Bergedorf. Die Nagetiere vermehren sich rasant und kommen bereits in die Innenstadt. Experte erklärt, warum die Schwanzprämie nicht ausreicht.

Es sieht nicht unbedingt so aus, als würde sie ihr Stammlokal vermissen. Aber vor dem ehemaligen Kneipe Engel an der Alten Holstenstraße 54, also gleich gegenüber vom Reetwerder, saß Freitagmorgen um 9 Uhr eine Nutria auf den Treppenstufen. „Die Tierchen vermehren sich ja zusehends und beanspruchen Raum für sich, mittlerweile ohne jegliche Scheu vor dem Menschen“, sagt Simona Utecht, die uns das Foto zuschickte.

In der Bergedorfer Innenstadt war es ihre erste Begegnung mit einem solchen Nager, der eigentlich aus Südamerika stammt – und etwas seltsam: „Ich wurde kurz angefaucht, da ich dem Tierchen wohl im Vorbeigehen zu nahe kam“, schildert die Frau. „Putzig anzusehen sind sie ja, aber eben auch im Falle eines Bisses nicht ungefährlich.“

Nutrias sind keine Streicheltiere und werden zur Plage

Auf jeden Fall Abstand halten und nicht füttern: „Werden Nutrias in die Enge getrieben oder provoziert, wehren sie sich energisch, auch gegen Hunde“, warnt Rathaussprecher Lennart Hellmessen und verweist auf die Hamburger Umweltbehörde www.neobiota-nord.de, wo ein Fund gemeldet werden möge. Zudem: „Obwohl die Nutrias bei uns von Farmtieren abstammen, sind es mittlerweile echte Wildtiere und auf keinen Fall Streicheltiere, wenngleich sie auch sehr zutraulich sein können.“

Simona Utecht machte bei der Umweltbehörde tatsächlich eine Sichtungsmeldung mit Geodaten. Die Altengammerin sei es zwar inzwischen schon gewohnt, „dass die Tiere beim Abendspaziergang unbeeindruckt und auch recht zahlreich meinen Weg kreuzen“. Aber jetzt erreichen sie offenbar über die Bille auch die Bergedorfer City – wo sie sich nicht einmal vom benachbarten Handwerkerlärm hätten stören lassen.

„Die Population verdoppelt sich monatlich“

Für die Jagd auf die invasive Art werden den Jägern im Bergedorfer Bezirk 30.000 Euro als Schwanzprämie zur Verfügung gestellt, verkündete jüngst die Umweltbehörde. Das reiche aber bei Weitem nicht, meint Heinz Wulf. Der Landwirt aus Kirchwerder und Vorsitzender des Wasserverbandstags Hamburg schätzt, dass sich die Population der Nutrias jeden Monat verdoppelt, der aktuelle Bestand liege bei zehn erwachsenen Tieren pro Hektar.

Hochgerechnet auf den Bezirk des Hegerings, der 34 Jagden und Eigenjagden in den Vier- und Marschlanden sowie Boberg und Bergedorf mit einer Fläche von etwa 15.000 Hektar umfasst, wären das zum jetzigen Zeitpunkt bereits 150.000 erwachsene Nutria.

Nutrias fressen Feld mit Petersilie kahl – Schaden von 130.000 Euro

Doch schon bald werden es deutlich mehr sein, warnt Wulff. Denn sie vermehren sich rasend schnell: Alle vier Monate werden im Durchschnitt acht Junge pro Wurf geboren. „Daraus folgt, dass sich die Population jeden Monat verdoppelt“, stellt der 62-Jährige fest – und rechnet: Würde man von einer Schwanzprämie von zehn Euro pro Tier ausgehen, bräuchte es dafür also allein 1,5 Millionen Euro pro Monat, sodass die von der Behörde zur Verfügung gestellten 30.000 Euro gerade einmal für einen Tag reichen würden, so Wulff.

Er selbst beklagt bereits große Verluste, denn die Nager ließen sich sich die von ihm angebaute Petersilie besonders schmecken und vernichteten auf seinem Acker am Marschbahndamm in Kirchwerder etwa fünf Hektar der Kräuterpflanze. Das habe einen Verlust von 130.000 Euro bedeutet, bilanziert Heinz Wulff, der die Vielfresser studiert hat: Eine erwachsene Nutria fresse etwa zwei Kilo Gräser, Getreide, Raps und Gemüse pro Tag. Wenn man von einem Wert von einem Euro pro Kilo ausgeht, würde täglich ein Schaden von 300.000 Euro entstehen, bilanziert der Landwirt.

Hamburgs Umweltbehörde geht davon aus, dass das Gutachten, das auch eine Kosten-Nutzen-Analyse enthalten soll, Ende dieses Monats fertiggestellt wird und die Ergebnisse im August vorliegen, wie aus einem Auskunftsersuchen der CDU hervorgeht.