Hamburg. Der Hamburger Hafenschiffer Dariush Beigui rettet in seinem Urlaub Geflüchteten das Leben. Welche Dramen er erlebt, was ihn antreibt.

In Trapani auf Sizilien ist Dariush Beigui häufiger anzutreffen. Erst Anfang des Monats saß der Hamburger Hafenschiffer im örtlichen Gericht auf der Anklagebank: Seit 2017 schon wird ihm und anderen Crewmitgliedern der von den italienischen Behörden festgesetzten Seenotrettungsschiffs „Iuventa“ der Prozess gemacht. Wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur illegalen Einwanderung drohen ihnen bis zu 20 Jahre Gefängnis.

Aufhalten lässt sich Beigui (45) davon nicht: In dieser Woche bricht er von Trapani aus zu seiner nächsten Mission auf. Tausenden Geflüchteten hat er in seinem Urlaub schon das Leben gerettet. Im spricht er über …

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… seine Anfänge als ziviler Seenotretter:

„Ich war 2016 über die Medien darauf aufmerksam geworden, dass die Sea-Watch ihr erstes Schiff in Hamburg hat umbauen lassen. Ich finde es schlimm, dass auf dem Mittelmeer so viele Menschen sterben, und ich wollte mit dem, was ich kann, nämlich auf einem Schiff arbeiten, etwas Gutes tun. Im November 2016 war ich dann das erste Mal auf der ‚Iuventa‘ dabei.“

… seinen ersten Rettungseinsatz:

„Den werde ich nicht vergessen. Wir hatten vorher ein paar Tage Training im Hafen, und ich hatte natürlich mal in den Nachrichten oder bei YouTube irgendwelche Schnipsel angeguckt. Aber es ist etwas völlig anderes, wenn man so ein Boot auf einmal wirklich in Sichtweite hat. Es war ein Schlauchboot mit 120, 130 Leuten drauf, total überfüllt. Du siehst den Leuten diese Angst an, dass sie eigentlich damit gerechnet haben, schon lange tot zu sein. Der Anblick hat mich sehr beeindruckt und auch sehr wütend gemacht. Es ist ja kein Unfall, der die Menschen in diese Situation bringt, sondern politische Willkür, dass diese Menschen sich auf lebensgefährliche Routen begeben müssen. Gäbe es legale und sichere Fluchtwege, müssten sie nicht ihr Leben in Gefahr bringen.“

Seenotretter Dariush Beigui: „Wenn 120 Menschen einfach weg sind, ist das Meer der stillste Ort“

… tragische Erlebnisse auf See:

„Gleich bei meiner ersten Rettungsmission sind wir vier, fünf Stunden auf ein Flüchtlingsboot zugefahren. Kurz bevor wir da waren, ist es gekentert. Innerhalb von 20, 30 Minuten sind 120 Menschen verschwunden. Wenn 120 Menschen einfach weg sind, ist das Meer der seltsamste, traurigste und stillste Ort. Das sind Eindrücke, die ich nicht vergessen kann und die mich auch beeinflusst und verändert haben.“

… die schwierige Rückkehr in den Alltag:

„Bei so einem Einsatz bist du zehn, 15 Tage lang die ganze Zeit auf Adrenalin. Wir haben manchmal zwei, drei, vier Tage nicht geschlafen am Stück, weil wir so viele Einsätze hintereinander hatten, das ist sehr anspruchsvoll und sehr, sehr anstrengend. Und dann kommt man hierher zurück, und dann ist es schon schlimm, dass es morgens nur eine Sorte Müsli gibt oder so was. Ich sehe dadurch vieles lockerer, bin entspannter, glücklicher und zufriedener mit dem, was ich hier habe, und weiß es sehr viel mehr zu schätzen, wie gut es uns hier eigentlich geht.“

… die Anklage in Italien:

„Das Gericht wird am 19. April verkünden, ob wir in die Hauptverhandlung gehen oder ob für mich dieser ganze Spuk vorbei ist. Aber ich kann meistens gut schlafen. Als Punkrocker habe ich irgendwo auf meinem Herzen ‚No Future‘ tätowiert. Unsere Anwälte gehen davon aus, dass, wenn eine Hauptverhandlung kommt, sie zwischen fünf und zehn Jahre dauert. Ob ich dann verurteilt werde oder nicht – mir jetzt schon darüber Sorgen zu machen, ist es mir nicht wert. Wir sehen dieses Verfahren als großen Fehler an, weil es auf unglaubwürdigen Zeugenaussagen basiert.“

… den Vorwurf, dass die zivile Seenotrettung ein Pull-Faktor sei, der illegale Migration befördere:

„Das sagen selten Leute, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt haben. Ich kann auf inzwischen drei Studien von verschiedenen unabhängigen Universitäten verweisen, die nachgewiesen haben, dass das Blödsinn ist. Was außerdem viele gar nicht auf dem Zettel haben: Die zivile Seenotrettung ist prozentual nur an 10 bis 15 Prozent der Rettungen beteiligt. Relativ viele Boote kommen immer noch selbstständig an, aber vor allem wird ein Großteil der Menschen immer noch von staatlichen Akteuren gerettet.“

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… die Sorge, dass die Gesellschaft mit der Migration überfordert sein könnte:

„Darüber habe ich kürzlich auch bei der VHS-Reihe ‚Komplizen für die Zukunft‘ diskutiert. Es gibt viele Kommunen, die stöhnen, aber es gibt auch welche, die sogar gern mehr aufnehmen würden. Und für unsere auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaft wäre es nachgewiesenermaßen wichtig, dass junge Menschen einwandern. Dass es trotzdem so eine Abneigung gegenüber dem Fremden gibt, finde ich am erschreckendsten.“

Wie Dariush Beigui mit dem Schicksal der von ihm Geretteten umgeht, wie ihn sein Arbeitgeber im Hafen unterstützt und warum er nicht mehr am Mittelmeer Urlaub machen würde, auch das erzählt er im Podcast.