Hamburg. Rüdiger Siechau, Geschäftsführer der Stadtreinigung Hamburg, über den Arbeitskräftemangel und Müll als Energiequelle der Zukunft.

Als er antrat, hieß der Kanzler noch Helmut Kohl, und die SMS begann gerade populär zu werden: Rüdiger Siechau steht seit fast drei Jahrzehnten als Geschäftsführer an der Spitze der Stadtreinigung Hamburg (SRH). Das städtische Unternehmen ist mit etwa 4000 Beschäftigten der größte Dienstleister der Hansestadt im Bereich der Abfall- und Ressourcenwirtschaft.

Als Entsorger sammelt, transportiert, lagert und behandelt die SRH heute die Abfälle von mehr als einer Million Privathaushalten und 100.000 Gewerbebetrieben. Weitere Aufgaben sind die Säuberung der Fahrbahnen, Gehwege, Grünflächen, Strände, Parks und öffentlichen Spielplätzen. Im Podcast „Komplizen für die Zukunft“ spricht der 67-Jährige über den Imagewandel in der Abfallwirtschaft, Müll als Energielieferanten und die Schwierigkeit, gutes Personal zu finden.

Rüdiger Siechau über …

… den Wandel der Stadtreinigung Hamburg in seiner Amtszeit:

„Als ich 1995 antrat, war die Stadtreinigung gerade ein öffentliches Unternehmen geworden. Meine Aufgabe war, sie weiterzuentwickeln, aber auch das Image des Monopolisten loszuwerden und wettbewerbliche Zustände zu schaffen. Mit dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz hat 1996 eine neue Ära der Abfallwirtschaft begonnen: weg von der linearen Abfallwirtschaft und der Nutzung von Deponien. Abfälle zu vermeiden oder sie so in den Kreislauf zu führen, dass man sie wiederverwendet und damit Energie erzeugt, das waren die großen Herausforderungen. Und natürlich kundenfreundlicher zu werden. Der Kunde hieß damals noch Gebührenschuldner. Wichtig war mir auch, dass wir aus Gründen der Unabhängigkeit und der Gebührenstabilität die meisten Aufgaben selbst machen. Heute haben wir ein wirklich gutes Portfolio.“

… den Wert von Abfall als Rohstoff der Zukunft:

„Leider wachsen die Abfälle weltweit immer weiter. In vielen Ländern gibt es eben keine ordentliche Abfallbehandlung, sodass Abfälle Gewässer und Luft verschmutzen. Wir wirken da, wo wir können, auf Bürgerinnen und Bürger und auch auf Hersteller ein, dass Abfälle reduziert werden. Wo sie doch anfallen, versuchen wir, mit Behandlungsanlagen den Wert zu nutzen, Rohstoffe zu gewinnen, und da, wo das nicht geht, Energie zu erzeugen. Wir haben uns von einem Entsorger auch zum Versorger entwickelt. Wenn unsere neue Anlage in Betrieb gegangen ist, werden wir über die Hälfte der Hamburger Fernwärme stellen.“

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… das Zentrum für Ressourcen und Energie (ZRE) in Bahrenfeld, das 2026 in Betrieb gehen soll:

„In Altona und anderen Teilen des Hamburger Westens haben es die Menschen schwer, wirklich getrennt Müll zu sammeln, weil auf ihren Grundstücken nicht genug Platz ist. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, die Abfälle in der neuen Anlage zuerst zu sortieren, also Wertstoffe herauszunehmen und den Rest dann entsprechend in Energie umzuwandeln. Aber das bedeutet nicht, dass der Müll zu Hause nicht mehr getrennt wird. Das würde auch dem Prinzip der Abfallvermeidung entgegenwirken.“

… die Schwierigkeit, Müll zu vermeiden:

„Als ich anfing, gab es den typischen Vierpersonenhaushalt. Heute haben wir in Hamburg bei weniger als zwei Millionen Einwohnern eine Million Haushalte. Das heißt, es gibt sehr viele Singlehaushalte. Wenn ich mir etwas kaufe, soll es dann die ganze Woche halten, damit es nicht schlecht wird, insofern wird unheimlich viel Verpacktes gekauft. Hinzu kommt: Es wird viel nach Optik gekauft. Je schöner und größer eine Verpackung aussieht, desto besser. Für eine simple Wurstverpackung haben Sie manchmal fünf, sechs unterschiedliche Kunststoffe. Die dann separat zu sammeln oder zu trennen ist schier unmöglich.“

Das sind die „Komplizen für die Zukunft“

Den Podcast können Sie unter www.abendblatt.de/podcast/komplizen-fuer-die-zukunft sowie in der eigenen Podcast-App des Hamburger Abendblatts und auf allen gängigen Podcast-Plattform hören. Mehr Infos zu den Veranstaltungen: www.vhs-hamburg.de/komplizen

Der Podcast erscheint alle 14 Tage jeweils donnerstags mit einer neuen Folge. Was verbirgt sich hinter „Komplizen für die Zukunft“? Die Idee zu der Reihe ist in der Vorbereitung des 100. Geburtstages entstanden, den die Volkshochschule 2019 gefeiert hat.

Zu den teilnehmenden Institutionen und Personen der vergangenen Jahre gehörten unter anderem Hamburgs Oberbaudirektor, das Tropeninstitut, das Ohnsorg-Theater, die Obdachlosen-Initiative „Hinz&Kunzt“, der Otto Versand, das Museum der Arbeit, Schulsenator Ties Rabe, Bezirksamtsleiter, aber auch viele kleinere Stiftungen und Initiativen.

… die neuen Absorptionswärmepumpen an der Borsigstraße:

„Wir behandeln dort mehr als 300.000 Tonnen Abfall im Jahr. Durch die neuen Wärmepumpen bekommen wir 60 Megawatt mehr Energie aus der Müllverwertungsanlage heraus als vorher. Um ein Gefühl dafür zu bekommen: Die größte Windmühle der Welt von Siemens Gamesa hat 15 Megawatt. Und das, ohne dass wir überhaupt Abfall mehr verbrennen. Das ist ein einmaliges Projekt in der Republik, auf das wir auch sehr stolz sind.“

… die (zu?) niedrigen Müllgebühren in Hamburg:

„Sie sind natürlich auch ein Zeichen, dass die Stadtreinigung gut wirtschaftet: Je weniger Kosten wir haben, desto günstiger ist die Gebühr. Man hat geringe Möglichkeiten, auch mit der Gebühr eine gewisse Lenkungswirkung zu verknüpfen. Man kann die Biotonne ein bisschen billiger machen, damit der Bürger sie zusätzlich nutzt. Ansonsten setzen wir doch mehr auf die Umweltbildung in Schulen und Kindergärten.“

Rüdiger Siechau, Geschäftsführer  der Stadtreinigung Hamburg, im Podcast-Studio des Abendblatts.
Rüdiger Siechau, Geschäftsführer  der Stadtreinigung Hamburg, im Podcast-Studio des Abendblatts. © SRH | Kay Götze

… die hohen Zufriedenheitswerte der Stadtreinigung von 80 Prozent und mehr:

„Wir haben in den letzten Jahren unglaublich viel in Sauberkeit investiert. Wir haben die öffentlichen Toiletten übernommen, die schon eine Katastrophe waren. Oder die gesamte Parkreinigung, die Strandreinigung, auch die Schilderreinigung fangen wir jetzt an. Ich glaube, dass die Arbeit unserer Mitarbeitenden anerkannt wird. Wir gehen ja auch auf Menschen zu, um vielleicht auch mal eine Ordnungswidrigkeit auszusprechen, aber wir reden auch mit ihnen. Das kommt gut an.“

… den Kampf um gutes Personal:

„Es gibt überhaupt einen Mangel an Arbeitskräften. Die Qualität ist deutlich schlechter geworden, das heißt, bei der Personalauswahl müssen wir deutlich hinschauen. Einerseits kämpfen viele um die wenigen Menschen, die arbeitsfähig und arbeitswillig sind und so eine schwere Arbeit machen wollen, insofern ist es natürlich wichtig, dass man attraktiv ist. Was schwierig ist auf Dauer, ist die Work-Life-Balance. Es ist immer schwieriger, Menschen dazu zu bewegen, auch an unattraktiven Zeiten zu arbeiten. Das hat sich schon fast dramatisch geändert. Wir arbeiten mittlerweile in vielen Bereichen rund um die Uhr. Wenn ich sonntags oder sonnabends durch Planten un Blomen laufe, erwarte ich natürlich einen sauberen, gepflegten Park, dass die öffentliche Toilette offen ist oder der Kiosk.“

… die geringe Quote von Frauen in Führungspositionen:

„Das sind natürlich gewachsene Strukturen, und wir haben gerade auch im Führungsbereich eine geringe Fluktuation. Wir versuchen, frei werdende Stellen in den Führungsebenen durch Frauen nachzubesetzen. Die Zukunft der Stadtreinigung wird deutlich weiblicher sein, auch im gewerblichen Bereich. Es ist unsere Überzeugung, nicht nur, weil wir dazu angehalten sind, sondern auch um das Arbeitsklima, die Zusammenarbeit im Unternehmen zu verbessern.“

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… seine verbleibende Amtszeit:

„Ich habe keine Agenda, was ich noch erledigen will. Mein Plan ist, vielleicht noch bis Ende 2025 weiterzumachen. Danach gibt es für mich genügend Aufgaben. Ich halte seit ewiger Zeit montags eine Vorlesung für internationale Studierende an der Technischen Universität. Dieser Kontakt hält mich jung. Abfallwirtschaft stand früher immer so ein bisschen in der Schmuddelecke, und insofern war mir auch wichtig, zusätzlich die Wissenschaft mit in die Abläufe einzubringen.“

… die Stadtreinigung in 30 Jahren:

„Die Digitalisierung wird eine große Rolle spielen. Wir werden auf jeden Fall einen Fuhrpark haben, der emissionsfrei fährt, und wir wollen ja als Unternehmen schon 2035 klimaneutral sein. Viele unserer Dächer werden mit Photovoltaik ausgestattet sein. Vielleicht erzeugen wir das ein oder andere Kilogramm Wasserstoff für unseren eigenen Fuhrpark oder synthetische Kraftstoffe. Und ich hoffe, dass wir immer noch so beliebt und attraktiv sind wie bisher.“