Hamburg. Melanie Schlotzhauer über Maßnahmen gegen Obdachlose, Höchstgrenzen für Flüchtlinge, ihre Entspannungsrituale und ihren Bulli.
Das erste Gesprächsthema ist bereits gefunden, noch ehe Melanie Schlotzhauer (51) in ihrem Büro in der Sozialbehörde in der Mundsburg Platz genommen hat: Heinz. So heißt der Bulli der neuen Sozialsenatorin, die bereits Ende März die 100-Tage-Marke im Amt geknackt hat. Mit Heinz war die SPD-Politikerin im vergangenen Jahr in der Provence – und will mit ihm im kommenden Sommer Richtung Skandinavien. Schlotzhauer hat einiges vor – nicht nur mit Heinz, sondern auch als Nachfolgerin von Melanie Leonhard.
Hamburger Abendblatt: Frau Schlotzhauer, kurz nachdem Sie als Sozialsenatorin vor etwas mehr als 100 Tagen angefangen haben, sagten Sie dem Abendblatt, dass Sie jeden Morgen vor der Arbeit eine Stunde spazieren gehen. Wo sind Sie heute entlangspaziert?
Melanie Schlotzhauer: Heute habe ich mich aus sportlicher Sicht zurückgehalten und auf dieses Interview vorbereitet. Dafür bin ich am Sonntag einmal um den Volkspark gelaufen.
Das ist ein langer Spaziergang.
Ich habe mein Programm ein bisschen umgestellt, seitdem ich Senatorin bin. Statt der täglichen Spaziergänge gehe ich joggen oder mache Yoga. Immer morgens nach dem Aufstehen.
Melanie Schlotzhauer: „Die Stadt gehört allen“
Am Sonnabend waren jede Menge Menschen in der Stadt rund um den Hansaplatz spazieren, um sich mit Obdachlosen zu solidarisieren, aber auch gegen Vertreibung, Bettelverbote und Polizeigewalt zu demonstrieren. Können Sie die Demonstranten verstehen?
Die Demonstranten wollten zeigen, dass sie sich um obdachlose Menschen sorgen. Diese Sorge um die obdachlosen Menschen eint die Sozialbehörde mit den Demonstranten. Wir haben deshalb in Hamburg ein umfangreiches und differenziertes Hilfe- und Beratungssystem. Ziel ist immer die dauerhafte Vermittlung in eine feste Unterkunft, der Zugang in die sozialrechtlichen Regelsysteme und perspektivisch eigener Wohnraum.
Die Polizei soll auf der Straße zuletzt wieder vermehrt Platzverweise ausgesprochen haben.
Hier geht es immer um einen Abwägungsprozess zwischen denjenigen, die in der Stadt arbeiten, Gewerbe treiben oder einkaufen, und denjenigen, die nach Obdach suchen. Die Stadt gehört allen. Das Wegerecht wird angewandt und aggressives Betteln ist nun einmal nicht erlaubt. Diese Entscheidung treffen allerdings die Polizei und der Bezirk vor Ort – die Sozialbehörde ist hier nicht zuständig.
Mit Ende der Pandemie kehrt wieder Leben in die Stadt zurück
Kritiker sagen trotzdem, dass durch die Vertreibung der Obdachlosen die Sozialarbeit erschwert wird …
Diese Kritik teile ich nicht.
Können Sie sie nachvollziehen?
Die Aufgabe von Straßensozialarbeitern ist es, mit ihrer Klientel im Austausch und Kontakt zu bleiben. In der Gesamtheit funktioniert unser starkes System der Straßensozialarbeit gut. Derzeit beraten wir, wie wir dieses System noch besser mit anderen Hilfsangeboten koordinieren können. Besonders freut mich im Übrigen, dass wir im Januar 2023 mit der Tagesaufenthaltsstätte Spaldingstraße einen zusätzlichen Anlaufpunkt für obdachlose Menschen in der Innenstadt geschaffen haben, der auch gut angenommen wird.
Nimmt das Problem der Obdachlosigkeit durch die zunehmenden Flüchtlingszahlen zu?
Es ist eher zu beobachten, dass mit dem Ende der Pandemie wieder Leben in die Stadt zurückkehrt – und damit auch die obdachlosen Menschen wieder vermehrt im Straßenbild auftauchen.
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Wo waren denn die Obdachlosen in der Pandemie?
Wir hatten unser Hilfesystem an die Pandemiebedingungen angepasst. Natürlich haben auch in Corona-Zeiten Menschen auf der Straße gelebt. Die zunehmenden Flüchtlingszahlen sorgen nicht für höhere Zahlen an obdachlosen Menschen. Wir haben im vergangenen Jahr 15.900 Unterbringungsplätze für Schutzsuchende geschaffen, in diesem Jahr sollen noch weitere 10.000 entstehen. Trotzdem haben wir es geschafft, dass wir nicht mehr auf Turnhallen als Übernachtungsmöglichkeiten zurückgreifen müssen.
Überwiegend Akzeptanz und Anerkennung für Geflüchtete
Wirklich? In Hamm sind wir gerade erst am Wochenende an solch einer Turnhalle für Geflüchtete vorbeigegangen.
Sie meinen wahrscheinlich die Sporthalle Am Ebelingplatz. Diese halten wir zurzeit als Notstandort aufrecht, aber auch dort sind seit Anfang April keine Schutzsuchenden mehr untergebracht.
Woher soll der Platz ohne Turnhallen für weitere 10.000 Geflüchtete genommen werden?
Dank der in der Flüchtlingskrise 2015/16 aufgebauten Strukturen sind wir sehr handlungsfähig. Mit dem städtischen Sozialunternehmen Fördern & Wohnen haben wir eine schlagkräftige Organisation bei der Unterbringung. Wir konnten zuletzt zum Beispiel auf einige Gewerbeimmobilien zurückgreifen. Gerade erst haben wir in der ehemaligen Postbank-Filiale am Überseering eine große Unterkunft in Betrieb genommen. Wir haben immer noch mehrere Hotels in der Anmietung. Gemeinsam mit den Bezirken suchen wir in der Stadt kontinuierlich nach weiteren Flächen und Immobilien.
Der Krieg dauert nun schon mehr als ein Jahr lang an. Bleibt die Bevölkerung in Hamburg geduldig und hilfsbereit?
Ich bin den Hamburgerinnen und Hamburgern sehr dankbar für ihre ungebremste Hilfsbereitschaft. Mehr als mögliche Probleme werden mögliche Hilfsangebote angesprochen. In unseren Informationsveranstaltungen erhalten wir überwiegend positive Resonanz. Die Fragen, die gestellt werden lauten zum Beispiel: Wie kann eine gute Integration gelingen, welche Kursangebote gibt es? Und wir unterstützen die Bezirke durch zusätzliche Fördermittel.
Die Stimmen der „besorgten Bürger“ nehmen nicht zu?
Ich nehme überwiegend Akzeptanz und Anerkennung wahr.
Es wird immer wieder Flüchtlingswellen geben
Was erhoffen Sie sich vom bald stattfindenden Bund-Länder-Flüchtlingsgipfel?
Die Verteilungsgerechtigkeit auf Bundesebene ist tatsächlich auch für uns von großer Bedeutung. Der Bund muss sich dem Thema stärker annehmen. Außerdem brauchen wir ein einheitliches System zur Erfassung und Weitervermittlung der Schutzsuchenden.
Innenministerin Nancy Faeser, die sich immer gegen eine Begrenzung der Geflüchteten ausgesprochen hatte, schrieb am Wochenende auf Instagram: „Wir müssen die Migration deutlich stärker steuern, ordnen und begrenzen.“ Also doch begrenzen?
Meiner Einschätzung nach ist die Diskussion über eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen nicht zielführend. Es wird immer wieder Flüchtlingswellen geben und es ist eine gesamteuropäische Aufgabe, hier Lösungen zu finden.
Das ist utopisch.
Es ist Aufgabe der Politik zu gestalten. Ich begrüße Überlegungen, wie man die Herkunftsländer der Geflüchteten stärker unterstützen kann, sei es durch humanitäre Hilfen oder mit gezielten Aufbauprogrammen. Auch hier ist der Bund gefordert.
Schlotzhauer ist unbesorgt, was die Krankenhauslandschaft in Hamburg angeht
Dann kommen wir zum Thema Gesundheit. Das Bundesgesundheitsministerium plant gerade eine Krankenhausreform, die für die Hamburger Kliniklandschaft weitreichende Auswirkungen haben könnte …
Klar ist: Die Krankenhausplanung ist Ländersache. Bei den Planungen zur Krankenhausreform hat die Regierungskommission einen systematischen Vorschlag zur Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung gemacht. Es war immer klar, dass dieser nicht eins zu eins umgesetzt werden wird, sondern in einem gemeinsamen Arbeitsprozess zwischen Bund und Ländern konkretisiert wird. Dennoch ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht förderlich, dass im Vorfeld einer konkreten Auswirkungsanalyse die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) Analysen auf der Grundlage dieser nicht abgeschlossenen Beratungen gemacht hat. Also in einem sehr frühen Stadium und mit begrenzter Aussagekraft.
Wie meinen Sie das?
Was wir brauchen, ist eine eigene Auswirkungsanalyse für alle Bundesländer. Diese werden wir in den nächsten Wochen vom Bundesgesundheitsministerium bekommen. Ich bin im Übrigen ganz unbesorgt, was die Krankenhauslandschaft in Hamburg angeht.
Warum überhaupt diese Reform?
Zentrale Ziele der Reform sind eine bessere Versorgung der Patientinnen und Patienten, eine stärkere Spezialisierung der Kliniken und eine verlässlichere Grundfinanzierung der Krankenhauslandschaft. Der Ansatz, die Krankenhausfinanzierung auf ein System umzustellen, das auf der Refinanzierung von Vorhaltekosten beruht und die Versorgungsstrukturen unabhängiger von Fallzahlenentwicklungen macht, ist notwendig. Hierfür müssen geeignete Planungsgrundlagen zur Verfügung gestellt werden. Deshalb ist es wichtig, dass die Krankenhausplanungsbehörden der Länder bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen haben und diese transparent für alle Beteiligten machen, auch für die Patientinnen und Patienten.
Reform wird zu weiteren Spezialisierungen führen
Inwiefern wird die Reform denn die Hamburger Krankenhauslandschaft verändern?
Sie wird zu weiteren Spezialisierungen führen. Die hätten wir aber auch sonst vorgenommen. Medizinischer Fortschritt zeigt sich darin, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber auch die Ausstattung der Kliniken zunehmend spezialisieren. Weiterhin werden Leistungsgruppen gebildet, in denen die medizinischen Leistungen hoffentlich bundesweit einheitlich beschrieben werden. Das heißt, wenn sie in Bayern oder Baden-Württemberg in ein Krankenhaus gehen, finden Sie dort objektiv vergleichbare medizinische Leistungen wie hier.
Spezialisierung klingt ziemlich gut. Wird es denn auch Schließungen geben?
Aus meiner Sicht ist die Krankenhauslandschaft in Hamburg gut aufgestellt und es gibt zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Reform. Bei der Umsetzung muss die besondere Rolle und Funktion Hamburgs als Gesundheitsmetropole berücksichtigt werden. Ein hoher Anteil an Patientinnen und Patienten in den Hamburger Krankenhäusern kommt aus dem Umland. Im Übrigen stehen wir während der gesamten Verhandlungen in einem engen Austausch mit der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft, den Krankenkassen und weiteren Akteuren.
Wenn man sich aber die Analyse anschaut, dann wird zum Beispiel die Schließung von vier Standorten für Geburtshilfe vorhergesagt.
Nein, das ist schon längst vom Tisch. Das war schon bei der Veröffentlichung der Analyse der DKG klar.
Und was sagen Sie zu der Sorge der Klinikbetreiber um die anstehenden Kosten?
Die Klinikbetreiber sagen zu Recht, dass sie Unterstützung benötigen bei der Bewältigung der Inflation und der Energiekrise. Hier hat der Bund auch schon einiges bewegt. Die Reform selber wird Transformationskosten für die Kliniken auslösen. Die Länder werden dem Gesetzentwurf daher auch nur zustimmen, wenn sich der Bund hier signifikant beteiligt.
Melanie Schlotzhauer: Umsetzung der Reform wird mindestens fünf Jahre dauern
Was glauben Sie, wie lange wird es dauern, bis die Reform umgesetzt sein wird?
Die Umsetzung der Reform wird mindestens fünf Jahre in Anspruch nehmen. Es ist verabredet, dass hierzu bis Ende des Jahres durch Bundestag und Bundesrat ein Gesetzentwurf verabschiedet werden soll. In der Folge werden wir unser Krankenhausgesetz novellieren.
2025 muss sich auch Kanzler Olaf Scholz zur Wiederwahl stellen. Sie kennen ihn ja aus Ihrer gemeinsamen SPD-Zeit in Altona. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Ich war in der Tat während seiner Zeit als Bürgermeister bis 2013 SPD-Kreisvorsitzende in Altona und es war mir eine große Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Wenn Sie aber die Möglichkeit hätten, Ihre morgendliche Joggingrunde mit Olaf Scholz zu drehen, was würden Sie gerne mit ihm besprechen?
Ich würde mit ihm gern die Frage diskutieren, wie die Leistungsfähigkeit und die Kompetenz der Bundesländer sich in gemeinsame politische Ergebnisse zwischen Bund und Ländern umwandeln lassen. Ich glaube, in der Abstimmung gibt es Luft nach oben.
Und das Thema trägt eine Stunde?
Da bin ich mir ganz sicher!