Hamburg. Transplantationen oder künstliche Findergelenke: Im BG Klinikum sind seit 1963 Spezialisten am Werk. Was sich seitdem verändert hat.
Die Arbeit an Maschinen war in den 1950er- oder 60er-Jahren ein Spiel mit der Gefahr: Weil viele Geräte damals kaum Sicherheitsmechanismen hatten, wurden immer wieder Menschen mit abgetrennten Fingern, gequetschten Gelenken oder anderen Verletzungen der Hand in die Kliniken gebracht. Doch die Expertise für Operationen an der Hand mit ihren feinen Gliedern, Gelenken und Gefäßen war in den Krankenhäusern noch gering.
Eine Klinik bildete dabei schnell eine Ausnahme. 1963, also vor genau 60 Jahren, wurde am BG Klinikum in Boberg deutschlandweit die erste eigene Abteilung für Hand- und Plastische Chirurgie gebildet. Und die „Hand-Werker“ der ersten Stunde erarbeiteten sich unter ihrem Leiter und Vordenker Professor Dr. Dieter Buck-Gramcko († 2012) schnell einen Ruf über die Landesgrenzen hinaus. Stolz reklamiert das Klinikum bis heute für sich, „auch therapeutische und wissenschaftliche Maßstäbe“ im Bereich der Handchirurgie zu setzen.
Medizin Bergedorf: Ärzte im BG-Klinikum Boberg sind Pioniere der Handchirurgie
Das Geheimnis des Erfolgs, den Chefarzt Klaus-Dieter Rudolf (64) seit vielen Jahren fortführt, findet sich im Namen. Denn die Abteilung heißt mittlerweile „Hand-, Plastische und Mikrochirurgie“. Die Mikrochirurgie, also das Arbeiten an kleinsten Gefäßen der Hand, hatte Dieter Buck-Gramcko in den 1970er-Jahren quasi erfunden.
Er setzte als erster Chirurg das OP-Mikroskop auch für die Hände ein, verbesserte so unter anderem die Methode der Pollizisation, bei der ein Zeigefinger an die Stelle eines fehlenden oder missgebildeten Daumens gesetzt wurde. Weil er so zu Zeiten des Contergan-Skandals auch vielen Kindern helfen konnte, die mit Fehlbildungen zur Welt gekommen waren, war Buck-Gramckos „Kinder-Freitag“ in der Handchirurgie eine bundesweit gefragte Sprechstunde.
Über die Jahre und Jahrzehnte kamen viele weitere medizinische Fortschritte in Boberg hinzu – von der Replantation unfallbedingt abgetrennter Gliedmaßen bis zum Verpflanzen von Gewebe. Auch Buck-Gramckos Nachfolger Bernd-Dieter Partecke setzte die erfolgreiche Arbeit der Abteilung fort. Heute ist Chefarzt Dr. Klaus-Dieter Rudolf (64) der Chef der Handchirurgie (20 Ärzte, circa 80 Betten inklusive Reha) – und ebenfalls ein gefragter Experte.
Heute gibt es auch Prothesen für die Fingergelenke
Aktuell sind Prothesen ein Gebiet, auf dem es Fortschritte gibt. Analog etwa zur Hüftprothese werden auch an den Fingern künstliche Gelenke gesetzt. „Diese Prothesen gibt es schon länger“, sagt Klaus-Dieter Rudolf. Doch die Standfestigkeit war anfangs nicht die beste, weshalb die Boberger Abteilung zunächst zurückhaltend blieb. Seit einigen Jahren wird die Methode hier aber auch angewandt, da es bessere Prothesen gibt, die wie ein Stecksystem funktionieren. Operiert wird, „wenn der Leidensdruck der Patienten groß ist“, so Rudolf – also wenn beispielsweise eine Arthrose-Patientin nicht mehr greifen kann „und alles fallen lässt“.
Prothesen für das ganze Handgelenk gibt es hingegen nicht. Oder besser gesagt, „Die taugen nichts“, so Klaus-Dieter Rudolf. Denn anders als etwa am Knie hat die Hand kein einfaches Kugel- oder Scharniergelenk, das sich aus vielen Knochen zusammensetzt – ein komplexes Meisterwerk der Natur. Auch das Endglied ab dem Endgelenk kurz vor den Fingerspitzen stellt den Chirurgen vor eine Herausforderung – mit Gefäßen, die teilweise so klein und fein wie Spinnweben sind und somit eventuell zu klein, um kaputte Verbindungen zu reparieren. „Das wird wohl leichter mit OP-Robotern“, glaubt der Chefarzt. Erste OP-Roboter sind in Ludwigshafen schon in der Erprobung.
Forschung mit der WHO im „Leuchtturmprojekt Hand“
Ein Forschungsprojekt, das in Boberg läuft, ist hingegen das „Leuchtturmprojekt Hand“, konkret eine Klassifikation namens ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit). Es geht darum, die Versorgung von Patienten zu verbessern. Vereinfacht gesagt durch eine international einheitliche Kommunikation zu den Auswirkungen von Gesundheitsproblemen – und das unter Beachtung des gesamten Lebenshintergrundes eines Menschen. Zur flächendeckenden Ausbreitung dieses Tools bedarf es noch der finanziellen Unterstützung sowie weiterer Studien. Partner ist die Weltgesundheitsorganisation WHO.
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Mithilfe dieses Tools ist auch geplant, im Rahmen einer digitalen Video-Sprechstunde – mit Patient und örtlichem Arzt auf der einen, einem Handchirurgen auf der anderen Seite – die Kompetenz erfahrener Handchirurgen in alle Winkel Deutschlands zu tragen. Klaus-Dieter Rudolf: „An der Umsetzung sind wir dran.“