Bergedorf. Individuelle Geschäfte geben Innenstädten das besondere Flair – doch sie sind in Gefahr. Wie sie trotz der Probleme bestehen können.
Erst Lockdowns und Lieferprobleme, dann Kriegsausbruch und Energiekrise: Hinter vielen Ladenbesitzern liegt eine harte Zeit. Die Krise des stationären Einzelhandels zeigt sich an manch leeren Schaufenstern – auch in Bergedorf. Doch viele haben durchgehalten, bieten den Krisen die Stirn. Die Redaktion hat einige der kleinen Läden besucht.
Auch an Florian Giese, Gründer des Unverpackt-Ladens Onkel Emma am Reetwerder 8, sind die Herausforderungen der vergangenen Jahre nicht spurlos vorbeigegangen: „Wenn jetzt noch irgendwas passiert, ist es vorbei“, sagt der 38-Jährige. Seit dem Ausbruch von Corona habe sich der Laden „gesund schrumpfen müssen“. Alle vier Mitarbeiter habe Giese nach und nach entlassen müssen, den letzten im November vergangenen Jahres. Jetzt schmeißt der Bergedorfer den Laden ganz alleine: Er steht hinter der Kasse, berät, arbeitet im Büro, bestellt Ware und noch viel mehr. Krank sein? „Geht einfach nicht“, berichtet Giese.
Einzelhandel in Bergedorf: So geht es den kleinen Läden
Hinzu kommt, dass der Ladeninhaber erst im Februar zum zweiten Mal Vater geworden ist. „Schlafen tue ich wegen des Ladens sowieso kaum“, sagt der Familienvater. Um das alles stemmen zu können, seien die Öffnungszeiten etwas verkürzt worden: Montags bleibt der Laden jetzt geschlossen, zusätzlich gibt es immer eine Mittagspause.
Der Kriegsausbruch im vergangenen Jahr habe von einem Tag auf den anderen dazu geführt, dass die Kunden weggeblieben seien. Generell käme in der Straße, trotz der zentralen Lage, wenig Laufkundschaft vorbei. Die Kaufzurückhaltung habe sich dann auf einem schlechten Niveau stabilisiert, bis nach den Sommermonaten die Ängste vor hohen Energiekosten bei den Menschen zugenommen haben.
Unverpackt-Laden Onkel Emma plant wieder Veranstaltungen
„November und Dezember waren wirklich super schlechte Monate, es war schlimm“, berichtet Giese. Teilweise sei nicht genug Geld dagewesen, um die Ware aufzufüllen. Auch der Marktwagen, mit dem Giese regelmäßig den Bergedorfer Wochenmarkt besuchte, musste stillgelegt werden. Nun hat der Bergedorfer zwei neue Gesellschafter mit an Board, die ihr Kapital eingebracht haben.
Das mache die Situation „machbar, aber immer noch unschön“. Immerhin sei das Sortiment jetzt wieder aufgefüllt, auch kleine Schokoosterhasen und handgemachte Pralinen sind eingezogen. Mittlerweile sind wieder Veranstaltungen geplant, so zum Beispiel „Emma am Abend“ am 29. März, wo sich Kunden auf eine kleine Gewürzreise begeben können. An der aktuell schwierigen Situation kann der 38-Jährige wenig ändern: „Ich kann mir einfach keine Marketingkampagne leisten. Es heißt jetzt einfach ,hoffen und abwarten’“. Vielleicht bringe der Frühling ja auch neue Kunden mit.
Tee-Lädchen Kräuter Meyer: Noch ist Saison
Während Florian Giese noch auf den Frühling für sein Geschäft hofft, profitiert Regine Schnelle von den ungemütlichen, kalten Tagen in Bergedorf: „Noch haben wir Saison“, erzählt die Inhaberin des Tee-Lädchens Kräuter Meyer .
In ihrem kleinen Laden an der Chrysanderstraße 15 verkauft die Bergedorferin verschiedene Teesorten, dänische Süßigkeiten, Grußkarten und Dekoartikel. Lange findet man das liebevoll eingerichtete Geschäft noch nicht in dieser Lage: Erst im Oktober 2020 zog der Teeladen vom Marktkauf-Center in Lohbrügge in die unmittelbare Nähe des Bergedorfer Schlosses. Eine gute Lage, findet Regine Schnelle, denn vor der Tür lädt auch regelmäßig der Bergedorfer Wochenmarkt zum Bummeln ein.
Geschäfte in Bergedorf: Stammkunden bleiben treu
„Viele Leute entdecken uns erst, wenn sie auf dem Weg zum Markt sind“, erzählt die 64-Jährige. Unterstützt wird sie von ihrer einzigen Angestellten, Monika Schwarz. Seit 13 Jahren arbeiten die beiden Frauen schon zusammen. Beide sind zufrieden mit den bisherigen Umsätzen im Jahr 2023. Im Januar und Februar sei schon ein deutliches Plus verzeichnet. „Letztes Jahr lief es in den Anfangsmonaten sehr viel schlechter. Die Leute waren angenervt von Corona und entsetzt vom Krieg“, sagt Inhaberin Schnelle.
Auch die Sorge, durch den Umzug viele Kunden zu verlieren, sei unbegründet gewesen: „Die meisten Kunden sind tatsächlich mitgekommen“, so Schnelle. Das liege daran, dass sich die Kunden in dem kleinen Geschäft wohlfühlen und hier immer Zeit für ein Klönschnack bleibt. Ans Aufhören denkt das eingespielte Team übrigens noch lange nicht: „Die Arbeit im Tee-Lädchen mit den Kunden macht einfach glücklich“, so Regine Schnelle.
Fußgängerzone in Bergedorf wie ausgestorben
Eine Straße weiter ist auch Christoph von Have mehr als glücklich über seine treuen Stammkunden. So verzeichnet der Inhaber der traditionsreichen Spirituosenmanufaktur Heinrich von Have am Sachsentor 32 nach eigenen Angaben trotz der Energiekrise keine Umsatzeinbußen. Schon seit 1899 besteht der Fachhandel in der Fußgängerzone und seit mittlerweile neun Jahren ist Christoph von Have alleiniger Inhaber des Familienunternehmens.
Ursprünglich belieferte der Bergedorfer in großem Stil Hotels und gastronomische Betriebe, vor zehn Jahren sei das Geschäft aber langsam zurückgefahren worden. „Dann kam Corona und ich habe zum Glück nicht mehr an die Gastronomie geliefert“, erzählt Christoph von Have. Während Corona habe der Laden zwar offen bleiben können, die Fußgängerzone sei aber plötzlich wie ausgestorben gewesen. So mussten schließlich Öffnungszeiten verkürzt, Kurzarbeit beschlossen und die Produktion sechs Wochen auf Eis gelegt werden. „Wir sind mit einem blauen Auge durchgekommen“, resümiert von Have.
In den Anfangsmonaten wird ein Umsatzplus verzeichnet
Den Kriegsausbruch und die dadurch resultierende Kaufzurückhaltung bei den Kunden habe man in den ersten Wochen „schon gemerkt“, sagt von Have. Ihm komme aber zugute, dass er kein Geschäft für den täglichen Bedarf führe: „Hier wird die Besonderheit entdeckt und dafür geben die Leute noch gerne Geld aus“, erzählt der Inhaber. Jetzt zu Ostern sei zum Beispiel der Eierlikör ein absoluter Renner.
Gespart werde dann eher im Alltag beim Wocheneinkauf. Genau wie das Tee-Lädchen Kräuter Meyer verzeichnet auch der 53-Jährige im Vergleich zu den Anfangsmonaten im vergangenen Jahr ein Umsatzplus. Das liege daran, dass viele Leute Abstand zum Krieg gewonnen hätten und auch die letzten Corona-Einschränkungen gefallen sind. Es herrsche ein „Entspannungsmoment“.
Sachsentor Buchhandlung ein Gewinner der Corona-Krise
Den Entspannungsmoment merkt auch die Sachsentor Buchhandlung: Seit 1986 besteht das kleine Familienunternehmen in zweiter Generation in der Fußgängerzone in Bergedorf, Inhaber Jörg Johannsen hat die Leitung von seiner Mutter übernommen. „Die Corona-Zeit ist für uns sehr gut gelaufen“, berichtet Ulrike Kirschner, die hier seit 33 Jahren als Buchhändlerin arbeitet. „Die Kunden haben unseren Laden regelrecht gestürmt“, so Kirschner weiter.
Während des ersten Lockdowns habe der Buchhandel zwar schließen müssen, Auslieferungen seien aber möglich gewesen. Darauf stellte sich die Belegschaft ein und belieferte die Kunden zu Hause. „Das hat auch die Kundenbindung gestärkt, schließlich ist das eigene zu Hause etwas sehr persönliches“, sagt die 61-Jährige lächelnd. Irgendwann habe der Buchladen als Handel für den täglichen Bedarf wieder normal öffnen können. Die Nachfrage nach Büchern sei in dieser Zeit deshalb so extrem gestiegen, weil alle Kultureinrichtungen geschlossen waren, vermutet Kirschner.
Lage nach Kriegsausbruch schwieriger geworden
„Wir haben sehr positive Erfahrungen gemacht“, resümiert sie. Allerdings sei die Lage nach dem Kriegsausbruch sehr viel schwieriger geworden. Das liegt laut Kirschner aber nicht an der Kaufzurückhaltung von Kunden: „Bücher werden oft verschenkt und Geschenke kaufen die Kunden auch während der Energiekrise.“ Viel problematischer seien die gestiegenen Transportkosten für Bücher: „Fast jeden Monat wird der Transport teurer. Auch die Kosten für den Shop und bei den Verlagen steigen“, sagt die Bergedorferin.
Ein weiteres Problem sei der Leerstand in der Bergedorfer Innenstadt. Seit Karstadt weg ist, sei die Kundenfrequenz extrem gesunken. Auch fehlende Parkplätze führe zum Wegbleiben vieler Menschen.„Viele Kunden kommen aus den Vier- und Marschlanden und können hier nicht parken. Dann fahren sie stattdessen nach Wentorf“, erklärt Kirschner die Situation. Deshalb seien die Mitarbeiter immer sehr erfreut über neue Gesichter.
Kaffeeröster Timm ist gut durch die Corona-Krise gekommen
Ein paar Läden weiter erzählt auch Stefan Müller, Geschäftsführer von Kaffeeröster Timm, von seinen Erfahrungen während der Corona-Pandemie. Seit 1933 werden in dem Geschäft am Sachsentor 15, direkt in der Bergedorfer Innenstadt, Kaffeebohnen, Tee und verschiedene Süßwaren verkauft. „In der ersten Zeit war die Fußgängerzone einfach leer, sodass der Blumenladen gegenüber seine Blumen verschenken musste. Das war wirklich beängstigend“, erzählt der 48-Jährige. Schon während seiner Schulzeit jobbte er in der traditionsreichen Rösterei. Dann verließ er die Rösterei und stiegt 2019 als Geschäftsführer wieder ein. Nach und nach löst er nun Elke Timm als Inhaberin des Familienunternehmens ab.
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Dieses sei trotz der ungewissen Anfangszeit „gut durch die Corona-Krise gekommen“. Der Besuch in der Rösterei, die die gesamte Zeit über geöffnet bleiben konnte, sei für viele Kunden ein Highlight in einer trostlosen Zeit gewesen, erklärt der Bergedorfer. Leider ist die Unsicherheit mit Ausbruch des Krieges wiedergekommen: Die Sorge um die Verfügbarkeit von Öl sei in den ersten Monaten ein großes Thema gewesen, da der Kaffeeröster nur mit Öl funktioniere.
Geschäfte in Bergedorf: Auswirkungen der Energiekrise spürbar
Auch jetzt seien die Auswirkungen der Krise noch deutlich spürbar: „Wir tasten uns im Nebel voran, weil wir nicht planen können“, sagt Müller. Jede Lieferung und Personalplanung müsse mittlerweile kurzfristig und spontan getätigt werden. Da aber auch die Lieferanten ihre Prozesse umgestellt haben und viele nur noch nach einer Bestellung produzieren, sei es schon mal möglich, mehrere Wochen auf Ware zu warten. Hinzu komme, dass die Preise in allen Bereichen der Rösterei angehoben werden mussten.
„Teilweise fallen jetzt auch ganze Produkte weg, weil sie zu teuer geworden sind und die Nachfrage der Kunden dadurch nicht mehr da ist“, erzählt der Geschäftsführer. Im Sommer habe er die Kaufzurückhaltung bei vielen deutlich gespürt. Mittlerweile habe sich die Lage in der Kaffeerösterei aber wieder entspannt: „Wir sind jetzt seit drei Jahren im Krisenmodus. Dadurch haben wir auch gelernt, krisensicher zu arbeiten“, so Müller. Auch die Kunden seien wieder entspannter geworden, wenn auch immer noch preissensibel. Wie seine Mitbewerber verzeichnet Müller in den ersten Monaten des Jahres ein Umsatzplus im Vergleich zum Vorjahr. Jetzt vor Ostern laufe das Geschäft für das Traditionsunternehmen gut.