Hamburg. Mehr als 30.000 Patienten in Hamburg werden durch den Mangel nicht betreut. Hausärzte-Chefin fordert besondere Maßnahmen.

Die Lücke an fehlenden Hausärztinnen und Hausärzten in Hamburg ist offenbar größer als gedacht. Wie die Senatsantwort auf eine Anfrage des Linken-Gesundheitspolitikers Deniz Celik ergibt, sind aktuell 20 Arztsitze für Allgemeinmedizin in der Hansestadt nicht besetzt. Nimmt man nur die in Ärzte-Statistiken bemühte „Verhältniszahl“, heißt das grob: Deutlich mehr als 30.000 Patientinnen und Patienten in Hamburg werden zurzeit nicht oder nicht mehr von einem Hausarzt betreut.

Das klingt zunächst wenig, doch dabei wirken mehrere Trends verschärfend für die medizinische Versorgung in Hamburg: Die Ärzteschaft überaltert, vor allem Kinder- und Hausärzte sind betroffen. Jeder dritte Praxisarzt ist älter als 60. Manche arbeiten weit über das gesetzliche Rentenalter hinaus. Der Nachwuchs stockt, denn junge Ärztinnen und Ärzte scheuen oft nicht nur das Risiko einer Niederlassung. Schon im Studium ist der Anteil der Allgemeinmedizin vernachlässigenswert klein. Und die Honorare für Hausärzte sind am unteren Ende der Skala von niedergelassenen Medizinern.

Hausärzte in Hamburg fehlen vor allem in sozial schwachen Stadtteilen

„Seit Jahren leidet die ärztliche Versorgung in Hamburg unter der ungleichen Verteilung von Haus- und Kinderärzten“, sagte Celik dem Abendblatt. „Insbesondere die einkommensärmeren Stadtteile sind häufig besonders schlecht versorgt. Daher ist es besorgniserregend, dass Hausarztpraxen große Probleme bei der Nachbesetzung haben und die Versorgung von Tausenden Menschen darunter leidet.“

Der Gesundheitspolitiker forderte den Senat auf, „nicht mit dem Finger auf die Selbstverwaltung zu zeigen und sich aus der Verantwortung zu stehlen“. Damit sind die Gremien der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der Krankenkassen gemeint. Hamburg gilt auch bei Hausärzten offiziell als „überversorgt“. Celik forderte eine „kleinräumige Bedarfsplanung, um Bedarfe besser abzubilden und entsprechend entgegenzusteuern“.

Forderung: Senat sollte Hausärzte bei Praxengründung unterstützen

Die Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Dr. Jana Husemann, sagte dem Abendblatt: „Die Stadt sollte über Hilfen zur Niederlassung in unterversorgten Gebieten nachdenken.“ Das ist neu, denn eine solche Unterstützung kannte man zwar bereits aus anderen Bundesländern, wo vor allem in ländlichen Regionen Kommunen die Ansiedlung von Ärzten mit Räumen und finanziellen Starthilfen fördern. In Hamburg war das bislang kein Thema. Husemann sagte, die Honorardeckel für Hausärzte müssten endlich weg, um den Job attraktiver zu machen. „Die Entbudgetierung muss kommen. In Hamburg haben wir im hausärztlichen Bereich seit vielen Jahren die schlechtesten Fallwerte bei gleicher Arbeit im Vergleich mit den anderen Bundesländern.“

Heißt: Werde jede Leistung auch bezahlt, könne man in unterversorgten Stadtteilen außer der Reihe Ärzte zulassen. „Bisher schmälert jeder Sonderbedarf den Topf für alle, weil damit mehr Köpfe das gleiche Honorarvolumen aufteilen“, so Husemann. Sie forderte die Bundesländer zudem auf, den „Masterplan 2020“ für das Medizinstudium und das Geld dafür nicht länger zu blockieren. Mit ihm könne die Uni-Ausbildung die Allgemeinmedizin prominenter und länger berücksichtigen.

Hamburg: Tausende neue Wohnungen, kaum Ärzte

In der bundesweit vergleichsweise „jungen“ und babyreichen Metropole Hamburg gibt es Stadtteile mit vielen Zugezogenen dank großer Wohnprojekte. In der wachsenden Stadt wurde jedoch oft die „Infrastruktur“ vergessen. Bei den Schulen und ihren Neubauten wird es nachgeholt, bei Fußball- und anderen Sportvereinen hakt es. Die Anbindung mit dem öffentlichen Nahverkehr ist bestenfalls im Bau, die lokale medizinische Versorgung ist zumindest bedenklich.

Gerade aus der Hamburger Peripherie im Süden, wo attraktive Neubaugebiete wie in Fischbek entstanden sind, hört man immer wieder: Wir finden keinen Hausarzt! Oder von Hausärzten: Wir finden keine Nachfolger. Die einfache Weitergabe von Arztsitzen ist aber auch deshalb schwierig, weil manche der Ärztinnen und Ärzte, die in den Ruhestand gehen, eine „Ablösesumme“ verlangen, die jungen Medizinern zu hoch erscheint und die sie kaum refinanzieren können.

Auch in Wilhelmsburg, wo Tausende neue Wohnungen entstehen sollen, gibt es keine echten Konzepte. Nicht einmal die Zukunft des Krankenhauses Groß-Sand auf der Elbinsel ist geklärt.

Kontroverse um Gesundheitskiosk und Ärzte-Honorare

Celik wies auf den Trend hin, dass junge Ärztinnen und Ärzte lieber angestellt werden möchten „und sehr viel Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie legen“. Wo Praxen fehlten, brauche es städtische Gesundheitszentren wie in Bremen, um gleichzeitig attraktive Arbeitsbedingungen und den Patienten „eine gute, wohnortnahe Versorgung“ zu bieten. Außerdem steuere man damit der Kommerzialisierung im Gesundheitswesen entgegen. Hausärztin Husemann ist skeptisch. Sie lehnt „Parallelstrukturen wie in den Gesundheitskiosken“ ab.

Linken-Gesundheitspolitiker Deniz Celik.
Linken-Gesundheitspolitiker Deniz Celik. © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia

Sie beklagte: „Sprechende Medizin ist deutlich untervergütet.“ Der Bewertungsmaßstab für das Honorar sei nicht auf Hausarztpraxen ausgelegt. Für Bürokratie und nicht-ärztliche Arbeiten gehe zu viel Zeit verloren. Sie unterstützt ein Konzept der „Teampraxis“ vom Hausärzteverband, in dem die Medizinischen Fachangestellten auch mit akademischen Weiterqualifikationen mehr Aufgaben übernehmen können. Dann könnten sich die Hausärztinnen und Hausärzte „auf Tätigkeiten konzentrieren, die einen unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt erfordern“.

Mehr Ärzte in Blankenese, weniger in Hamm

In der Senatsantwort auf die Anfrage zeigt sich außerdem: Mit Bezug auf Zahlen der KV kann man sagen, dass aus mutmaßlich einkommensschwachen Stadtteilen Praxen verlegt wurden. Beispiele: Aus Barmbek-Nord (minus 3) und Hamm (minus 4) zogen zwischen Anfang 2021 und Anfang 2023 Arztpraxen in andere Stadtteile. In Rotherbaum (plus 9) Eimsbüttel (plus 8) und Blankenese (plus 5) kamen welche dazu.

Jedoch sollte man wissen, dass zum Beispiel Kinderärztinnen in Blankenese auch Patienten aus Lurup und dem Osdorfer Born sowie aus Flüchtlingsunterkünften behandeln. In Harvestehude gab es einen „Abfluss“ von fünf Praxen. So einfach belegen zumindest diese Zahlen also nicht, dass Ärzte vor allem auf Privatversicherte schielen.

Ärzte in Hamburg: Sogar die Polizei sucht

Dramatisch ist allerdings die Lage des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, wie die Senatsantwort auf eine andere Anfrage von Deniz Celik zeigt. Trotz der angekündigten Stellenoffensive nach der Corona-Pandemie fehlen etliche Mitarbeiter, vom schulärztlichen Dienst über Mütterberatung bis zur Pflegeaufsicht. Allein im Bezirk Wandsbek sind demnach 30 Stellen vakant, darunter Ärzte, Berater und Führungskräfte.

„Dass im Öffentlichen Gesundheitsdienst seit 2021 zusätzliche Stellen geschaffen werden, ist zu begrüßen“, so Celik. Jedoch fürchtet er darum, dass die Gesundheitsdienste zu stark belastet sein könnten. „Es darf nicht passieren, dass wichtige Aufgaben wie die schulärztlichen Eingangsuntersuchungen oder der sozialpsychiatrische Dienst aufgrund des Personalmangels nicht vollumfänglich geleistet werden können.“

Dass es höchste Zeit für den öffentlichen Dienst ist, mit allen Mitteln Fachkräfte anzulocken, weiß die Abteilung Blaulichtalarm schon längst. Die Polizei Hamburg sucht händeringend einen Leiter des Ärztlichen Dienstes. Bewerbungen sind noch bis zum 30. Mai möglich.