Hamburg. Sabine de Buhr, städtebauliche Leiterin der IBA, über den Wandel der Elbinsel und die Pläne für den neuen Stadtteil Oberbillwerder.

Sie macht die Stadt ein gutes Stück größer: Sabine de Buhr plant und entwickelt als städtebauliche Leiterin der IBA Hamburg den neuen Stadtteil Oberbillwerder. 6500 Wohnungen für bis zu 15.000 Menschen sollen auf einer bisher landwirtschaftlich genutzten Fläche im Bezirk Bergedorf entstehen, dazu Büro- und Gewerbeflächen für 5000 Arbeitsplätze – eine Mammutaufgabe. Aber nicht die erste für de Buhr (61): Als Projektmanagerin hat sie von 2006 bis 2012 für die Internationale Bauausstellung an der Aufwertung des Stadtteils Wilhelmsburg mitgewirkt.

Bei „Komplizen für die Zukunft“, dem Podcast der Hamburger Volkshochschule und des Abendblatts, spricht die Soziologin und Diplom-Ingenieurin über …

… die Nachwirkungen der Internationalen Bauausstellung in Wilhelmsburg:

„Als wir 2006 mit der IBA angefangen haben, war dieser Stadtteil auf der hamburgischen Landkarte nicht wirklich präsent. Wir haben das bei Gesprächen mit Investoren gemerkt, die alle gesagt haben: ‚Wie bitte, wo? Wilhelmsburg? Auf keinen Fall!‘ Der ‚Sprung über die Elbe‘, der 2004 als Leitbild entwickelt wurde, war sozusagen der Startschuss, damit dieser Stadtteil, der ja wirklich zentral ist und unheimlich viele Potenziale hat, wieder in den Mittelpunkt auch der politischen Diskussion gerückt ist. Mit der IBA und der Internationalen Gartenschau 2013 gab es sehr kraftvolle Planungsinstrumente und ein großes Investitionsvolumen. All das hat dazu geführt, dass der Stadtteil eine andere Entwicklungsdynamik genommen hat. Es ist jetzt kein Ottensen oder St. Georg. Aber es ist ein Stadtteil, der für viele Menschen interessant geworden ist. Insbesondere junge Leute ziehen dahin. Die Bildungsinstitutionen sind verbessert worden, man zieht nicht mehr weg, wenn die Kinder in die Schule kommen. Unser Slogan war damals: Aufwerten ohne Verdrängung – und das hat auch stattgefunden. Wilhelmsburg ist, glaube ich, ein sehr attraktiver Stadtteil, und wenn wir die neuen Quartiere in der Wilhelmsburger Achse entwickeln in Verbindung mit der gesamten Grünraumstruktur und der Bildungsinfrastruktur, wird das richtig cool!“

… die Bedeutung des neuen Stadtteils Oberbillwerder für Hamburg:

„Hamburg ist eine wachsende Metropole und hat eine begrenzte Flächenreserve. Man kann diese Reserve ausnutzen, indem man Stadtteile nachverdichtet, Brachflächen umnutzt oder auch neue Flächen sucht, die man entwickelt. Hamburg versucht, das Wachstum mit zwei wohnungspolitischen Strategien abzubilden: Die eine ist die Stadt in der Stadt – das ist die Nachverdichtung. Quartiere werden dichter, höher gebaut, wie zum Beispiel die Neue Mitte Altona oder die Kolbenhöfe in Ottensen, da sehen Sie schon diesen kleinen Maßstabssprung im Bestand. Die zweite Strategie ist, dass Hamburg wächst, und zwar an neuen Orten. Man verlässt die innere Stadt und geht an die Stadtränder, die aber auch eine S-Bahn-Linie haben oder infrastrukturell gut angebunden sind. Oberbillwerder ist einer dieser Orte. Er wird aktuell landwirtschaftlich genutzt, ist aber im Flächennutzungsplan immer schon als Reserve für Wohnungsbau ausgewiesen. Insofern greift der Senat jetzt auf diese Reserve zurück und entwickelt diese planerische Grundlage.“

Hamburger Stadtplanerin Sabine de Buhr: „Klimaschutz ist das wichtigste Ziel“

… die Vorbildwirkung Oberbillwerders für andere Stadtplanungsprojekte:

„Es gibt auch andere Gemeinden in Deutschland, in denen Stadtteile oder Stadtentwicklungsmaßnahmen in dieser Größenordnung entwickelt werden. In einem Kreis von Fachleuten tauschen wir uns über Themen aus, die sich daraus ergeben: Wie organisiert man den ruhenden Verkehr? Wie schafft man eine regenerative Wärmeversorgung? Welche Klimastandards setzt man um? Wie müssen die öffentlichen Räume aussehen? Wie schafft man es, alle Menschen dort so gut miteinander unterzubringen, dass man Barrierefreiheit herstellt und alle Anforderungen an Architektur und Grünräume umgesetzt sind? Wir waren mit dem Masterplan Oberbillwerder von 2018/19 unheimlich innovativ. Die Herausforderung bei so einem langen Planungszeitraum besteht darin, die Innovationen im Laufe der Jahre nicht zu verlieren, etwa weil sich der Kostendruck verstärkt. Wenn wie jetzt die Baupreise explodieren und die Zinsen hochgehen, kommt sofort die Frage: Können wir uns diese Qualität noch leisten? Meine Antwort ist: Freiwillig gebe ich die nicht her. Die Zeiten werden sich auch wieder ändern.“

Sabine de Buhr mit Redakteur Achim Leoni im Podcast-Studio des Abendblatts.
Sabine de Buhr mit Redakteur Achim Leoni im Podcast-Studio des Abendblatts. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

… die Anforderungen an die Stadtplanung durch neue Arbeitsformen:

„Die klassischen Wohnungsgrundrisse werden bleiben, glaube ich. Darüber hinaus wird es Segmente geben, die Wohnen und Arbeiten besser verbinden. Gemeinschaftliches Arbeiten lässt sich zum Beispiel in Erdgeschosszonen gut umsetzen. Das könnte auch ein guter Anker sein, um in neuen Quartieren Anlaufstellen zu schaffen, wo Menschen sich treffen und arbeiten können. Ich glaube, der Markt wird darauf schon reagieren, und wir können es durch sogenannte Konzeptausschreibungen ein bisschen steuern.“

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… die Stadtplanung der Zukunft:

„Die größte Herausforderung ist: Wie entwickelt man die Stadt klimaneutral weiter? So weitermachen wie bisher, alles verbauen, kein Grün, keine Versickerungsmöglichkeiten für Regenwasser – das kann nicht die Zukunft sein. Man darf die Klimaschutzziele auf keinen Fall aus den Augen verlieren, auch wenn jetzt der Druck groß wird. Klimaschutz und Klimaanpassung sind die wichtigsten Ziele, wenn man Stadt weiterdenkt.“

Wie der Zeitplan für Oberbillwerder ist, welche Bildungs- und Infrastrukturangebote dort vorgesehen sind und warum die IBA früher mehr Freiheiten hatte, auch darüber spricht Sabine de Buhr in dieser Folge.