Altengamme. Das Ehepaar Sieveking setzt sich für Völkerverständigung ein. Wie sie auch Geflüchteten aus der Ukraine helfen.
Zu dem Zeitpunkt, als sie sich kennenlernten, da fühlte sich alles nach Aufbruch an: Es war im Frühjahr 1995 in St. Petersburg. Das Ende des Zweiten Weltkriegs lag bald 50 Jahre zurück. Und zu diesem Anlass gastierte das Hamburger Jugendorchester an der russischen Ostsee, um in der Partnerstadt Hamburgs gemeinsam mit einem Chor des Konservatoriums zu musizieren. „Die Hoffnung, dass West- und Osteuropa sich auf eine neue gemeinsame Zukunft besinnen, war damals allgegenwärtig“, berichtet der Altengammer Martin Sieveking, der auf der Reise nicht nur Land und Leute, sondern auch die Liebe seines Lebens kennenlernte: Ehefrau Polina folgte ihm zwei Jahre später aus St. Petersburg in die Vierlande.
Umso mehr schmerzt es das deutsch-russische Paar, dass die Aufbruchsstimmung und die positiven Gefühle, die sie stets mit dieser Zeit verbunden haben, seit dem 24. Februar plötzlich in Scherben liegen. „Als Russin und Petersburgerin stehe ich den Kriegshandlungen Russlands in der Ukraine sehr kritisch gegenüber. Es fällt mir schwer, das anzunehmen“, erklärt Polina Sieveking. Die 48-Jährige, die als Coach tätig ist und ebenso wie ihr Ehemann an einer Schule Musik unterrichtet, erinnert sich, wie ihre Großeltern, die die Blockade von Leningrad überlebt haben, einst auf ihre Beziehung mit einem Deutschen reagiert haben: „Meine Großmutter hat meine Ehe mit einem Deutschen bejaht mit den Worten, dass wir uns alle kennenlernen müssen, damit sowas nicht noch mal passiert.“ Als Mitglied des Vorstandes der Deutsch-Russischen Gesellschaft in Hamburg setze sie sich daher mit allen Mitteln für die Völkerverständigung ein.
Polina Sieveking dolmetscht, setzt sich für Völkerverständigung ein
Als im Frühjahr die ersten Ukrainer, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flüchteten, in Hamburg ankamen, dolmetschte Polina Sieveking für eine ukrainische Familie in der Nachbarschaft und auch bei der zentralen Registrierungsstelle. In der Kirchengemeinde Neuengamme bot sie für Geflüchtete Unterricht in deutscher Sprache an. Doch häufig sei man gar nicht dazu gekommen, Deutsch zu lernen, hätten vielmehr Gespräche über die aktuelle Situation und Sorgen die Szenerie überlagert. „Die Frauen bringen viele Sorgen mit, und je länger der Krieg andauert, desto mehr Ungeduld und Verzweiflung lassen sie erkennen. Vor allem die Kinder sind verzweifelt“, sagt Polina Sieveking.
Martin Sieveking fürchtet, dass in Vergessenheit gerät, was in der Ukraine passiert
Je länger der Krieg in der Ukraine andauere, desto mehr lasse die Berichterstattung in den Medien nach, gerate mehr und mehr in Vergessenheit, was derzeit in der Ukraine passiert. Nun sei der Krieg im Hinblick auf einen drohenden Gas-Engpass zu einem Wirtschaftsthema geworden, meint Martin Sieveking.
Die menschlichen Schicksale würden in den Hintergrund treten, dabei sei es weiterhin wichtig, den Menschen einen Hafen zu bieten. „Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede. Aber wenn man die Bereitschaft hat, sich darauf einzulassen, gibt es die Chance, vieles gemeinsam zu gestalten“, ist Polina Sieveking sicher.
Die Eltern eines Sohns und einer Tochter sind überzeugt, dass persönliche Kontakte, gerade bei Kindern, eine große Rolle spielen. „Gemeinsame Erlebnisse in der Freizeit helfen auch beim Lernen einer Sprache mehr als ein strikter Stundenplan“, betont Martin Sieveking.