Hamburg. Der Hamburger Onlinehändler Otto setzt sich für Klimaschutz und Vielfalt ein. Bis 2031 sollen Emissionen um 42 Prozent gesenkt werden.

Das Hamburger Unternehmen Otto hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Wenn Otto.de eine Waschmaschine verkauft, dann soll sie künftig auch beim Kunden mit grünem Strom betrieben werden. Der Onlinehändler stellt den Klimaschutz konsequenter als die meisten anderen Unternehmen in seinen Fokus. Im Podcast „Komplizen für die Zukunft“, den das Hamburger Abendblatt gemeinsam mit der Hamburger Volkshochschule veröffentlicht, spricht Abendblatt-Redakteur Berndt Röttger mit Marc Opelt, dem Vorstandssprecher von Deutschlands größtem Onlinehändler, über Klimaschutz und Nachhaltigkeit, über die Bedeutung von Diversität und den Wert unserer Demokratie – über Onlinehandel und das lokale Geschäft in der Innenstadt.

Hamburger Abendblatt: Otto … find ich gut! Mit dem Slogan warb der damalige Hamburger Otto-Versand in den 80er-Jahren. Wenn man sich die ehrgeizigen Ziele auf der Unternehmenswebseite des heutigen Onlinehändlers Otto.de anschaut, könnte man heute sagen: Otto … findet Klimaschutz gut! Ist das so, Herr Opelt?

Marc Opelt: Der Klimaschutz war schon immer in der DNA von Otto verwoben. Ich bin jetzt seit mehr als 30 Jahren dabei – schon im ersten oder zweiten Jahr hatten wir recyceltes Papier. Zu einer Zeit, in der andere über Umweltthemen noch gar nicht gesprochen haben, war das schon Teil unserer Strategie. Wir haben das über die Jahre immer weiterentwickelt und sind an vielen Stellen Vorreiter. Das gilt für den Klimaschutz, aber auch zum Beispiel für die Frage, welche Verpackung wir benutzen oder wie wir recyclen. Wir haben eine komplette Kollektion, die zu 100 Prozent wieder in den Kreislauf zurückgeht. Wir haben uns darum beworben Teilnehmer der Science Based Target Initiative zu werden. Das sind sehr, sehr hohe Aufwendungen, aber eben auch ein ganz starkes Bekenntnis dazu, dass wir unser Geschäft ganz eng verbinden mit ambitionierten Nachhaltigkeitszielen.

podcast-image

Sie meinen damit die Ankündigung von Otto, bis 2031 die Treibhaus-Emissionen in seinem Geschäft um 42 Prozent zu senken. Was machen Sie da genau?

Die Science Based Targets sind meiner Ansicht nach der einzige wissenschaftlich gestützte Ansatz, mit dem wir es wirklich schaffen können, die Klimaziele von Paris erreichen. Warum ist dieser Ansatz so anders? Heute setzen sich alle engagierten Unternehmen ihre eigenen Ziele. Auch wir haben uns natürlich über die vergangenen Jahre sehr genau unseren CO2Ausstoß angeschaut und ihn reduziert. Die Science Based Target Initiative geht jetzt einen Schritt weiter. Hier müssen wir als Unternehmen auch Verantwortung dafür übernehmen, dass die Produkte, die wir verkaufen, auch bei unseren Endkunden möglichst klimaschonend eingesetzt werden.

Also wenn wir zum Beispiel eine Waschmaschine verkaufen, dann müssen wir uns sehr stark darum bemühen, dass unsere Kunden diese möglichst mit grünem Strom betreiben. Wir diskutieren deshalb gerade sogar, ob wir eventuell deshalb sogar selbst in den Stromvertrieb einsteigen, um sicherzustellen, dass bei der Verwendung unserer Produkte möglichst wenig weiteres CO2 entsteht. Mit diesem Ansatz der Verantwortung von der Zulieferung und der Produktion über den Verkauf und Betrieb beim Endkunden entsteht eine deutlich höhere Verbindlichkeit der Klimaziele. Das ist ein komplizierter Prozess.

Otto: Kaufentscheidende Kriterien sind Preis, Auswahl und Verfügbarkeit

Das klingt in der Tat doch komplizierter und engagierter, als sich durch Klimazertifikate „freizukaufen“. Verändert das nicht am Ende Ihr Geschäftsmodell und die Frage, welche Produkte Sie in Zukunft verkaufen?

Ja, absolut. Aber wir sind zutiefst davon überzeugt, dass das der einzige Weg ist, diese hohen Klimaziele zu erreichen. Und ja, die Science Based Targets werden auf jeden Fall einen Einfluss darauf haben, wie wir unser Angebot gestalten. Das gilt übrigens nicht nur für unsere eigenen Verkäufe, sondern auch für unseren Marktplatz, über den andere Händler bei uns verkaufen. Wir werden Produkte auch vom Marktplatz nehmen, die gegen unsere Klimaziele verstoßen. Das bedeutet aber auch: Wenn andere hier nicht mitmachen und ebenfalls umstellen, werden wir hier im Zweifel Wettbewerbsnachteile haben. Denn im Augenblick sind viele Kundinnen oder Verbraucher noch nicht wirklich bereit, für den Klimaschutz mehr Geld auszugeben.

Otto ist schon immer absoluter Überzeugungstäter gewesen.
Marc Opelt - Vorstandssprecher von Otto.de

Aber Sie sind davon überzeugt, dass das Bewusstsein und auch die Bereitschaft, dafür etwas mehr auszugeben, bei den Kunden wächst?

Ich hoffe das! Aber wenn ich ganz ehrlich bin, hoffe ich das seit vielen Jahren. Bislang ist es nicht wirklich eingetreten. Natürlich genießt das Thema eine größere Aufmerksamkeit als früher. Aber wenn Sie sich aktuelle Marktforschungen anschauen, dann sind kaufentscheidende Kriterien immer noch Preis, Auswahl und Verfügbarkeit. Nachhaltigkeit finden Sie erst relativ weit unten auf der Liste. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir nur dann große Nachhaltigkeitsziele für Hamburg, für Deutschland, für Europa erreichen werden, wenn sich die Kundinnen und Kunden über die Folgen ihres Konsums bewusst sind. Es gibt immer Phasen, in denen sie als Unternehmen in Vorleistung gehen müssen – und genau in einer solchen Phase befinden wir uns aktuell. Wenn wir erst warten, bis unser Kunde aktiv danach fragt, dann sind bestimmte Nachhaltigkeitszüge abgefahren. Da bin ich zutiefst von überzeugt.

Das sind die „Komplizen für die Zukunft“

Den Podcast können Sie unter www.abendblatt.de/podcast/komplizen-fuer-die-zukunft sowie in der eigenen Podcast-App des Hamburger Abendblatts und auf allen gängigen Podcast-Plattform hören. Mehr Infos zu den Veranstaltungen: www.vhs-hamburg.de/komplizen

Der Podcast erscheint alle 14 Tage jeweils donnerstags mit einer neuen Folge. Was verbirgt sich hinter „Komplizen für die Zukunft“? Die Idee zu der Reihe ist in der Vorbereitung des 100. Geburtstages entstanden, den die Volkshochschule 2019 gefeiert hat.

Zu den teilnehmenden Institutionen und Personen der vergangenen Jahre gehörten unter anderem Hamburgs Oberbaudirektor, das Tropeninstitut, das Ohnsorg-Theater, die Obdachlosen-Initiative „Hinz&Kunzt“, der Otto Versand, das Museum der Arbeit, Schulsenator Ties Rabe, Bezirksamtsleiter, aber auch viele kleinere Stiftungen und Initiativen.

Gebäude ist ein klares Bekenntnis zur Nachhaltigkeit

Sie haben gerade eine neue Firmenzentrale in Bramfeld bezogen. Auch dort spielt das Thema Nachhaltigkeit eine große Rolle. Was haben Sie hier gemacht?

Unser Firmencampus in Bramfeld ist seit 1949 immer weiter gewachsen. Früher hatten wir hier die gesamte Abwicklung unseres Geschäftes vor Ort. Hier waren die Kommissionierlager, Hochregallager, alles befand sich auf dem Campus. Irgendwann hatten hier keinen Platz mehr für die großen, neuen Läger und haben diese an anderen Stellen in Deutschland und der Welt gebaut. Und dann haben wir angefangen, alte Gebäude zu überarbeiten. Dieses Gebäude, in das wir mit unserer Unternehmenszentrale eingezogen sind, ist ein altes Lagergebäude. Übrigens wurde es von dem Hamburger Architekten Werner Kallmorgen erbaut, der auch den Kaispeicher A – also den Sockel der Elbphilharmonie – entworfen hat.

Wir haben in die Mitte des Gebäudes ein riesiges Atrium herausschneiden lassen – durch alle Stockwerke. Dadurch ist in dem eher dunklen Lagergebäude ein gigantischer Lichtschacht entstanden. Und das Wunderbare daran ist, dass nicht nur ein unglaublich schönes Gebäude entstanden ist, sondern dass es ja auch ein Bekenntnis zu unserer DNA ist. Wir betreiben Handel – und unsere Büros befinden sich in einem ehemaligen Warenlager. Dieses Gebäude ist einfach auch von der Beleuchtung, von den Blickachsen her ein sehr modernes Gebäude, was natürlich sehr stark auch auf die neuen Arbeitsweisen ausgerichtet ist. Aber es ist eben auch ein klares Bekenntnis zur Nachhaltigkeit und zu unserer Historie.

Das Atrium der neuen Otto-Firmenzentrale in Hamburg. Der Unternehmenssitz ist jetzt in einem ehemaligen Lager untergebracht.
Das Atrium der neuen Otto-Firmenzentrale in Hamburg. Der Unternehmenssitz ist jetzt in einem ehemaligen Lager untergebracht. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

„Wir haben in diesem Gebäude 170 Meetingräume“

Was für ein toller Gedanke. Aber was zeichnet das Gebäude neben der „Wiederverwendung“ noch aus?

Wir haben bei Otto.de über 3000 Beschäftigte hier in Hamburg. Im neuen Gebäude gibt es 1600 Arbeitsplätze im sogenannten Open Space. Es gibt also keine festen Arbeitsplätze in diesem Gebäude. Man bucht sich einen Platz über ein Buchungssystem. Ich habe auch kein festes Büro mehr. Vor sieben Jahren entstand die Idee für dieses Gebäude. Vor fünf Jahren begannen die Bauarbeiten – die Anforderungen haben sich seitdem immer weiter verändert. Natürlich wussten wir damals schon, dass wir Technik für hybride Meetings brauchen. Aber wir haben den Anteil der Flächen, auf denen kreatives Arbeiten stattfinden kann, noch mal deutlich erhöht. Wir haben in diesem Gebäude 170 Meetingräume unterschiedlichster Größe.

Ein Meetingraum der neuen Otto-Firmenzentrale in Hamburg – 170 Meetingräume gibt es insgesamt in der neuen Zentrale.
Ein Meetingraum der neuen Otto-Firmenzentrale in Hamburg – 170 Meetingräume gibt es insgesamt in der neuen Zentrale. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Inwieweit hat die veränderte Arbeitswelt seit der Corona-Pandemie da eine Rolle gespielt?

Wir haben das Gebäude im Bauprozess fortlaufend an die Anforderungen an mobiles Arbeiten angepasst – aber auch versucht, es besonders schön zu machen. Ich glaube daran, dass die Schönheit und auch die Praktikabilität dieses Gebäudes ein hoher Attraktionsfaktor sein werden. Und ganz ehrlich: Wenn ich jetzt meine Besucher unten ins Forum führe, dann ist das sehr beeindruckend, und es macht mich unglaublich stolz. Das war mit über 100 Millionen Euro ein riesiges Investment der Familie für den Standort Hamburg.

Mehr Komplizen für die Zukunft

Stadtplanerin Sabine de Buhr: Wilhelmsburg wird richtig cool

Bettina Grevel vom Atelier Freistil: „In der Hamburger Kunsthalle ausstellen, das wäre ein Traum“

Daniela Wurbs vom Projekt KickIn!: „Als Frau im Fußball habe ich offenste Diskriminierung erlebt“

Seenotretter Dariush Beigui: „Wenn 120 Menschen einfach weg sind, ist das Meer der stillste Ort“

Rüdiger Siechau, Geschäftsführer der Stadtreinigung Hamburg: „Wir müssen bei der Personalauswahl genau hinschauen“

„Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass in der Vielfalt extrem viel Kraft steckt“

Otto engagiert sich aber nicht nur für den Klimaschutz…

Otto ist schon immer absoluter Überzeugungstäter gewesen. Wir sind seit vielen Jahrzehnten der Ansicht, dass in einer vielfältigen Gesellschaft – und so möchten wir auch unser Unternehmen sehen – viel mehr Kraft, viel mehr Freude, viel mehr Gemeinsamkeit und damit übrigens auch viel mehr Leistung steckt. Also, wir sind zutiefst davon überzeugt, dass in der Vielfalt – sei es beim Geschlecht, der sexuellen Orientierung, der Religion, der Kultur oder der ethnischen Hintergründe – extrem viel Kraft steckt. Es gibt auch viele Studien dazu, die zeigen: Wenn ich ganz unterschiedliche Menschen beteilige – an der Arbeit, an den Meetings, aber auch an den Entscheidungsprozessen – und sie zu Wort kommen lasse, dann erziele ich ein besseres Ergebnis. Wir sind der Meinung, dass man als Unternehmen auch in solchen Themen Verantwortung übernehmen muss und ein klares Bekenntnis ablegen muss.

Otto ist immer stärker zu einem Technologieunternehmen geworden.
Marc Opelt - Vorstandssprecher von Otto.de

Macht es nicht das Unternehmen auch attraktiver für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Absolut! Neben mobilem und flexiblem Arbeiten ist auch die Art und Weise, wie wir auf das Thema Diversity schauen, wie wir auf Gleichberechtigung blicken, entscheidend. Vielen jungen, gut ausgebildeten Menschen ist das extrem wichtig – und die stellen diese Fragen gleich im ersten Bewerbungsgespräch. Das ist übrigens auch ein ganz wichtiger Vorteil des Standortes Deutschland: Menschen werden mit offenen Armen empfangen, es gibt eine stabile Demokratie. Ich bemerke in den Gesprächen mit anderen Unternehmen, dass dieser Wert einer stabilen Gesellschaft zu einem immer wichtigeren Standortfaktor wird. Dieses hohe Gut müssen wir schützen und auch in der öffentlichen Diskussion immer wieder betonen.

Der letzte Otto-Katalog wurde im Herbst 2018 gedruckt.
Der letzte Otto-Katalog wurde im Herbst 2018 gedruckt. © OTTO Group Hamburg | OTTO Group Hamburg

Otto hat eine sogenannte hybride Plattform gebaut

Vor sechs Jahren wurde der letzte Otto-Katalog gedruckt. Wie viel Versandhandel steckt heute noch in Otto? Wie weit ist der Transformationsprozess, der vor einigen Jahren angestoßen wurde in Richtung Online?

Wenn man Versandhändler eng definiert (ich schicke Kataloge raus und warte, bis jemand anruft), dann steckt davon überhaupt nichts mehr in Otto. Wenn man aber dieses Geschäftsmodell etwas abstrakter formuliert und beides als Distanzhandel definiert, dann ist da natürlich noch eine Menge im Kern von Otto. Ich glaube, wir haben uns mehrfach neu erfunden. Wir haben dieses Geschäft schon vor fast 30 Jahren ins Internet übertragen. Wir waren eine der ersten Firmen in dem Bereich, die eine Website hatten, und wir haben vor einigen Jahren angefangen, das Geschäftsmodell noch einmal komplett zu überarbeiten.

Otto hat eine sogenannte hybride Plattform gebaut. Dort betreiben wir mit unserer eigenen Ware klassisch unser Geschäft. Zusätzlich haben wir aber mittlerweile 6500 Partner, die dort ihre Sortimente verkaufen. Wir vermarkten die Reichweiten über integrierte Data Services. Damit verbunden ist Otto immer stärker zu einem Technologieunternehmen geworden. Wir haben die ganze Technologie dafür komplett selbst gebaut. In dieser Dimension kann man so etwas nicht kaufen. Nur wenn man es selbst entwickelt, ist man Vorreiter und auch vorbereitet auf eine Zukunft, in der man immer schneller auf neue Anforderungen reagieren muss.

Mehr zum Thema

Ist der Onlinehandel, wie Otto ihn betreibt, eine Ergänzung oder eine Gefahr für den lokalen Handel?

Ich glaube, dass wir als Onlinehandel an sehr vielen Stellen ganz andere Bedürfnisse abdecken als der lokale Handel. Der lokale Einzelhandel muss sich noch viel stärker darum bemühen, das haptische Erlebnis in den Vordergrund zu stellen. Das ist seine Stärke. Wir haben in Hamburg das große Glück, dass wir eine schöne und lebendige Innenstadt haben, die die Menschen anzieht. Hamburg ist immer einen Besuch wert, und das sieht man auch an den großen Weltmarken, die hier präsent sind. Aber ich schaue auch mit Sorge auf die Innenstadt, weil ich mich frage: Wie viel Fläche brauchen wir eigentlich noch? Aber die Situation in Hamburg ist nichts zu den Herausforderungen, vor denen kleine und mittlere Städte stehen. In ganz vielen Mittelstädten muss man sehr stark aufpassen, dass die Innenstädte nicht kaputtgehen, weil die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen.