Hamburg. Hamburgs Innensenator über Angriffe auf Beamte, Schutz vor psychisch gestörten Tätern und den Generationswechsel bei der Polizei.

Die Zahl der Straftaten gegen Einsatzkräfte steigt in Hamburg von Jahr zu Jahr. 2571 Polizistinnen und Polizisten wurden 2022 (neuere Zahlen gibt es noch nicht) im Dienst verletzt, genötigt, bedroht oder attackiert. Innensenator Andy Grote spricht im Abendblatt-Interview über fehlenden Respekt und Anerkennung, psychisch gestörte Täter und einen besseren Schutz für die Beamten.

Hamburger Abendblatt: Herr Grote, das Bundeslagebild des BKA zeigt: Von Jahr zu Jahr nehmen Angriffe auf Einsatzkräfte zu. Sind Polizistinnen und Polizisten zu Freiwild geworden?

Andy Grote: Der Job, den unsere Polizistinnen und Polizisten für uns alle leisten, und das, was sie dabei mitunter auch an Belastungen aushalten müssen, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. In manchen Teilen der Gesellschaft sind sie aggressivem Verhalten, Übergriffen und auch Straftaten ausgesetzt. Polizistinnen und Polizisten werden als Repräsentanten eines Staates wahrgenommen, dem man zum Teil distanziert, skeptisch oder kritisch gegenübersteht und von dem man sich nichts sagen lassen will. Polizistinnen und Polizisten geraten aber auch in Konfliktlagen, in denen sie gar nicht Beteiligte sind. An vielen Stellen ist es die Gesellschaft selbst, mit ihren Auseinandersetzungen, ihrer Aggressivität, ihrer Gereiztheit, mit der die Polizei konfrontiert wird. Wenn sich solche Konfliktlagen in Einzelsituationen entladen, wird häufig erst in diesen Momenten die Polizei gerufen. Und so geraten die Kolleginnen und Kollegen dann schnell zwischen die Fronten.

Wie können Sie als Dienstherr die Einsatzkräfte noch besser schützen?

Wir tun in der Ausbildung und Fortbildung viel für souveränes Auftreten, schulen Konfliktlösungs- und Deeskalationskompetenz. Zugleich bringen wir Polizistinnen und Polizisten im Einsatztraining aber auch bei, wie sie sich durchsetzen können. Zusätzlich haben wir in die Ausstattung, etwa in Bodycams, investiert, die nachweislich eine starke deeskalierende Wirkung in Konfliktsituationen haben. Wir haben zur Unterstützung des allgemeinen Streifendienstes außerdem mit der USE, das heißt mit der Unterstützungseinheit für erschwerte Einsatzlagen, eine überdurchschnittlich robuste und stark auftretende Einheit aufgestellt. Und wir verstärken gleichzeitig unsere Präventionsarbeit. Ein gutes Beispiel ist hier Silvester. Wir haben vor dem Jahreswechsel mehr als 1000 Gespräche geführt, mit Jugendlichen, mit Eltern, mit Einrichtungen und haben am Ende ein deutlich geringeres Maß an Aggressivität und Angriffen auf Einsatzkräfte erlebt.

Silvester waren aber auch deutlich mehr Polizeikräfte unterwegs und an den sozialen Brennpunkten präsent als in den Vorjahren. Das schreckt ab.

Das war auch wichtig, aber bestimmte Gruppen, mit denen wir gerechnet hatten, haben wir gar nicht erst angetroffen. Das ging bis dahin, dass wir Schura und Ditib gesprochen haben. Die haben extra eine Predigt für das Freitagsgebet vor Silvester verfasst, in der sie direkt adressiert haben, sich aus Konflikten herauszuhalten. Die Polizei vernetzt sich in der Gesellschaft und versucht, Konfliktlagen im Vorfeld zu entspannen. Mit dieser Kombination erzeugen wir Wirkung.

Ihr neuer Polizeipräsident Falk Schnabel hat im Abendblatt-Interview betont, wie wichtig es sei, wirklich jede Attacke gegen Polizisten zur Anzeige zu bringen. Damit sind wir beim Stichwort Strafverfolgung. Arbeitet die Justiz bei der Verfolgung von Straftaten gegen Einsatzkräfte schnell und auch konsequent genug?

Ich will mich nicht zum Richter über die Richter machen. Aber ich glaube, wenn sie in der Polizei rumfragen, wäre die Antwort: Es gibt noch Optimierungsbedarf. Wir bringen alles zur Anzeige, aber natürlich mündet nicht alles in einer Verurteilung.

Bekommt die Polizei in Hamburg den Respekt und die Anerkennung, die sie aus Ihrer Sicht als Innensenator verdient?

Im größten Teil der Bevölkerung erfährt die Polizei sehr viel Anerkennung und auch Dankbarkeit. Auf der anderen Seite gibt es aber auch zu viele Menschen, die die Bedeutung der Polizei für unsere Sicherheit, unser Zusammenleben in Freiheit und Demokratie noch nicht hoch genug einschätzen. Unsere Polizisten verdienen mehr Respekt. Wenn die Menschen wüssten, was die Polizistinnen und Polizisten in Hamburg jeden Tag leisten, unter welchen Belastungen und mit welchem hohen Anspruch an sich selbst sie arbeiten, dann wäre der Respekt sicher deutlich größer.

Das Abendblatt hat die Streifenpolizisten der A-Schicht am Polizeikommissariat in Rahlstedt länger als ein Jahr bei Einsätzen begleitet. Ein Problem, mit dem die Beamten dort nahezu tagtäglich zu tun haben, sind psychisch kranke und instabile Menschen. Ein – extremes – Beispiel ist der Fall, bei dem ein Mann in seiner verbarrikadierten Wohnung an der Friedrichshainstraße im Drogenwahn seine Freundin mit 100 Messerstichen tötete. Die Polizisten am PK38 berichten von einer deutlichen Zunahme von unberechenbaren und „nicht lesbaren“ Tätern.

Das ist eines unserer größten Probleme. Viele, auch schwere Straftaten, werden von Menschen mit psychischen Krankheiten, Instabilitäten und Störungen begangen. In der Regionalbahn in Brokstedt war das so, beim Amoklauf an der Deelböge oder bei dem Messerangriff in Barmbek. Das begegnet den Kolleginnen und Kollegen auch in der täglichen Arbeit. Sie treffen auf Menschen, bei denen normale Kommunikation nicht anschlägt. Manchmal erzielen sie bei Menschen in psychischem Ausnahmezustand auch keine physische Wirkung. Häufig kann man die Gefährlichkeit dieser Menschen schlecht einschätzen. Sie sind unberechenbar und schwer steuerbar.

Sie sind als Innensenator der Dienstherr der Polizistinnen und Polizisten. Was tun Sie, um die Einsatzkräfte vor unberechenbaren und schwer steuerbaren Menschen zu schützen, deren Zahl zunimmt.

Wir müssen in der Aus- und Fortbildung die Fähigkeiten der Polizisten stärken, mit solchen Situationen bestmöglich umzugehen. Und wir müssen unsere Expertise in der Risikobewertung bei möglicherweise gefährlichen Menschen verbessern. Dafür bauen wir aktuell ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum für Risikobewertung beim Landeskriminalamt auf, wo insbesondere auch Psychologen arbeiten werden. Wir wollen uns als Polizei außerdem noch besser mit den Spezialisten in den medizinischen Einrichtungen vernetzen.

Die Polizei bekommt in Einsätzen oft als Erste mit, wenn Menschen unter psychischen Störungen leiden. Diese Menschen brauchen Hilfe, die kann die Polizei aber nicht leisten.

Ja, wir brauchen die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitssystem, Kliniken und der Justiz. Denn wir müssen sehen, was wir mit Menschen machen, die psychisch auffällig sind und medizinische Betreuung brauchen. Gleichzeitig wird es auch um die Frage gehen, wie wir relevante Informationen zum psychischen Gesundheitszustand bekommen, die im medizinischen System schon vorhanden sind zu einem Menschen, mit dem wir polizeilich umgehen müssen.

Damit sind wir beim Thema Datenschutz.

Damit müssen wir uns beschäftigen. Wir diskutieren das gerade beispielhaft beim Waffenrecht auf Bundesebene, wo es bei der Prüfung der persönlichen Geeignetheit darum geht, auch auf Informationen über etwaige psychische Erkrankungen zurückgreifen zu können. Vor der ersten Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis sollen im Rahmen der Eignungsprüfung in Zukunft auch die Erkenntnisse der Gesundheitsbehörden, zum Beispiel zu psychischen Auffälligkeiten oder Erkrankungen abgefragt werden.

Etwas weniger Datenschutz würde der Polizei durchaus die Arbeit erleichtern.

Datenschutz ist wichtig, aber er darf nicht verhindern, dass Sicherheitsbehörden, die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf eine Information dringend angewiesen sind, diese dann auch bekommen.

Die Polizei wird durch die Verrentung der sogenannten Babyboomer jünger, weiblicher, vielfältiger, sie verliert aber auch einen großen Erfahrungsschatz. Wie kann sie diesen Verlust kompensieren?

Die Polizei Hamburg ist seit Jahrzehnten nicht so kontinuierlich und verlässlich gewachsen wie jetzt seit acht Jahren. Wir werden in Kürze 1000 Polizistinnen und Polizisten mehr haben als im Jahr 2016. Damit einher geht natürlich auch ein Generationswechsel. Wir müssen uns in der Ausbildung und dann in der praktischen Arbeit an den Dienststellen schon anstrengen, damit der Wissenstransfer funktioniert. Wir haben weniger sehr erfahrene Kollegen, die sich um mehr junge Kollegen kümmern müssen. Das ist in Zeiten hoher Einstellungszahlen so. Aber die jungen Kolleginnen und Kollegen sind alle exzellent ausgebildet, sie werden ihre eigenen Erfahrungen machen, und sie werden die Polizei der Zukunft prägen.

Finden Sie denn überhaupt noch genügend junge Leute, die Sie überzeugen können, zur Polizei zu kommen?

Natürlich spüren wir, dass wir mit allen anderen Arbeitgebern im öffentlichen Dienst und im privaten Bereich um dieselbe begrenzte Zahl junger Menschen werben. Wo wir früher auf eine Stelle zehn oder zwölf Bewerberinnen und Bewerber hatten, haben wir jetzt vielleicht sieben oder acht. Das ist immer noch eine gute Quote im Vergleich zu anderen Bundesländern. Aber wenn wir die Bewerber dann auf Herz und Nieren prüfen, kann es vorkommen, dass wir nicht für jede Einstellungsklasse so viele geeignete Bewerberinnen und Bewerber haben, wie wir es gerne hätten. Das heißt, wir müssen uns schon erheblich mehr anstrengen.

Und welche Konsequenzen ziehen Sie aus dieser Erkenntnis?

Unser Bewerbungsverfahren muss schneller werden. Wir müssen noch zielgerichteter und besser werden bei der Auswahl. Manchmal erlauben wir es uns noch, Menschen aus Gründen nicht zu berücksichtigen, die meines Erachtens nicht mehr zeitgemäß sind.

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Das heißt, die Sportprüfung, an der viele Bewerber scheitern, wird leichter?

Nein. Beim Sport werden wir keine Abstriche machen, aber andere Ausschlusskriterien, wie zum Beispiel bestimmte Lebensmittelunverträglichkeiten, sollten in Zukunft kein Hindernis mehr sein. Wir müssen insgesamt bei der Gewinnung und Bindung der Nachwuchskräfte besser werden.