Hamburg. 100 Jahre altes Unikat ist nach Umzug der Kultkneipe eingelagert und steht zum Verkauf. Geschichtskontor will ihn für Bergedorf retten.

Große Sorgen um das Herz der Kultkneipe „Engel“. Seit das mindestens 100 Jahre alte Bierlokal vor einem Monat seine angestammten Räume an der Alten Holstenstraße gleich neben der Eisenbahnbrücke aufgegeben hat, laufen drinnen massive Umbauarbeiten. Das benachbarte Restaurant „Pamukkale Köz“ will sich mit Wanddurchbrüchen und neuem Interieur auf doppelte Fläche erweitern – und da stand der historische Tresen des „Engel“ im Weg.

Als das Unikat aus Holz, Glas und verschiedenen kleinen integrierten Fässern Anfang Juni beim Verkaufsportal Ebay zur Selbstabholung auftauchte, schrillten beim Denkmalsachverständigen Dr. Geerd Dahms die Alarmglocken: „Das ist der mit Abstand älteste Tresen Bergedorfs. Nicht auszudenken, wenn der in die Ferne verkauft wird, vielleicht sogar ins Ausland. Dieser Tresen muss in Bergedorf bleiben“, sagt der Vorsitzende des Kultur- & Geschichtskontors, das am Reetwerder kaum 100 Meter vom „Engel“ entfernt sitzt.

Kultkneipe „Engel“ bietet geschichtsträchtigen Tresen bei Ebay an

Zusammen mit Kontor-Leiterin Caroline Bergen schaltete Dahms sofort das Denkmalschutzamt ein. Schließlich war der Tresen fest mit dem Gebäude verbaut, das 1888 als Bergedorfer Bahnhofshotel entstand. Gut möglich, dass er damals gleich in dessen Restaurant im Erdgeschoss mit installiert wurde. Dann wäre er jetzt 145 Jahre alt und seine geschichtliche Bedeutung so groß, dass eine Unterschutzstellung samt Ausbauverbot gemäß Hamburger Denkmalschutzgesetz möglich wäre, sagt jedenfalls Experte Geerd Dahms.

War wohl 100 Jahre Heimat der Kultkneipe „Engel“: das erste Bergedorfer Bahnhofshotel von 1888 an der Alten Holstenstraße gleich neben der Eisenbahnbrücke.
War wohl 100 Jahre Heimat der Kultkneipe „Engel“: das erste Bergedorfer Bahnhofshotel von 1888 an der Alten Holstenstraße gleich neben der Eisenbahnbrücke. © BGZ | Ulf-Peter Busse

Doch das Denkmalschutzamt winkte ab, wie die Behörde auf Nachfrage unserer Zeitung jetzt bestätigte: „Bei dem Tresen handelt es sich nicht um eine baufeste bauzeitliche Ausstattung. Auch wenn dieser lange in der Gaststätte genutzt wurde, erfüllt er nicht die Kriterien, mit unter Schutz gestellt zu sein. Entsprechend kann ein Erhalt von Seiten des Denkmalschutzamtes nicht gefordert werden“, schreibt Sprecherin Claudia Preiksch.

Tresen stand vielleicht schon im alten Bahnhofshotel von 1888

Wie dominant und vornehm das ehemalige Bahnhofshotel bei seiner Einweihung 1888 konzipiert wurde, beschreibt Dr. Agnes Seemann in der Bergedorfer Denkmaltopografie: „Das dreigeschossige verputzte Gebäude mit abgeschrägter einachsiger Ecke, hohem Erdgeschoss mit Rundbogenfenstern und segmentbogigen beziehungsweise dreieckigen Fensterverdachungen im Obergeschoss bildete den städtischen Auftakt der Stadt Bergedorf, wenn man sich ihr aus Richtung Lohbrügge näherte.“

Kein Eingang mehr durch diese Kneipentür an der Alten Holstenstraße: Das „Engel“ ist umgezogen, seine Räume werden zur Erweiterung des Restaurants „Pamukkale Köz“ umgebaut.
Kein Eingang mehr durch diese Kneipentür an der Alten Holstenstraße: Das „Engel“ ist umgezogen, seine Räume werden zur Erweiterung des Restaurants „Pamukkale Köz“ umgebaut. © BGZ | Ulf-Peter Busse

Wie alt der Tresen genau ist, gilt als unbekannt – wie es auch in der Verkaufsbeschreibung bei Ebay heißt: „Der Schrank war schon 1938 in der Kneipe im Einsatz. Und davor waren in den verbauten Fässern Medikamente, da dieser als Apothekerschrank in der ursprünglichen Variante verwendet wurde.“

Betreiber des „Engel“ hatte Tresen beim Umzug im Juni ausgebaut und eingelagert

War im Bahnhofshotel ursprünglich also auch eine Apotheke untergebracht? Dazu weiß der heutige Wirt des „Engel“ und Anbieter des Tresens nichts: „Das genaue Alter der Fässer und des Regals ist unbekannt. Das Regal ist eine Spezialanfertigung für die alten Fässer“, schreibt Sadrettin „Sertan“ Acar, der das „Engel“ 2007 als Betreiber übernommen hat.

Neue Heimat des „Engel“: Die Kultkneipe, die mit dem FC Engel in den 90er-Jahren sogar eine eigene Fußballmannschaft in der Hamburger Freizeitliga hatte, ist jetzt an der Straße Am Bahnhof gleich neben dem Bergedorfer Taxistand zu finden.
Neue Heimat des „Engel“: Die Kultkneipe, die mit dem FC Engel in den 90er-Jahren sogar eine eigene Fußballmannschaft in der Hamburger Freizeitliga hatte, ist jetzt an der Straße Am Bahnhof gleich neben dem Bergedorfer Taxistand zu finden. © BGZ | Ulf-Peter Busse

Zusammen mit Freunden und Familie hat er den massiven und damit sehr schweren Tresen bereits Anfang Juni ausgebaut und seither in einer Halle in Lohbrügge zwischengelagert. Damals ist das „Engel“ knapp 50 Meter um die Ecke gezogen und hat an der Straße Am Bahnhof auf gut einem Drittel größerer Fläche, aber ohne den ehemaligen Altbau-Charme neu eröffnet.

Die Idee, den Tresen für Bergedorf zu retten, kam beim Besuch unserer Zeitung im „Engel“ am Donnerstag gut an. Auch Wirtin und Inhaber-Partnerin Brigitte Busse sieht die Pläne des Geschichtskontors sehr positiv: „Das Herz des ,Engel’ gehört nach Bergedorf.“

„Engel“-Kneipier Sadrettin „Sertan“ Acar mit Partnerin Brigitte Busse, die ebenfalls hinter dem Tresen steht.
„Engel“-Kneipier Sadrettin „Sertan“ Acar mit Partnerin Brigitte Busse, die ebenfalls hinter dem Tresen steht. © BGZ | Privat

Geerd Dahms würde ihn gern „an einem zentralen Ort platzieren, vielleicht direkt in einer Immobilie im Sachsentor“. Vorher geht es darum, das Geld für den Ankauf einzusammeln – und mit Sadrettin Acar in Verhandlung zu treten. „Ich hoffe, dass wir uns auf einen fairen Preis einigen und Bergedorfs ältesten Tresen retten können“, sagt Geerd Dahms.