Hamburg. Vor allem junge Mediziner scheuen Risiko der Selbstständigkeit. Nullrunde bei Honoraren sorgt für Mangel an Haus- und Kinderärzten.
Das sind keine guten Nachreichten für Patientinnen und Patienten in der Medizin-Metropole Hamburg: Die niedergelassenen Ärzte der Stadt sind überaltert – und es gibt im Verhältnis zu denen, die im Krankenhaus arbeiten, immer weniger. Nicht nur die „Praxis um die Ecke“ ist bedroht. Vom Abendblatt befragte Expertinnen und Experten glauben: Die komplette Struktur des ärztlichen Angebots wird sich über kurz oder lang ändern.
Nach einer Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KV), die dem Abendblatt vorliegt, ist jeder dritte Praxisarzt (33 Prozent) 60 Jahre oder älter. Von denen, die mit über 80 noch in der Praxis Patienten behandeln, sind die meisten Hausärzte. Und gerade bei Haus- und Kinderärzten fehlt der Nachwuchs. Ärztekammerpräsident Pedram Emami sagte dem Abendblatt: „Es gibt in Hamburg insgesamt mehr Ärztinnen und Ärzte als früher. Durch Teilzeitarbeit und dadurch, dass nicht mehr so viele Wert darauf legen, selbstständig in einer Praxis zu arbeiten, hat sich jedoch die für Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehende Zeit verringert.“
Ärzte in Hamburg: Jeder Dritte über 60 Jahre alt
Vor Jahren sei das Verhältnis von Krankenhaus-Medizinern und Praxisärzten noch ausgeglichen gewesen. Nun sei nur noch ein Viertel aller Ärzte selbstständig, das sei keine gute Entwicklung. „Wir müssen uns überlegen, wie wir den Trend gegen die Praxis umdrehen können“, sagte Emami.
Die junge Ärztegeneration stuft nicht nur die Familie in der „Work-Life-Balance“ höher ein als die ältere. Sie verschmäht aus finanziellen Gründen auch den Schritt in die Selbstständigkeit. KV-Vorstandschef John Afful sagte dem Abendblatt: „Wer vor der Entscheidung zu einer Praxisübernahme steht, scheut oft das wirtschaftliche Risiko. Das ist verständlich, denn die Krankenkassen haben gerade wieder eine Nullrunde bei den Honoraren angekündigt. Das ist bei steigender Inflation und diesen Energiepreisen nicht akzeptabel.“ Wie könne man in dieser Situation einigermaßen rentabel eine Praxis betreiben, fragt Afful.
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Hausärzte in Hamburg: Weg mit dem Budget-Deckel!
Die Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Jana Husemann, sagt: „In Hamburg wäre die Entbudgetierung, also das vollständige Bezahlen aller abgerechneten Leistungen, ein entscheidender Schritt, um den nachfolgenden Hausärztinnen und Hausärzten den Weg in die Niederlassung zu erleichtern.“ Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte den Hausärzten im Koalitionsvertrag versprochen, dass endlich alles voll bezahlt werde, was sie behandeln. Das ist bislang ebenso ein Versprechen geblieben wie die Aussicht auf weniger Bürokratie.
Hausärztin Husemann hat glockenklare Vorstellungen, wie man trotz älterer Ärzteschaft Versorgung schafft: Weg von den Quartalsabrechnungen, Krankschreibung per Telefon, städtische Sozialberater, die auf Anforderung in die Praxen kommen, mehr Zeit für die „wirklich Kranken“. Husemann sagte: „Die hausärztliche Versorgung der Zukunft ist eine Teampraxis, die verschieden Arbeitsmodelle auch für angestellte Ärztinnen und Ärzte anbietet.“
KV: Mehr digitale Sprechstunden?
KV-Chef Afful sieht in der Zukunft größere Praxen, mehr Teams, „Haus- und Kinderärzte unter einem Dach, die sich Mitarbeiter teilen“ sowie viel mehr digitale Sprechstunden der Niedergelassenen in Hamburg. „Möglicherweise haben diese Praxen dann von morgens bis abends auf mit verschiedenen Teilzeitmodellen. Aber eine solche Struktur kann es dann nicht an jeder Straßenecke geben.“