Bergedorf. Immer höhere Anforderungen an die Beschicker, als Folge ein Nachwuchsmangel: Wilfried Thal fordert mehr Hilfe für Kleinunternehmer.
Längst sind sie sichtbar, die Lücken auf etlichen Wochenmärkten: Stände, die nicht mehr aufgebaut werden, Beschicker, die aufgegeben haben. Keine saisonalen Einzelfälle, sondern Ausdruck eines ernsten Strukturproblems, das die Wochenmärkte in Bergedorf und weiten Teilen Hamburgs bedroht, warnte jetzt Wilfried Thal im Bergedorfer Wirtschaftsausschuss: Der Präsident des Landesverbandes des Ambulanten Gewerbes zeichnete ein düsteres Bild für die Zukunft der Wochenmärkte: „Wir haben bereits eine ganze Generation verloren“, sagte er mit Blick auf neue Marktbeschicker. Hauptgrund: Die überbordende Bürokratie für Kleinunternehmer, die viele Betriebsnachfolger dankend abwinken lasse.
Thal – bis vor Kurzem auch Präsident des Bundesverbandes – kann eine Reihe von Beispielen nennen. Ganz neu etwa sei, dass sich jeder Betrieb in einem Register namens Lucid anmelden muss. Dort muss er angeben, woher die Verpackungen stammen, die er an Verbraucher weitergibt – aus welchem Material diese sind, wie viele davon verkauft wurden und einiges mehr. Der Gedanke dahinter: Woher kommt der Müll, wo geht er hin? Das zu erfassen sei auch alles „gut und wichtig“, meint Thal. Doch er fordert Ausnahmen für Kleinunternehmer, die oft nur wenige Menschen beschäftigen und die ja nicht nur auf dem Markt verkaufen, sondern meist auch noch ihre Betriebe führen müssen. Und deren Tag oft mitten in der Nacht beginnt.
Demnächst soll auch noch die Maut für 3,5-Tonner kommen
Stattdessen gebe es immer neue Hürden: „Jetzt möchte die schwedische EU-Ratspräsidentschaft eine bessere Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel“, nennt er ein weiteres Beispiel. Das solle digital geschehen und bitte jeden Tag eingegeben werden. Dabei biete ein Wochenmarkt ohnehin maximale Transparenz: „Jeder Händler kann sagen, woher sein Porree und sein Fleisch kommen.“ Behandelt aber werden die Kleinunternehmer stets so, als wären sie große Betriebe mit vielen Mitarbeitern im Büro. 2024 solle dann beispielsweise auch noch die Maut für 3,5-Tonnen-Lkw kommen: „Dann muss jeder Lieferwagen mit Anhänger ein Mautgerät einbauen“, so Thal. Und Maut bezahlen, selbst wenn er nur von Allermöhe zum Wochenmarkt nach Bergedorf fährt.
„Viele junge Leute sagen sich: Das Geld kann ich leichter verdienen“, stellte Thal mit Blick auf die Nachfolge in vielen Betrieben fest. Das sei nicht nur auf dem Wochenmarkt so, ähnliches gelte für andere Kleinbetriebe wie Bäckereien oder Schlachtereien, von denen viele aufgeben. Hinzu kommen andere Probleme: aktuell die hohen Energiepreise, die große Konkurrenz zu den Supermärkten und die älter werdende Kundschaft.
Die Märkte erfinden sich aber immer wieder neu
Dabei sind die Wochenmärkte trotz allem ein Erfolgsmodell, zumindest an einzelnen Standorten. Aktuell gebe es zwar große Umsatzverluste, aber nicht dort, wo die Kunden nicht auf den Cent achten müssen. Und generell sei der Wochenmarkt ein „Stück Stadtteilkultur“ und stehe auch für sehr moderne Werte: Nachhaltigkeit, kurze Lieferwege, bewusste Ernährung. „Die Wochenmärkte erfinden sich auch immer wieder neu“, so Thal, der zuweilen neue Stände etwa mit syrischen oder libanesischen Spezialitäten entdeckt. Es müsse aber verhindert werden, dass die wenigen jungen Idealisten später entnervt aufgeben – wie schon oft geschehen.
Thal würde sich mehr Unterstützung auf Bundes- und EU-Ebene wünschen, auch kein weiteres Drehen an der Gebührenschraube. „Wir wollen nichts geschenkt“, sagt er. Doch kleinen Unternehmen dürfe nicht mehr viel mehr übergestülpt werden. „Sonst gehen die kaputt.“
„Die Bezirksämter geben sich hier viel Mühe“
Auch Obstbauer Heiko Meyer aus dem Alten Land, der seine Waren etwa auf dem Markt in Bergedorf-West verkauft, meint, dass der Verwaltungsaufwand für die Beschicker „immer größer“ wird. Und es sei schwierig, Nachwuchs für die Wochenmärkte zu finden. Der 42-Jährige, der mit dem Markt-Leben aufgewachsen ist, aber zunächst Bankkaufmann lernte, freut sich, dass seine Kinder in den Ferien auch gerne mal mit zum Markt kommen und helfen. Nach der Schule sollen sie aber erstmal „etwas Richtiges lernen“, meint er. Dann bliebe immer noch genug Zeit, eventuell den Stand zu übernehmen. Denn insgesamt ist der Obstbauer sehr zufrieden mit der Lage auf dem Wochenmarkt: „Die Bezirksämter geben sich hier viel Mühe, mit dem Marktleiter klappt auch alles super.“ Auch Sorgen, dass die Kunden wegbleiben, macht er sich nicht.
Jeden Tag zwölf bis 14 Stunden Arbeit
Doch dass sich die Reihen auf den Märkten weiter lichten, fürchten auch andere Händler. Etwa Volker Zwick: Wenn der 50-Jährige irgendwann in Rente geht, bedeutet das für seinen Blumenstand wohl das Aus, meint er. Er beobachtet, dass immer mehr Stände und Händler verschwinden: „Viele fallen aufgrund des Alters weg und keiner fängt neu an“, berichtet er. Er selbst arbeite zwischen zwölf und 14 Stunden täglich – und für viele junge Menschen sei das nicht reizvoll.
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Auch für Nicole Mißfeld beginnt der Arbeitsalltag um 5 Uhr morgens. Die 52-jährige Angestellte fährt dann mit dem großen Käsewagen von ihrem Zuhause in Marschacht nach Bergedorf auf den Wochenmarkt. Sie meint: „Ich glaube, dass wenig Nachwuchs bereit ist, früh aufzustehen und lange zu arbeiten.“ Viele seien es auch gar nicht gewohnt, so viel in Kontakt mit den Kunden zu stehen. Sie selber genieße aber die kurzen und auch langen Gespräche, die sich während des Arbeitsalltags ergeben – und wünscht sich, dass wieder mehr junge Menschen „Spaß daran finden, unter Leute zu gehen und dort zu arbeiten“.