Hamburg. Hamburgs neuer Polizeipräsident über die Lust auf den neuen Job, das Sicherheitsempfinden der Menschen in der Stadt und politischen Druck.

Seit dem Ende der Pandemie steigt die Zahl der Straftaten in Hamburg wieder an. „Wir müssen wie alle großen deutschen Städte vermehrt Straftaten im öffentlichen Raum bekämpfen“, kündigt Hamburgs neuer Polizeipräsident Falk Schnabel im Abendblatt-Interview ein Plus bei den Kriminalitätszahlen an. Er begründet den Anstieg auch mit einem höheren Kontrolldruck wie durch die „Allianz sicherer Hauptbahnhof“. „Wir sehen verstärkt hin – deshalb ist die Allianz auch erfolgreich. Das bedeutet zugleich, dass wir dort mehr Delikte registrieren.“

Herr Schnabel, Sie haben es die vergangenen Jahre nirgendwo lange ausgehalten, dann folgte schon der nächste Karriereschritt. Die letzten sechs Jahre hatten Sie leitende Funktionen in Düsseldorf, Münster, Köln und jetzt in Hamburg. Wie schnell sind Sie hier wieder weg?

Ich hoffe, ich bleibe sehr lange in Hamburg. Ich hatte nie einen Karriereplan. Der wichtigste Schritt für mich war, als ich Ende 2020 nach mehr als 20 Jahren in der Justiz zur Polizei gewechselt bin. Das war ein großer Schritt ins Ungewisse hinein: Werde ich der Aufgabe gerecht? Was kommt auf mich zu? Die Entscheidung war rückblickend betrachtet für mich die richtige. Bei der Polizei fühle ich mich unglaublich wohl und Hamburg ist der Ort, an dem ich bleiben möchte.

Warum war es richtig? Was ist so toll an der Polizei, was die Justiz nicht zu bieten hat?

Ich war nicht unglücklich als Staatsanwalt, und die Leitung der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft hat mir großen Spaß gemacht. Bei der Polizei kann ich aber mehr gestalten. Man übernimmt eine umfassendere Verantwortung für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in einer Stadt. Als Strafverfolger arbeitet man in der Regel vergangenheitsbezogen und versucht, begangenes Unrecht aufzuarbeiten und gegebenenfalls zur Anklage zu bringen. Bei der Polizei kann ich daran mitwirken, dass Gefahren und Straftaten erst gar nicht entstehen.

Neuer Polizeipräsident: Kräfte vor allem bei mittlerer und schwerer Kriminalität einsetzen

Ihr Vorgänger war fast zehn Jahre Polizeipräsident, insgesamt arbeitete Ralf Martin Meyer mehr als 40 Jahre für die Hamburger Polizei. Jeder Nachfolger hätte es da schwer. Wie groß ist der Schatten, den Meyer wirft hier?

Ralf Martin Meyer war eine herausragende Persönlichkeit als Polizeipräsident. Diese lange Erfahrung von vier Jahrzehnten bei der Polizei fehlt mir natürlich. Ich versuche, die Lücke zu schließen, indem ich nicht nur theoretisch lerne, was Polizeiarbeit in Hamburg bedeutet, sondern in dem ich viel Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen in den operativen Einheiten suche, um zu erfahren, wie es ihnen auf der Straße, in den Ermittlungsdienststellen oder bei der Wasserschutzpolizei geht. Welche Sorgen sie haben. Umgekehrt bringe ich auch eigene Expertise mit. Als Staatsanwalt ist mir die Arbeitsweise der Justiz, der wir zuliefern, vertraut. Und in Münster und Köln habe ich gelernt, eine Polizeibehörde zu führen. In Hamburg ist zwar alles eine Dimension größer. Die Herausforderungen sind inhaltlich aber ähnlich. Überall geht es um Personalfragen, Haushaltsthemen, strategische Überlegungen und den zielgerichteten Einsatz von endlichen Ressourcen wie Personal und Sachmittel.

Und wie wollen Sie die „endlichen Ressourcen“ angesichts der großen Beanspruchung der Polizei einsetzen?

Die Belastung der Polizei, aber auch bei Staatsanwaltschaften und Gerichten ist sehr hoch. Das führt beispielsweise dazu, dass rund 30 Prozent der Verfahren der sogenannten Klein- und Massenkriminalität oftmals aus Opportunitätsgründen ohne jede Sanktion eingestellt werden. Das Gesetz lässt das zu. Ich möchte deshalb, dass wir in Zukunft unsere Kräfte zielgerichtet dort einsetzen, wo es sich sozusagen lohnt - vor allem bei der mittleren und schweren Kriminalität, damit es schneller zu Anklagen und entsprechenden Strafen kommen kann. In Fällen, die später zu einer sanktionslosen Einstellung führen, wäre es sinnvoll, den Ermittlungsaufwand von vornherein zu reduzieren. Vielleicht sollte man auch über eine gesetzliche Grundlage nachdenken, damit hier zumindest ein Bußgeld verhängt wird. Das würde den Rechtsstaat stärken und dem Eindruck vorbeugen, dass manche Straftaten quasi folgenlos bleiben. 

Bringen Sie einen Plan mit, wie Sie die Hamburger Polizei auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels neu oder anders aufstellen?

Ich bin erst zwei Monate hier. Es wäre zu früh, wenn ich mir anmaßen würde, größere organisatorische Veränderungen anzustoßen. Ich setze zusammen mit den Leitungen unserer Organisationseinheiten zunächst den Weg fort, den Ralf Martin Mayer eingeschlagen hat. Auch dank der Einstellungsoffensive haben wir sehr viele junge Nachwuchskräfte. Der Wissenstransfer von den erfahrenen Kolleginnen und Kollegen funktioniert.

Was sind die großen Herausforderungen der Hamburger Polizei in diesem Jahr?

Wir haben eine Fußball-Europameisterschaft in Hamburg zu bewältigen. Außerdem steigt seit dem Ende der Pandemie die Zahl der Straftaten wieder an. Wir müssen wie alle großen deutschen Städte vermehrt Straftaten im öffentlichen Raum bekämpfen. Gerade diese Delikte, insbesondere auf Straßen und Plätzen in der Innenstadt, wirken sich unmittelbar auf das Sicherheitsgefühl aus. Die Menschen sollen sich in Hamburg sicher fühlen, das ist und bleibt unser oberstes Ziel.

Neuer Polizeipräsident: Gesamtzahl der Delikte ist wenig aussagekräftig

Sie werden die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2023 in wenigen Wochen vorstellen. Welche Tendenzen zeichnen sich schon jetzt ab?

Vorab: Die Kriminalstatistik misst nur das, was der Polizei zur Kenntnis gelangt – also das sogenannte Hellfeld. Und sie gibt nur wieder, wo die Polizei einen Tatverdacht gesehen hat, nicht aber, ob ein Sachverhalt rechtlich verbindlich als strafbar zu bewerten ist. Das ist Sache der Justiz. Wer also wissen will, wie viele Straftaten begangen wurden, sollte die Justizstatistiken mitbetrachten. Deshalb hat die PKS nur eine begrenzte Aussagekraft. Auch die Gesamtzahl der Delikte ist wenig aussagekräftig. Besser ist es, bestimmte Kriminalitätsbereiche zu differenzieren. So investiert Hamburg im Vergleich zu anderen Städten sehr viel Manpower in sichtbare Polizeipräsenz. Je mehr Kolleginnen und Kollegen draußen sind, desto mehr kriegen sie mit. Ein Beispiel ist unsere „Allianz sicherer Hauptbahnhof“. Wir sehen verstärkt hin – deshalb ist die Allianz auch erfolgreich. Das bedeutet zugleich, dass wir dort mehr Delikte registrieren.

Die SPD hat in Hamburg schon einmal eine Wahl verloren, weil das Sicherheitsempfinden der Menschen in den Keller gegangen ist. Dieses Jahr stehen Bezirkswahlen an, in ungefähr einem Jahr wählt Hamburg eine neue Bürgerschaft. Es zeichnet sich ab, dass das Thema Sicherheit im Wahlkampf eine große Rolle spielen wird. Wie groß ist der Druck vonseiten der Politik auf die Polizei, starke Präsenz zu zeigen und damit ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln?

Die Polizei kommt ihrem gesetzlichen Auftrag nach, Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verhindern und aufzuklären. Polizeiliche Präsenz und die Stärkung des Sicherheitsgefühls der Menschen gehören dazu. Das gilt unabhängig davon, ob Wahljahr ist oder nicht. Mit der Innenbehörde und Senator Andy Grote, den ich fachlich und persönlich sehr schätze, besteht selbstverständlich ein enger und guter Austausch. Als Hamburger Polizeipräsident ist es meine Aufgabe, mit den grundsätzlichen Zielen und Ansichten des Senats in Übereinstimmung zu stehen. So steht es im Beamtengesetz und ich kann das für mich uneingeschränkt bestätigen. Das ist keine politische Einflussnahme, sondern so funktioniert unser Rechtsstaat.

Im Sommer stellt die Fußball-Europameisterschaft mit Zehntausenden anreisenden Fans die Hamburger Polizei vor große Herausforderungen. Gleichzeitig ist eine Nachhaltigkeitskonferenz in Hamburg geplant, zu der mehrere Staatschefs wie Joe Biden oder Emmanuel Macron anreisen sollen, die mit hohem Personalaufwand geschützt werden muss. Wie wollen Sie das leisten?

Dazu kann ich mich knapp fassen. Unsere Aufgabe als Polizei ist es, bei Veranstaltungen oder auch Versammlungen, die in Hamburg stattfinden, die Sicherheit zu gewährleisten. Dies erfordert eine vorausschauende Planung, die in diesem Fall noch nicht abgeschlossen ist

Aber wo sollen denn die Hundertschaften für den Schutz der Politiker-Konferenz herkommen, wenn die anderen Bundesländer ihre Polizeikräfte selbst brauchen, um ihre EM-Spiele zu schützen?

Wir befinden uns, wie gesagt, in einem laufenden Prozess, in dem wir wie üblich auch im bundesweiten Austausch sind.

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Trotz eines massiven Aufgebots von Polizeieinheiten aus ganz Deutschland hat Hamburg beim G20-Treffen 2017 schlimmste Ausschreitungen erlebt. Jetzt sollen gleich zwei für die Polizei personalintensive Großereignisse parallel stattfinden. Sind solche Entscheidungen im luftleeren politischen Raum getroffen worden?

Ich glaube nicht, dass hier ein Vergleich mit dem G20-Gipfel 2017 passend wäre.