Bergedorf. Viel Kreativität steckt in dem Haus an der Hermann-Distel-Straße in Bergedorf, das schon Geschichte schrieb. So wurde daraus ein Juwel.
Auf den ersten Blick ist es eine kleine Villa an der Hermann-Distel-Straße 15. Dass sich hier neun helle Zimmer auf 264 Quadratmetern verstecken, entdeckt der Besucher ebenso erstaunt wie den großen, verwunschenen (besser gesagt: überwucherten) Garten. Das Haus, 1913 nach den Plänen des renommierten Reform-Architekten Hermann Distel erbaut, ist ein kleines Juwel – nicht zuletzt, weil es von 1959 bis 1962 als Gästehaus des Bergedorfer Industriellen Kurt A. Körber diente. Und so kann sich ein künftiger Käufer des kernsanierten Objektes im Villengebiet wunderbar vorstellen, welche bekannten Wissenschaftler, Unternehmer und Publizisten, die einst beim „Bergedorfer Gesprächskreis“ eingeladen waren, hier genächtigt haben mögen.
Zuletzt fühlte sich hier eine betagte Apothekerin heimisch – bis nach ihrem Tod eine Nachlassverwaltung die Villa zum Verkauf anbot. Die Reinbekerin Sofia Hübner zögerte nicht lange – und machte die Sanierung zu ihrem Herzensprojekt. Dabei hat die Betriebswirtin, die vom „ästhetischen Charme und der Einmaligkeit des Hauses“ schwärmt, vier Kinder zwischen drei und 14 Jahren. Aber die 42-Jährige ist bestens organisiert – auch Dank ihrer Mitstreiterin Wiebke Jacobsen. Die Architektin ist dreifache Mutter (1, 8, 12 Jahre) und liebt eine gute Taktung mit knappen Bauabläufen: Ratzfatz, von Juli bis Dezember 2023, war die Sanierung mit Fachfirmen aus der Region abgeschlossen. Dazu ein großes Lob an Bergedorfs Verwaltung: „Wir haben sehr problemlos mit dem Bezirksamt zusammengearbeitet.“
Zwei Frauen sanieren eine Villa in Bergedorf – einst auch Körbers Gästehaus
Da wurde etwa die Fassade mit einer Luftschicht gedämmt, das Satteldach samt Gauben anthrazit gedeckt, die alten Fenster und Holztüren liebevoll restauriert ebenso wie der Stuck an den fast vier Meter hohen Decken. Elektrik und Sanitäranlagen mussten auf drei Etagen getauscht werden (ein Bad leuchtet jetzt komplett in Rosé). Eine Gasheizung wird über fünf Kollektoren via Solarthermie gesteuert. „Das alles hat viel Spaß gemacht“, sagt Sofia Hübner, die für das Projekt extra eine GmbH gegründet hatte.
Zum Glück steht das Haus nicht unter Denkmalschutz, dachte Architektin Wiebke Jacobsen (46) häufiger, als sie etwa den hinteren Balkon abbrechen ließ, stattdessen eine 40 Quadratmeter große Terrasse schuf. Der Küche verpasste sie ein bodentiefes Fenster, in den Schlafzimmern verzichtete sie auf die eingebauten Einbauschränke. „Wir haben das Potenzial erkannt und wollten das alte Schöne wieder herausholen“, sagt die 46-Jährige, deren Mann ebenfalls als Architekt arbeitet, im Büro von Hadi Teherani.
Für die neuen Hausbesitzer jedenfalls gibt es jetzt reichlich Raum für viel Fantasie – etwa im Dachgeschoss: Hier wäre Platz für eine Kunstgalerie, für eine Bibliothek oder ein eigenes Atelier. Details finden sich auf der Webseite www.villa-granzin.de – benannt nach der ersten Familie, die das Haus bewohnte: Walter Granzin war Oberbaurat in Bergedorf.
Gut eine Millionen Euro wurde für die Sanierung ausgegeben, jetzt soll das Schmuckstück für 2,3 Millionen Euro abgegeben werden – möglichst an Menschen mit Sinn für Wohnstil, die froh sind, dass es keine braunen Fensterläden mehr gibt. Unterdessen haben die beiden Mütter, die zuvor bereits zwei Altbauten saniert haben, längst ein nächstes Projekt im Auge: „Wir wollen in Aumühle einen Neubau erstellen, diesmal wird es eine Hanglage sein“, kündigen sie an.
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Ihre größte Leidenschaft gilt aber weiterhin historischen Gebäuden, die sie „nachhaltig revitalisieren“ möchten: „Wir restaurieren sie behutsam und legen Wert auf Details, handwerkliche Perfektion und kompromisslose Ästhetik“, sagen die Frauen, die nur allzu oft auf unschöne Renovierungen in den 70er-Jahren stoßen und betrauern, wenn etwa ein hübsch geschwungener Balkon mit Korbbögen durch einen verglasten Wintergarten überbaut wurde – wie einst eben auch an der Hermann-Distel-Straße.