Hamburg. Daniela Wurbs kämpft mit dem Projekt KickIn! für Vielfalt in Stadien und Führungsetagen. Dazu motiviert haben sie auch eigene Erfahrungen.
Daniela Wurbs hat geschafft, wovon wahrscheinlich viele träumen: Sie wurde von Beruf Fußballfan. Die 44-Jährige arbeitete für die Koordinationsstelle Fanprojekte der Deutschen Sportjugend, im Fanladen St. Pauli und für die englische Football Supporters’ Federation. Von 2009 bis 2016 war sie Geschäftsführerin der Football Supporters Europe, der von ihr mitgegründeten größten Fußballfan-Interessensorganisation des Kontinents. „Das war das größte Privileg meines Lebens“, sagt Wurbs heute.
Seit 2017 leitet sie in Hamburg das Projekt KickIn!, eine Beratungsstelle, die sich für Inklusion und Vielfalt und gegen Diskriminierung im Fußball einsetzt. Im Podcast „Komplizen für die Zukunft“ spricht die St.-Pauli-Anhängerin über …
… ihren Weg zum Fußball: „Ich komme aus einem süddeutschen Dorf und bin mit Fußball groß geworden – am Spielfeldrand, denn Mädchenfußball gab es damals bei uns nicht. In der Schule hatte ich Freundinnen, die St. Pauli supportet haben. Irgendwann war ich dann mal in Hamburg im Stadion – und dann war es vorbei, das fand ich super. Im Rahmen meines Sozialpädagogikstudiums bin ich dann in der Fanarbeit gelandet.“
Daniela Wurbs: „Als Frau im Fußball habe ich offenste Diskriminierung erlebt“
… ihre eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung im Fußball: „Auf Fantribünen habe ich krasse Zurschaustellung von Diskriminierung und Rassismus erlebt. Beruflich ist mir offenste Diskriminierung begegnet, insbesondere Sexismus von Funktionären und Offiziellen. Damit habe ich als Frau im Fußball – bei vielen Events war ich die einzige – sehr viele Erfahrungen gemacht. Auf einem Event mit den europäischen Profiligen Anfang der 2010er-Jahre waren unter den 350 Teilnehmenden zwei weiblich. Alle anderen Frauen gehörten zum Catering-Personal.“
… die Offenheit des Fußballs für Veränderungen: „Fußball ist ein sehr auf Tradition bauender Sport und erzählt auch seine Historie. Natürlich schreiben sich gewisse Mechanismen und Strukturen fest, die heutzutage nicht mehr modern sind. Trotzdem baut der Fußball sein Geschäftsmodell nach wie vor darauf auf. Hinzu kommen Mechanismen, die vielleicht nicht nur im Fußball angelegt sind: Je länger ich in einem Amt bin, desto mehr Lorbeeren sahne ich ab und desto mehr wird das honoriert. Damit gehen natürlich auch Machtsysteme einher, das heißt, Ungleichheiten werden immer neu reproduziert. Es ist ja auch wissenschaftlich erwiesen: Thomas befördert Thomas, so ist es vom Ehrenamt bis zum Hauptamt. Das ist in den Firmen so, das ist aber auch in Fußballvereinen so und da vielleicht noch mal verstärkt.“
Daniela Wurbs: Man muss die Strukturen ändern
… Frauen auf Funktionärsebene: „Ich höre immer wieder: ‚Die Frauen, die man befördern könnte, gibt es ja gar nicht.‘ Aber ganz viele Frauen sind in meiner Zeit bei Football Supporters Europe auf mich zugekommen und haben mir gesagt: ‚Ich hätte nie gedacht, dass eine Frau so eine Position schaffen kann. Aber weil du da bist, glaube ich, dass ich das auch könnte.‘ Ich selbst hatte darüber zu Beginn meiner Tätigkeit gar nicht nachgedacht. Über die Zeit wurde ich dann immer wieder damit konfrontiert. Umso wichtiger ist es, dass ich das auch sichtbar mache, damit selbstbewusst umgehe und das auch problematisiere.“
… die Bereitschaft des Profifußballs, mehr für Inklusion und Vielfalt zu tun: „Als ich für einen Vortrag über Praxisbeispiele für Vielfalt recherchiert habe, bin ich in einem Meer von Fotos von Regenbogenfahnen gelandet. Kommunikativ passiert sicher sehr viel. Wie es dann nach innen gelebt wird, ist sehr unterschiedlich. Richtung Fans passiert durchaus mehr. Dass die Vereine auch in die eigenen Strukturen, in das Berufsfeld Fußball schauen, ist eine neuere Entwicklung und noch ein sehr weiter Weg. Es gibt im Fußball längst Menschen mit Behinderung oder mit Migrationsgeschichte, aber das findet sich nicht in den Führungsetagen der Vereine wieder und auch nicht in den Kurven.“
Wie kann ich zum Beispiel diskriminierungssensibler sprechen?
… die Barrieren im Fußball: „Es wird gerne gesagt, man müsste die Frauen fördern und mehr unterstützen, und dann wollen sie auch im Fußball arbeiten. Aus meiner Sicht müsste man eigentlich die Münze umdrehen und die Perspektive wechseln: Was muss ich in den Strukturen des Fußballs, auf den Tribünen, innerhalb der Geschäftsstellen ändern, damit dort mehr Frauen von Anfang an denken: Oh, das ist aber ein attraktiver Arbeitsplatz! Oder: Das ist eine tolle Kurve, da will ich sein! Wir wollen da einen Paradigmenwechsel befördern: Vielleicht bin ich selbst das Problem, weil ich zum Beispiel über Menschen mit Behinderung denke, dass sie nicht leistungsfähig genug sind, und so Ausgrenzung in meinem Alltag reproduziere, ohne dass ich es merke oder will.“
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… das Angebot von KickIn! an Vereine und Verbände: „Wir begleiten Prozesse und beraten dabei, an welchen Strukturen man ansetzen kann. Wie kann ich zum Beispiel diskriminierungssensibler sprechen? Wie kann ich in meiner Alltagskommunikation barrierefrei kommunizieren? Wie muss ich meine Satzungen und Leitbilder ändern, damit ich auch offener bin für vielfältige Menschen? Wie organisiere ich Recruiting und Einstellungsprozesse? Wie muss ich mein Stadion umgestalten, dass sich dort vielfältigere Personen zu Hause fühlen? Wie organisiere ich mein Ticketing? All diese Themen gucken wir gemeinsam mit den Vereinen und Verbänden an und schauen dann, dass wir das in eine langfristige, prozessorientierte Herangehensweise überführen. Ziel ist, dass damit ein Kulturwandel einhergeht und sich die Organisation dauerhaft verändert.“
Worauf Fans bei der Wortwahl auf der Tribüne achten sollten, warum die Fußball-EM 2024 in Deutschland Maßstäbe setzen könnte und womit Manchester United ein Vorbild für deutsche Clubs ist, auch das erfahren Sie in diesem Podcast. Im Rahmen der Reihe „Komplizen für die Zukunft“ der Hamburger Volkshochschule können Sie am 14. Mai mit Daniela Wurbs ins Gespräch kommen. Hier geht es zur Anmeldung.