Bergedorf. Neues Buch und Ausstellung zeigen, wie sich Bergedorfs City in nur 100 Jahren verändert hat. Am 24. November Vernissage im Plietsch.
Es ist eine Katastrophe – oder sieht so die von Menschen gemachte Zukunft aus? Bergedorfs Stadtplanung der vergangenen 100 Jahre bietet reichlich Anlass zum Staunen. Vor allem, weil sie geprägt ist von massiver Zerstörung, wurden für gleich zwei Durchbruchstraßen doch Hunderte Häuser der Altstadt geopfert. Aber es gibt auch kleine Lichtblicke, zu denen vielleicht das Kuschelige der heutigen Fußgängerzone Sachsentor gehört.
Wer sich ein Bild machen will, wie Bergedorfs Stadtväter seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts mit der Bausubstanz des einstigen „Städtchens“ umgegangen sind, kommt ins Veranstaltungshaus Plietsch. Im Sachsentor 23 feiert am Freitag, 24. November, die Ausstellung „Festgehalten – ein Blick auf Bergedorf durch die Zeit“ Vernissage. Es ist die Präsentation des gleichnamigen Bild-Bandes, der ab sofort im Kontor am Reetwerder 17 sowie in allen Buchhandlungen und natürlich in der Ausstellung zu bekommen ist.
Manuskript des Buches von Martin Knorr liegt fast 50 Jahre in der Schublade
Auch das Werk selbst entbehrt nicht einer gewissen Tragik: Die 176 Seiten und über 250 Abbildungen starke Veröffentlichung basiert auf dem Manuskript des Bergedorfer Fotografie-Meisters und Heimatforschers Martin Knorr aus dem Jahr 1975. Er stellte seinerzeit historischen Fotos aus der Zeit um 1900 eigene Bilder gegenüber, die er 1974/75 aus exakt gleicher Perspektive aufgenommen hatte und ergänzte sie durch kurze, sehr individuelle Texte.
Doch Knorrs Versuche, sein Werk einem Verlag schmackhaft zu machen, scheiterten. Das fertige Manuskript verließ nie den Schreibtisch seiner Bergedorfer Wohnung. Als Martin Knorr 1985 starb, ging es zunächst an seine Witwe und mit deren Nachlass schließlich an den Sohn in Hamburg-Dulsberg.
Hausmeister findet die Bilder und Texte bei der Wohnungsauflösung
Als auch der starb, fiel das auffällig gut gepflegte und offenbar nie auf dem Dachboden gelandete Manuskript bei der Wohnungsauflösung dem Hausmeister in die Hände. Der erkannte den historischen Wert des Werkes, nahm mit der Geschichtswerkstatt Dulsberg Kontakt auf – und die vermittelten es schließlich zurück nach Bergedorf ins Kultur- & Geschichtskontor.
„Ein absolutes Glück“, sagt Kontor-Vorstand Dr. Geerd Dahms, der noch aus persönlichen Gesprächen mit Martin Knorr kurz vor dessen Tod vom unveröffentlichten Manuskript wusste. Allerdings gab es damals das Kultur- & Geschichtskontor noch nicht – und damit auch keine Möglichkeit zur Veröffentlichung. Das Werk verschwand aus dem Blickfeld.
Zur Eröffnung der Austellung im „Plietsch“ gibt es eine Hommage an Martin Knorr
„Großartig, dass es letztlich doch den Weg zurück zu uns nach Bergedorf gefunden hat“, sagt Historikerin Caroline Bergen. Die Leiterin des Kultur- & Geschichtskontors wird zur Vernissage am Freitag eine Hommage an Martin Knorr und seinen Blick auf Bergedorf halten: „Ein einzigartiges Zeitdokument, das uns heute die Perspektive von vor fünfzig Jahren eröffnet.“
Ergänzt wird sie durch aktuelle Fotos aus identischer Perspektive, sodass die Besucher der Ausstellung und die Leser des Buches jeweils ein Bilder-Trio erwartet. Zur besseren Einordnung haben die Historiker die Schau jeweils um Karten des Bergedorfer Zentrums aus den Jahren 1875, 1904, 1975 und heute ergänzt. Besonders herausgearbeitet wird dabei das zerstörerische Werk der beiden Durchbruchstraßen, die 1929 als Vierlandenstraße und 1955 bis 1958 als Bergedorfer Straße Hunderte Häuser und damit praktisch die gesamte Altstadt beseitigten. Über 1000 Menschen verloren ihre Wohnung.
Nach dem Krieg beginnt eine Phase der bedingungslosen Neugestaltung Bergedorfs
„Knorrs Werk gibt einen Eindruck von dieser bedingungslosen Neugestaltung Bergedorfs durch die Ideen der Nachkriegsmoderne, die sich der verkehrsgerechten Stadt verschrieben hatte“, sagt Caroline Bergen. „Und unsere aktuellen Fotos zeigen, dass seither zwar nicht mehr so rigoros wie damals abgerissen wurde. Aber dafür wird heute immer höher, immer voluminöser und aus meiner Sicht oft geradezu erschlagend gebaut.“
Ob das viele so sehen, sollen möglichst viele Statements der Besucher der Ausstellung zeigen, die bis zum 22. Dezember im Plietsch zu sehen ist: Mit dem Titel „Denk-Mal“ liegt eine Art Gästebuch aus, in das persönliche Wertungen und Wünsche für Bergedorf und seine Stadtentwicklung eingetragen werden können.
Ausstellung folgt der Alten Hauptstraße durchs Sachsentor bis zum Mohnhof
Um sich einen konkreten Eindruck von Bergedorfs Entwicklung in den vergangenen 100 Jahren zu verschaffen, folgt die Ausstellung der einstigen Bergedorfer Hauptstraße von der Bahnquerung der Alten Holstenstraße, vorbei an St. Petri und Pauli, entlang des Sachsentors bis zum Mohnhof. Vieles ist hier verschwunden, darunter die Bahnschranken, das Hotel Stadt Lübeck, der Stammsitz der Bergedorfer Zeitung und sogar das Karstadt-Haus als sein Nachfolger, das Textilhaus Penndorf und fast alle Fachwerkhäuser rund um den Mohnhof.
Für das Kultur- & Geschichtskontor ist die Ausstellung bereits das zweite Gastspiel im Plietsch, nachdem die Historiker bereits im Spätsommer mit der Schau „860 Jahre Bergedorf“ viele Besucher in den neuen City-Treffpunkt zogen. „Für uns entwickelt sich das Plietsch zu einer wichtigen Adresse, weil wir endlich wieder Ausstellungen machen können“, verweist Caroline Bergen auf die beengten Verhältnisse in den angestammten Räumen des Kontors am Reetwerder.
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Ob das Bezirksamt, immerhin seit Frühjahr Mieter des Plietsch, auch die Wünsche des Geschichtskontors nach einem Umzug an die Fußgängerzone erfüllen kann, ist bisher offen. Immerhin wird Rathaus-Chefin Cornelia Schmidt-Hoffmann am Freitag die aktuelle Ausstellung eröffnen.
Besucher sind nach der öffentlichen Vernissage in der Woche vom 27. November bis 1. Dezember täglich von 12 bis 18 Uhr willkommen. Anschließend ist bis 22. Dezember immer montags und donnerstags von 12 bis 15 Uhr sowie mittwochs von 12 bis 18 Uhr geöffnet.