Bergedorf. Streitschrift gegen Bergedorfs kleinkarierte Stadtplanung – Lichtwarkheft-Serie (1)
. Der beherzte Streit um Bergedorfs Stadtplanung – heute mit Stuhlrohrquartier, Verkehrsplanung und Oberbillwerder wieder sehr aktiv geführt – war schon vor 100 Jahren ein Reizthema. Architekt Hermann Distel rief die Bergedorfer schon 1913 zu zivilem Ungehorsam gegen die Entscheidungen der „als Halbgötter angesehenen Oberbeamten des Bauwesens“ auf.
Seine kritische Meinung ist im neuen Lichtwarkheft (8 Euro; 104 Seiten; ab Ostern im Buchhandel) nachzulesen. Distel, seit 1910 Bergedorfer mit Villa gleich neben dem heutigen Hansa-Gymnasium, nahm in seiner Streitschrift kein Blatt vor den Mund, attestierte der Verwaltung einen mangelnden Sinn für städtebauliche Schönheit, Stil und Tradition. Sein Aufruf: „Vernünftige Bürger“ sollten sich „über das Wesen ihres Stadtplanes und die voraussichtliche Verkehrsentwicklung im Klaren sein“ – und das mit Nachdruck gegen die Verwaltung durchsetzen.
„Geschmacklosigkeiten“ findet Hermann Distel viele: Das Hansa-Gymnasium etwa, dessen massiver Baukörper im Villengebiet wirke „wie ein Ziegelstein im Perlenkollier“. Oder die massiven Bahnanlagen der Berlin-Hamburger Strecke, die damals wie heute durch die Arroganz der Eisenbahnplaner jeglichem Zugriff der Stadt entzogen bleiben.
Doch der aus Württemberg stammende Distel, der unter anderen das Hauptgebäude der Uni Hamburg entwarf, hatte auch Bergedorfer Lieblingsplätze. Dazu zählten der Schlossgarten und der Vorplatz von St. Petri und Pauli. Gegenüber der Kirche wollte er im Bereich der heutigen Haspa einen Neubau für Bergedorfs damals noch heimatloses Museum schaffen – im gleichen Stil wie das Gasthaus „Stadt Hamburg“ (heute Block-House), das er für Hamburgs schönste Gebäude hielt.
Das Museum sah Distel als wichtigen Ort, um ein Bergedorfer Selbstverständnis zu schaffen – auch für die vielen vermögenden Hamburger, deren Anwesen das Villengebiet damals auf die vierfache Größe des alten Ortskerns hatten anwachsen lassen. Seine Hoffnung: Bekennen sich die Reeder und Kaufleute zu ihrem Sommersitz, wird Bergedorf weltläufig und die Kleinkariertheit seiner Verwaltung verschwindet wie von selbst.