Bergedorf. Roma und Sinti unterm Nationalsozialismus – darüber spricht Rudko Kawczynski mit Schülern und äußert Kritik an Ausgrenzung von Russen.

Wie aktuell sind Ausgrenzung, Diskriminierung und sprachliche Gewalt im Alltag? Das sind die Themen, die Jugendliche beschäftigen und zum Nachdenken anregen. Doch es stellt sich für sie die Frage, welche Verbindung es zwischen den Gräueltaten der Nazis und der heute wahrnehmbaren Ausgrenzung und Verrohung gibt. Er sei offen für alle Fragen und freue sich auf die Jugendlichen der Bergedorfer Stadtteilschule, sagt der durchaus diskussionsfreudige Rudko Kawczynski. Er ist für Freitag, 11. November, zu einem Gespräch an den Ladenbeker Weg eingeladen. Das Thema in der Woche des Gedenkens: Roma und Sinti unterm Nationalsozialismus.

Der Präsident des in Hamburg ansässigen Vereins „Rom und Cinti Union“, dessen Familie 1956 von Krakau über Österreich nach Deutschland geflohen war, setzte sich dafür ein, dass es eine Roma-Vertretung im Europarat gibt. In Hamburg ist er zudem Mitglied des Integrationsbeirates und Mitglied der Stiftung „Hilfe für NS-Verfolgte“. Der Mann engagierte sich bei der SPD und den Grünen, organisierte Streiks, Straßenblockaden und Märsche gegen die Abschiebung von Asylsuchenden. Derzeit ist es vor allem der Krieg in Europa, der ihn besorgt. Seinem Vortrag in Bergedorf, gern mit deftig-deutlichen Bildern, dürfen übrigens auch interessierte Gäste lauschen.

Roma in der Ukraine nicht willkommen

„Wir Roma sind eine europäische Nation ohne Staat. Wir denken nicht in Grenzen, wir sind Europäer“, sagt der 67-Jährige, der sich um eine historische Einordnung und um Aufklärung bemühe – nicht nur im Rückblick auf die Verbrechen an Juden und Roma. Auch gerade jetzt inmitten des russischen Angriffskriegs in der Ukraine: Auf beiden Seiten leben drei bis vier Millionen Menschen aus der Gruppe der Roma, schätzt er – und fürchtet, sie „werden in der Armee als Kanonenfutter an der Front verheizt“. Insbesondere in der Ukraine: „Die wollten ein ethnisch reines Land gründen, da wurden wir leider nur geduldet“, urteilt er. Russland hingegen sei schon immer ein Vielvölkerstaat gewesen, mit zahlreichen Religionen und Sprachen: „Da werden wir anerkannt.“

Und so blickt Kawczynski mit großer Sorge auf die Entwicklung, die sich nur mit Diplomatie und nicht mit Waffen lösen lasse. Besondere Vorsicht sei aktuell auch in Deutschland geboten, wo die Tagesschau vielfach über deutsche Waffenlieferungen berichtet, die Russen derzeit in der Gesellschaft missachtet würden: „Die Musiker dürfen hier nicht mehr auftreten, russische Dichter werden nicht mehr aufgeführt“, sagt Rudko Kawczynski.

Kawczynski wünscht sich mehr Neutralität von Politikern

Die Politik habe nicht ausreichend aus dem Dritten Reich gelernt, nicht klar genug Konsequenzen gezogen, um „AfD-Nazis“ zu vermeiden: „Den rassistischen Nationalismus in Deutschland heute zu leugnen, wäre politischer Blödsinn, wäre Bullerbü“, meint der Mann, der sich von deutschen Politikern mehr Neutralität wünscht. Und doch sei der aktuelle Krieg „nicht unser Krieg, sondern ein Bürgerkrieg, der übrigens schon vor acht Jahren begonnen hat“, so Kawczynski – und stellt kapitalistische Interessen in den Vordergrund: Machtbesessene Millionäre in den USA und nach England geflüchtete Oligarchen stünden hinter dem „Kampf um den Donbass, um den Speckgürtel, den sie ausbeuten wollen“.

Frieden wünschen sich die Roma und Sinti, denn „unser Volk, das seit über 900 Jahren auf europäischem Raum lebt, hat noch nie einen Krieg angefangen. Wir waren immer nur Opfer und Geflohene“, sagt Kawczynski, der einen zunehmenden Antiziganismus in Deutschland beobachte.

In Hamburg, so Kawczynski, leben etwa 60.000 Sinti und Roma, die vor allem Sozial- und Rechtsberatung anfragen, 8000 bis 9000 Beratungen zähle die „Rom und Cinti Union“ jährlich. Was steht ganz oben auf dem Wunschzettel der Organisation? „Wir brauchen mehr Aufklärung und müssen in den Schulen über unterschiedliche Kulturen und Religionen unterrichten. Nur so erlangen wir mehr Empathie für andere Menschen“, sagt der Mann, der die deutsche und die polnische Staatsbürgerschaft hat.

Interessierte Gäste sind willkommen – per E-Mail anmelden

Er freue sich sehr auf die neugierigen Fragen der GSB-Schüler – und sei den Austausch mit unterschiedlichen Altersgruppen gewohnt. Schließlich habe er selbst vier Kinder, dazu drei adoptierte Kinder. „Und inzwischen sind es auch zwölf bis 14 Enkel und schon fünf Ur-Enkel.“ Wer die Diskussion um gesellschaftspolitische Entwicklungen im Zeighaus zwischen 12 und 13.30 Uhr hören möchte, kann sich gern an die Stadtteilschule wenden: Außerschulische Gäste mögen sich per E-Mail bei der Lehrerin Patricia Reimers anmelden unter patricia.reimers@stsbergedorf.de. Sie hoffe, dass durch die Diskussion ein Bogen ins Heute geschlagen wird, „gegen Diskriminierung und Rassismus, gegen Faschismus – und für eine freie Gesellschaft und Demokratie, in der so ein langes Engagement wie das von Herrn Kawczynski für Menschen- und Bürgerrechte ein großartiges Vorbild für unsere Schülerinnen und Schüler sein kann“.