Hamburg. Tanzlokale, Biergärten, Etablissements: Der Stadtteil galt mal als verruchtes Viertel. Warum – und warum sich das geändert hat.
Michael Schütze lädt für Sonntag zum Rundgang durch Lohbrügges verruchte Vergnügungsmeile: Viele Jahrzehnte warnten Bergedorfs gutbürgerliche Familien ihren Nachwuchs davor, auf der Alten Holstenstraße unter der Eisenbahn hindurch zu gehen. „Vor allem, wenn es dunkel wurde“, sagt Historiker Schütze, der mit seinen Gästen bei der zweistündigen Nachmittagstour am 10. September in die Zeit vor 100 bis 150 Jahren eintauchen wird, die heute wie aus einer anderen Welt erscheint.
Dass die jungen Leute damals trotzdem hierher strömten, lag an den vielen verlockenden Kneipen, Tanzlokalen und Biergärten, die sich gleich jenseits der Bahntrasse bis hinauf zum Lohbrügger Markt aneinander reihten. Denn dort tobte das Leben bis in den frühen Morgen, sorgten die vielen Arbeiter aus den nahen Fabriken für ausgelassene Stimmung – und hatte Bergedorfs Polizei nicht viel zu sagen. Denn jenseits der Bahn war Hamburg zu Ende und es begann das holsteinische Sande, das 1929 den Namen des benachbarten Dorfes Lohbrügge annahm.
Stadtrundgang durch Lohbrügges verruchte Vergangenheit
Michael Schütze startet Sonntag um 14 Uhr am Ausgang Lohbrügge des Bergedorfer Bahnhofs. Wer bei der Tour des Kultur- & Geschichtskontors dabei sein will, zahlt am Treffpunkt 9 Euro. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Vom Start geht es direkt zur Alten Holstenstraße, deren alter Charme allerdings durch die rigorose Abriss-Politik der 1960er- bis 1980er-Jahre dem damaligen Verständnis einer modernen Stadt geopfert wurde. Fast alle prägenden kleinstädtischen Gebäude, vor allem die Kneipen und Tanzlokale verschwanden, die Spekulanten übernahmen die Regie – und die erhofften Neubauten ließen lange auf sich warten.
Viele Bilder im Gepäck halten Abrisspolitik der 1960er-Jahre den Spiegel vor
Entsprechend hat Michael Schütze viele großformatige Bilder im Gepäck, die Bergedorfs völlig entgleister Stadtentwicklungspolitik einen erbarmungslosen Spiegel vorhalten. Dazu gehören der Holsteinische Hof und das Gasthaus Schwarzer Walfisch ebenso, wie einstige namhafte Geschäfte, die teils sogar noch bis vor wenigen Jahrzehnten existierten. Darunter die Buchhandlung Nordmann oder Eisenwaren Zieske, das Bettenhaus Demmin und die Schlachterei Gödecke.
Aber auch das alte dänische Zollhaus gehört dazu, das gleich hinter dem Bahndamm stand und den Übergang ins ausländische Holstein markierte, das immerhin bis 1864 sogar zu Dänemark gehörte. Weltpolitik mitten in Lohbrügge markiert bis heute übrigens die Bismarck-Eiche: Am Lohbrügger Markt erinnert der mächtige Baum bis heute an die Gründung des Deutschen Reiches 1871 – als diese Eiche feierlich gepflanzt wurde.
Entdeckungstour über den alten Lohbrügger Friedhof – einschließlich Mausoleum
Neben der Innenstadt entführt Michael Schütze auch zu etwas außerhalb gelegenen Sehenswürdigkeiten. Dazu gehören die vielen gut erhaltenen, längst denkmalgeschützten Arbeiterwohnhäuser an der Straße Klapperhof. Und noch ein Stück weiter natürlich auch der alte Friedhof mit der wunderschönen Erlöserkirche.
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Hier hat der Unternehmer Wilhelm Bergner gleich mehrere schöne wie schaurige Spuren hinterlassen. Der Gründer des Bergedorfer Eisenwerks, mit über 1000 Mitarbeitern lange größter Betrieb des Region, spendete Ende des 19. Jahrhunderts die riesigen bunten Kirchenfenster. Und weil ihm das ganze Ensemble an der Marnitzstraße so gut gefiel, ließ er auch gleich noch sein Mausoleum hier errichten: Es bildet noch immer das Zentrum des mittlerweile zum Park umfunktionierten Lohbrügger Friedhofs neben der Erlöserkirche. Im Keller liegen tatsächlich die sterblichen Überreste von Bergner selbst, seiner Frau und verschiedenen anderen Familienmitgliedern..