. Er ist Sprecher der Buwog, die das Areal der ehemaligen Stuhlrohr-Fabrik 2016 für 47 Millionen Euro erworben hatte. Eigentlich sollte hier längst an knapp 1000 Wohnungen, mindestens 15.000 Quadratmeter Gewerbeflächen und einem Start-up-Center im repräsentativen „Stuhlrohrhaus“ gebaut werden.

Doch bis heute prägen für den bevorstehenden Abriss längst leerstehende Geschäfte und ein provisorischer Parkplatz voller Schlaglöcher das Areal hinter dem CCB-Fachmarktzentrum. Divé schließt seinen Dreizeiler auf sechs detailliere Fragen unserer Redaktion mit den Worten, er wolle sich melden, „sobald es unsererseits irgendetwas spruchreifes Neues gibt“.

Unverbindliche Worte, die beim Blick in Hamburgs Westen aufhorchen lassen: In Stellingen wurde der Buwog die 2018 erteilte Anhandgabe eines städtischen Grundstücks zum Bau von 250 Wohnungen durch die Kommission für Bodenordnung der Finanzbehörde entzogen.

Neuer Mitte Stellingen: Kommission der Finanzbehörde zieht die Notbremse

Das unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagende Gremium aus Politik und Verwaltung soll Anfang November bereits die Notbremse gezogen haben. Begründung: Die hochtrabenden Pläne der Buwog seien auch nach fünf Jahren noch nicht in die Realisierungsphase getreten. Kommissionsmitglied Dirk Kienscherf, SPD-Fraktionschef in der Bürgerschaft, rückt den Buwog-Mutterkonzern Vonovia in diesem Zusammenhang laut Abendblatt sogar in die Nähe unlauterer Geschäftspraktiken: „Wir brauchen in Hamburg keine Spekulanten“, wird Kienscherf zitiert.

So stellen sich die Entwickler das Stuhlrohr-Quartier vor: sehr viel Wohnungsbau, in der Mitte das „Stuhlrohrhaus“ mit Platz für Start-up-Unternehmen. Nur die denkmalgeschützten Stuhlrohrhallen (r.) bleibe erhalten. 
So stellen sich die Entwickler das Stuhlrohr-Quartier vor: sehr viel Wohnungsbau, in der Mitte das „Stuhlrohrhaus“ mit Platz für Start-up-Unternehmen. Nur die denkmalgeschützten Stuhlrohrhallen (r.) bleibe erhalten.  © Bergedorf | Jan Schubert

Bereits am 30. Oktober ging die Anfrage unserer Zeitung an die Buwog und blieb dort erst mal zwei Wochen ganz ohne Reaktion, bevor nach mehreren Nachfragen am 21. November nun endlich der Dreizeiler kam. Neben der zeitlichen Parallele sind auch die Bauvorhaben vergleichbar, besteht die „Neue Mitte Stellungen“ doch insgesamt aus rund 750 Wohnungen, von denen aber nur rund ein Drittel der Buwog übertragen wurden.

Bezirksamt schrumpfte Stuhlrohr-Quartier 2018 um 20 Prozent

Entscheidender Unterschied ist allerdings, dass dort alle Flächen im Besitz der Stadt Hamburg blieben, während beim Stuhlrohr-Quartier die Buwog Eigentümer ist. Hier kann das Bergedorfer Bezirksamt also nur über das Bebauungsplanverfahren Einfluss nehmen. Und davon hat die hiesige Stadtplanung auch umfangreich Gebrauch gemacht. Vor allem 2018, als ein Bürgerentscheid gegen das Projekt drohte und seine Dimensionen schließlich um rund 20 Prozent geschrumpft wurden.

Der Innenhof des Stuhlrohr-Quartiers wird heute als provisorischer Parkplatz genutzt.
Der Innenhof des Stuhlrohr-Quartiers wird heute als provisorischer Parkplatz genutzt. © bgz | Ulf-Peter Busse

Seither ist es still geworden um die Buwog, die 2018 zudem von der Vonovia geschluckt wurde und heute vor allem als deren Projektentwicklungsgesellschaft fungiert. Nur das Bebauungsplanverfahren lief weiter, wie sporadische Berichte der Verwaltung im Stadtentwicklungsausschuss zeigten.

Umwidmung vom Industrie-Areal zum gemischten Wohngebiet läuft seit 2008

Und das gilt bis heute, wie das Bezirksamt bestätigt: „Für dieses städtebauliche Projekt ist die Verfahrensdauer nicht ungewöhnlich, weil ausgesprochen komplexe fachliche, gesellschaftspolitische, wettbewerbliche, wirtschaftliche und unternehmerische Faktoren zu prüfen und abzuwägen sind.“ Tatsächlich läuft es sogar nicht nur fünf Jahre, wie das in Stellingen, sondern schon seit 2008. Damals begann noch unter anderen Eigentumsverhältnissen die Umwandlung vom Gewerbe- und Industriegebiet zu einem gemischten Areal für Wohnen, Arbeit und Freizeit.

Blick vom Schleusengraben über das 4,5 Hektar große Stuhlrohr-Quartier. Rechts ist die Rückseite des CCB-Fachmarktzentrums an der Stuhlrohrstraße zu sehen.
Blick vom Schleusengraben über das 4,5 Hektar große Stuhlrohr-Quartier. Rechts ist die Rückseite des CCB-Fachmarktzentrums an der Stuhlrohrstraße zu sehen. © BGZ

Zwischenzeitlich hatte das Bezirksamt betont, dass dieser Prozess mit den baurechtlichen Vorgaben von 2018 auch dann fortgesetzt werden, wenn die Buwog das Stuhlrohr-Quartier an einen neuen Investor veräußern sollte. Die Frage, ob heute ein Verkauf absehbar sei, wollte Sprecher Lennart Hellmessen nicht beantworten. Nur soviel: „Dem Bezirksamt sind keine Veränderungen bekannt.“

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Auch bei der noch ausstehenden Verfahrensdauer und dem möglichen Zeitpunkt von Abriss und Neubaustart bleibt man im Bergedorfer Rathaus vage: „Die kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht prognostiziert werden.“ Immerhin: Die Umwidmung des alten Industrie-Areals ist ein „Signal für die kommenden Jahrzehnte“. Denn „nach dem absehbaren Rückzug größerer Nutzungen soll die städtebauliche Entwicklung hier nicht zufällig, sondern entsprechend dem Potenzial der zentralen Lage geordnet erfolgen“.

Weiterhin abwarten muss deshalb auch der Bau des seit Jahren projektierten Rad- und Wanderwegs zwischen Bergedorfs City und den Vier- und Marschlanden. Er führt auf dem westlichen Ufer des Schleusengrabens entlang und damit auch über das Gelände des Stuhlrohr-Quartiers. „Seine Herstellung kann erst nach dem Erreichen der Vorweggenehmigungsreife des Bebauungsplanverfahrens und dem Übergang des Eigentums der Wegefläche an die Freie und Hansestadt Hamburg erfolgen.“