Lohbrügge. Alina Nettmann fürchtet Leerstand oder Abriss, wenn die HAW nach Oberbillwerder zieht – und hat Ideen für eine künftige Nutzung.
Bewundernd kommentiert Alina Nettmann die „hübschen Kassettendecken und die Qualität der tragenden Struktur“ bei ihrem Gang durch die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in der Hanglage am Ulmenliet: „Der Beton wurde sogar vor Ort gegossen und eingeschalt, das ist eine tolle Handwerksarbeit“, meint die 28-Jährige.
Monatelang befasste sie sich mit dem seit 2019 denkmalgeschützten Gebäude, dass mit knapp 32.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche schon bei seiner Fertigstellung im Jahr 1972 die Studenten beeindruckte. Doch heute sei die Lehranstalt ein „gefährdetes Denkmal“, fürchtet Nettmann.
Angehende Architektin: „Es könnte doch das neue Gymnasium hier einziehen“
Denn längst laufen die Planungen für einen Umzug nach Oberbillwerder, wo ein moderner Gesundheits-Campus entstehen soll. Ein jahrelanger Leerstand oder gar Abriss in Lohbrügge sind für Alina Nettmann aber keine Optionen. „Vielleicht kann die HAW noch einige Gebäudeteile weiternutzen. Zudem könnte die Schulbehörde hier ihr neues Gymnasium einrichten“, schlägt sie vor – durchaus zur Unruhe der erwähnten Beteiligten.
Immerhin mit einer glatten 1,0 benotete die Technische Universität Wien jetzt die Diplom-Arbeit, nachdem Alina Nettmann in Hamburg ihren Bachelor in Architektur abgelegt hatte. Die Denkmalpflege ist ihr ans Herz gewachsen, denn „wir wollen doch nicht in einer Wegwerfgesellschaft leben, lieber die schönen Bestandsgebäude sanieren“.
Zu gern hätte sie noch den Architekten kenngelernt, doch Peter Paul Schweger starb im Juni vergangenen Jahres im Alter von 87 Jahren. Einst durfte er den insgesamt 67 Millionen D-Mark teuren Neubau gestalten, an dem sich der Bergedorfer Industrielle Kurt A. Körber mit 6,2 Millionen Mark beteiligte. Damals war noch nicht zu ahnen, dass Denkmalschützer mal von der „konstruktiven Ästhetik“ schwärmen würden und dem nackten Beton als „Zeugnis des Brutalismus“.
„Bis heute ist das Gebäude in seiner Standfestigkeit nicht beeinträchtigt und wäre gut sanierbar“, ist sich Alina Nettmann sicher: „Es wurde bloß in den vergangenen 50 Jahren nicht viel gemacht, um den zeitgenössischen Charme zu erhalten. Das Eichenholzparkett im Erdgeschoss müsste man doch bloß mal abschleifen.“
Hausmeister: „Wir heizen nur für draußen“
Einer der drei Hausmeister läuft gerade mit einem Glaser durch die Mensa und schimpft: „Wir heizen diesen Bunker nur für draußen und müssen alles mit dem Denkmalschutzamt abstimmen.“ Dabei wurde wenigstens schon in der Bibliothek die Einfachverglasung ausgetauscht. Das könnte überall passieren, meint die Diplom-Ingenieurin, die „unbedingt die Alu-Fassade erhalten“ wollte.
Ein im Jahr 2018 erstelltes Gutachten im Auftrag vom „Gebäudemanagement Hamburg Universitätsbauten“ besagt, dass „für bauliche Notwendigkeiten“ geschätzt 55 Millionen Euro investiert werden müssten, Modernisierungsmaßnahmen mit 140 Millionen Euro zu Buche schlagen würden. Das Hauptgebäude mit der angebauten Maschinenhalle sowie das Hausmeistergebäude können wahrscheinlich nicht wirtschaftlich modernisiert werden“, heißt es in der Zusammenfassung der baulichen Analyse.
Daran zweifelt Nettmann jedoch: „Ein Neubau könnte das Dreifache einer Sanierung kosten. Und die Abrisskosten für einen Neubau wurden noch nicht einmal einkalkuliert“, kritisiert sie – und denkt zudem an Co-Emissionen und an die „grauen Energien“ bei der Herstellung eines Neubaus.
Schulbehörde kann sich kaum neues Gymnasium im HAW-Gebäude vorstellen
„Vielleicht kommt meine Arbeit schon zu spät für die Planung, aber noch steht ja keine Folgenutzung fest“, sagt die 28-Jährige, die sich vorstellen kann, dass wenigstens die Labore noch genutzt werden. Zudem könnte in dem 30 Meter hohen Trakt im Norden doch das neue Gymnasium für Bergedorf einziehen, schlägt sie vor: „Da sind genügend Seminarräume und Sanitäranlagen. Die Hörsäle könnten für eine Schulsprecher-Versammlung genutzt werden, und die jetzige Werkstatt ist groß genug für eine Turnhalle.“ Damit bliebe an der Billwerder Straße, wo die Schulbehörde derzeit das neue Gymnasium plant, Platz für den Wohnungsbau.
Das aber kann sich Peter Albrecht kaum vorstellen. Der Sprecher der Schulbehörde guckt zunächst besorgt auf den Kalender – und zwar auf den Beginn des nächsten Jahrzehnts, denn vorher sei nicht zu erwarten, dass die Hochschule den Lohbrügger Campus nicht mehr benötige: „Vor Mitte der 2030er-Jahre wären wohl auch Sanierung und Umbau nicht fertig. Wir haben aber bereits vorher mit steigenden Schülerzahlen zu rechnen.“ Da sei er doch sehr froh, dass die Hochbauten für das neue Gymnasium an der Billwerder Straße bereits im Herbst 2024 beginnen sollen.
Und auch die Hochschule selbst mag sich mit solchen Gedankenspielen nicht anfreunden, nicht zuletzt angesichts alter Technik und neuer Brandschutzauflagen will sie auf jeden Fall lieber einen modernen Neubau in Oberbillwerder – zumal der Campus ursprünglich für 900 Studierende geplant worden sei. „Jetzt lernen und forschen dort bereits 4000 Studierende“, heißt es auf Anfrage: „Das Hauptgebäude ist stark sanierungsbedürftig hinsichtlich technischer wie baulicher Anlagen und des Brandschutzes. Zudem würde der Standort keinen Platz für räumliche Entwicklungsperspektiven bieten.“
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Denkmalschutz allein ist kein Garant für den Erhalt
Nicht nur an die HAW und das Denkmalschutzamt hat Alina Nettmann ihre Diplomarbeit bereits verschickt, ebenso an Bergedorfs Baudezernat: „Auch Hamburgs Wissenschaftsbehörde soll sie noch bekommen“, sagt die Ingenieurin aus Schnelsen, die mit viel Engagement um den Erhalt des Bildungsbaus kämpft – allein schon „wegen der fast sakralen Wirkung der Halle“.
Öffentliche Messen und Piano-Konzerte könne sie sich dort vorstellen, auch Start-up-Büros oder den Einzug einer privaten Universität, eines Innovations-und Forschungszentrums. Bloß Wohnungen kämen nicht infrage: „Das ist schwierig wegen des Brandschutzes, der zwei Fluchtwege verlangt.“
Doch aufgeben mag sie nicht: „Saniert könnte dieses Gebäude wirklich toll aussehen“, schwärmt die angehende Diplom-Architektin, die sich auf Denkmalpflege spezialisieren möchte – und ahnt, dass Denkmalschutz allein kein Garant für den Erhalt ist, denn: „Das alte Studentenwohnheim an der Billwiese durfte letztlich ja leider auch trotz seines Schutzstatus’ abgerissen werden.“