Hamburg/Kiel. Der Bau der A20 in Schleswig-Holstein und der A26-Ost in Hamburg hat für die Ampelregierung in Berlin keine Priorität. Der Protest ist laut.

Die Kompromisse, auf die sich SPD, Grüne und FDP im Krisengipfel der Bundesregierung geeinigt haben, sorgen für große Empörung in Norddeutschland. Denn auf der Liste der 144 Straßenbauprojekte, die prioritär zu behandeln sind, fehlen sowohl der Bau der Autobahn 26-Ost im Hamburger Hafen als auch der Weiterbau der A20 von Bad Segeberg quer durch Schleswig-Holstein an die Westküste des Landes und dann in einem neuen Elbtunnel weiter nach Niedersachsen.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sprach von einer „unsinnigen Entscheidung der Ampelregierung, die sich komplett gegen die Interessen Norddeutschlands richtet“. So finde sich kein einziges Projekt aus dem Norden auf der Liste mit 144 prioritären Maßnahmen. Die Bundesregierung bevorzuge einseitig den Westen und Süden Deutschlands, sagte Günther.

Aufregung um A26-Ost und Köhlbrandquerung in der Bürgerschaft

Auch in Hamburg war die Aufregung groß. Wichtige Infrastrukturprojekte in der Hansestadt kämen nicht voran, kritisierte CDU-Fraktionschef Dennis Thering in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft. Er bezog das auch auf mögliche Verzögerungen beim Bau eines neuen Tunnels unter dem Köhlbrand als Ersatz für die marode Brücke und sagte: „Scheitert die A26-Ost und scheitert auch die Köhlbrandquerung – dann scheitert auch Bürgermeister Peter Tschentscher.“

AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann sprach von einem „Dilettantenstadel“ rund um die A26 und warf dem Senat vor, das „Rückgrat der Hamburger Wirtschaft“ aufs Spiel zu setzen. Mit Blick auf Kritik der Grünen an der A26 meinte Nockemann: „Wer die Grünen als Koalitionspartner hat, braucht keine Klima-Kleber, die den Verkehr lahmlegen.“

Wirtschaftssenatorin: „Die A26-Ost bedarf keiner Planungsbeschleunigung“

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf wies die Vorwürfe zurück: Rot-Grün stehe zur A26 und zur neuen Köhlbrandquerung, das „Gemecker“ der CDU schade den Projekten nur. Nachdem die Kritik im Parlament dennoch nicht abriss, meldete sich auch Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) zu Wort. Sie beklagte eine „unnötige Aufregung“ und stellte Spekulationen um ein Aus der A26-Ost als unberechtigt dar.

„Die A26-Ost bedarf gegenwärtig keiner Planungsbeschleunigung mehr, denn die Planungen sind weitgehend abgeschlossen“, sagte die SPD-Politikerin. „Für den Hamburger Teil stehen wir kurz vor der Planfeststellung des ersten Bauabschnittes.“ Deswegen könne die A26-Ost auch nicht auf der von der Berliner Ampel-Koalition vereinbarten Liste mit 144 Projekten stehen, „denn wir sind nicht mehr in der Phase der Planungsbeschleunigung, wir sind vor der Genehmigung an dieser Stelle“.

Leonhard: Köhlbrandquerung darf nicht zu Desaster wie Elbphilharmonie werden

Leonhard appellierte an die Abgeordneten, mal einen Ausflug mit S-Bahn an die Landesgrenze zu machen: Dann sehe man, dass die A26-West bei Neu Wulmstorf schon vor den Toren Hamburgs angekommen sei: „Deswegen ist das kein neues Bauprojekt, sondern es wird jetzt noch vollendet an dieser Stelle, und das muss es auch.“ Denn durch die A26-Ost entstehen große Potenziale für den Süderelberaum, dann könne die schwer belastete B73 zurückgebaut werden. „Dann werden da Wohnungsbaupotenziale und Lebensqualität entstehen, auf die Menschen, die da leben, schon sehr, sehr lange warten.“

Als „vordringlich“ für den Hafen bezeichnete Leonhard aber die neue Köhlbrandquerung. Deshalb habe die Bürgerschaft den Senat 2018 ja beauftragt, eine Tunnelplanung voranzutreiben. Die Vorplanung sei nun fast fertig. „Wenn man vor Vorplanungsende sich vor die Öffentlichkeit stellt und Preise und Bauzeiten verkündet, dann hat man am Ende eine Elbphilharmonie, die die zehnmal so teuer geworden ist wie man gedacht hat und zehn Jahre länger Bauzeit gebraucht hat“, sagte Leonhard. Das werde man nicht wiederholen, der Senat werde das Parlament erst damit befassen, wenn Belastbares vorliege.

Grüne sind keine Freunde der A26-Ost, stehen zum Koalitionsvertrag mit der SPD

Die Grünen betonten in der Debatte erneut, dass sie keine Freunde der A26-Ost seien, aber zur Vereinbarung im Koalitionsvertrag mit der SPD stünden. „Wenn der Bund die A26-Ost bauen will, dann unterstützen wir ihn darin“, sagte Fraktionschef Dominik Lorenzen. Seit der Vereinbarung habe es aber eine „Zeitenwende“ gegeben, weswegen es richtig sei, alle Straßenprojekte auf den Prüfstand zu stellen.

Auch die Linkspartei forderte eine neue Priorisierung von Großprojekten. Die A26 bringe täglich 33.000 Fahrzeuge zusätzlich nach Hamburg, sagte ihre Verkehrsexpertin Heike Sudmann und fragte: „Was ist daran der Beitrag zur Mobilitätswende?“ Eine neue Autobahn nur drei Kilometer südlich der für den Hafen viel dringlicheren neuen Köhlbrandquerung zu bauen, sei zudem „völliger Humbug“.

Grüne in Hamburg jubilieren

Die Hamburger Grünen sind seit Jahren gegen den Bau der Hafenautobahn – obwohl sie einst unter ihrer Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk dafür gesorgt hatten, dass die „Hafenquerspange“ im Süden zwischen Moorburg und Stillhorn gebaut wird und nicht weiter nördlich. Nach dem Koalitionsgipfel in Berlin frohlockte der Hamburger Grünen-Bundestagsabgeordnete und Ex-Justizsenator Till Steffen bei Twitter: „Selbst nach der nicht geeinten Liste der FDP: Keine Planungsbeschleunigung für die A 26-Ost. Und kein Geld sowieso.“

Die Hamburger SPD hat dagegen immer an dem Projekt festgehalten. Bürgermeister Peter Tschentscher hatte das Projekt erst am Montagabend bei einem Vor-Ort-Termin in Barmbek verteidigt. Wenn die A26-Ost fertig sei, werde der Hamburger Süden leiser, grüner und besser angebunden sein.

Scholz hatte als Bürgermeister für Projekt gekämpft

Tschentscher hatte die Autobahn sogar als Beitrag zum Klimaschutz angepriesen, da sie Stadtteile entlaste und für flüssigeren Verkehr sorge: „Die Berechnungen zeigen, dass sich mit der Fertigstellung der A26-Ost 40.000 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen lassen – und dabei ist der Bau schon eingerechnet“.

Als Hamburger Bürgermeister hatte auch Olaf Scholz einst die Hafenquerspange massiv vorangetrieben. Er hatte mit der Behauptung, der Containerumschlag würde sich bis 2025 verdreifachen und damit die Kapazität der Köhlbrandbrücke weit übersteigen, die Einstufung der A26-Ost in den sogenannten vordringlichen Bedarf erreicht.

A20 und A26-Ost: Daniel Günther macht Druck

Daniel Günther sucht jetzt die Unterstützung seiner norddeutschen Ministerpräsidenten-Kollegen, um Druck auf die Bundesregierung aufzubauen. „Der Bau der A 20 als großes Infrastrukturprojekt hätte auf jeden Fall auf diese Liste gehört. Diese Autobahn hat eine herausragende Bedeutung“, sagte der CDU-Politiker. Er nannte die Verweigerung, die A 20 auf die Liste zu setzen, einen „absoluten Rückschlag“ und eine „katastrophale Meldung“ für den Norden, dabei habe Verkehrsminister Wissing ihre Priorisierung vor kurzem erst bei einem Besucht im Norden zugesagt.

„Gerade vor dem Hintergrund unseres Ziels, erstes klimaneutrales Industrieland werden zu wollen, müssen wir aber auch Neubauprojekte wie unsere A 20 schnell umsetzen können. Die A 20 ist für Schleswig-Holstein und ganz Norddeutschland von zentraler Bedeutung für die Transformation unserer Wirtschaft, in Richtung Klimaneutralität, für die wirtschaftliche Entwicklung und für die Sicherung unseres Wohlstandes insgesamt“, sagte Günther.

Kieler Landesregierung ist empört

Verkehrsminister Claus Madsen spricht von einer maßlosen Enttäuschung: „Abgesehen davon, dass nicht einmal der Nord-Ostsee-Kanal und auch keine andere Wasserstraße auf der Liste beschleunigter Projekte auftaucht, bremst das Ergebnis vor allem den Weiterbau der A20 massiv aus“, sagte Madsen.

Der CDU-Teil in der schleswig-holsteinischen Regierung kritisiert vor allem die FDP und Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Entgegen aller vollmundigen Bekundungen und Bekenntnisse von ihm habe die Bundesregierung der Küstenautobahn am Ende doch kein überragendes öffentliches Interesse attestiert, heißt es in Kiel.

„Gesamte Westküste leidet unter Entscheidung“

Für den Dänen im schleswig-holsteinischen Kabinett ist die Entscheidung ein „Schlag ins Gesicht für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Westküste“. Claus Madsen spricht von für Tausende Menschen, „die seit zwei Jahrzehnten unter dem Dauerstau in Bad Segeberg leiden“. Auch für die Transformation zum grünen Industrieland sei dies ein Rückschlag.

Claus Madsen (parteilos) ist Schleswig-Holsteins Verkehrsminister. Hier steht er auf der Baustelle des Fehmarnbelttunnels. Aus einem Besuch auf einer A20-Baustelle dürfte es jetzt erst einmal nichts werden.
Claus Madsen (parteilos) ist Schleswig-Holsteins Verkehrsminister. Hier steht er auf der Baustelle des Fehmarnbelttunnels. Aus einem Besuch auf einer A20-Baustelle dürfte es jetzt erst einmal nichts werden. © picture alliance/dpa | Frank Molter

Madsen erinnerte daran, dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing die A20 noch im Februar bei einem Besuch in Brunsbüttel eine „ganz wichtige Autobahn“ genannt habe, die „dringend gebraucht“ werde. Nun habe es der FDP in den Verhandlungen am nötigen politischen Gewicht gefehlt, die halb fertige Ost-West-Magistrale beschleunigt voranzutreiben.

Verhalten der FDP im Bund sei „grotesk“

Das Wirtschaftsministerium in Kiel findet ungewöhnlich deutliche Worte über den FDP-Politiker. Dass Volker Wissing das bittere Ergebnis für Schleswig-Holstein mit Verweis auf „Beschleunigungen im Naturschutzrecht“ und „schnellere Raumverträglichkeitsprüfungen“ zu kaschieren versuche, sei grotesk. Das Koalitionsergebnis zeige einmal mehr, dass die Bundesregierung beim Thema Straßeninfrastruktur nur auf den Westen und Süden ausgerichtet sei.

Eher kleinlaut reagierte die FDP in Schleswig-Holstein auf den Beschluss der Bundes-Ampel. „Bekanntermaßen hätten wir uns gewünscht, dass auch für die A20 ein überragendes öffentliches Interesse festgelegt worden wäre“, teilte Fraktionschef Christopher Vogt mit. „Ich bedaure wirklich sehr, dass mit Robert Habeck ausgerechnet ein schleswig-holsteinischer Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister hier weiterhin so vehement auf der Bremse steht.“

FDP arbeitet sich an Schwarz-Grün ab

Vogt arbeitet sich auch an der CDU ab. „Die Kritik der Union, die über viele Jahre noch nicht einmal in Koalitionen mit der SPD etwas zur Planungsbeschleunigung beigetragen hat und jetzt in Schleswig-Holstein mit den Grünen nichts hinbekommt, ist ausgesprochen wohlfeil und richtet sich an den falschen Adressaten. Aber vielleicht reicht das politische Gewicht des Ministerpräsidenten ja aus, Habeck von seiner Blockadehaltung abzubringen.“

Die SPD in Schleswig-Holstein bedauert, dass die „Planungsbeschleunigung für die A 20 nun offenbar vom Tisch ist. Aber: der Wegfall dieser Abkürzung ist keine Verlängerung. Wir sind jetzt wieder bei dem Stand, den es vor Beginn der Ampel-Diskussion gab und der übrigens auch galt, als Daniel Günther die Fertigstellung bis 2022 zugesagt hatte!“ Das sagte Fraktionschef Thomas Losse-Müller. Die Kritik der Union sei albern mit Blick darauf, dass man in 16 Jahren Regierungsverantwortung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel nichts getan hat, um das Projekt zu beschleunigen.

Während in Schleswig-Holstein die massiven Verzögerungen, die beim Bau der A20 drohen, im Fokus stehen, ist es in Hamburg die Hafenautobahn A26. Der Wirtschaftsrat Hamburg fordert, den Bau der A26-Ost zügig voranzutreiben. „Die A26-Ost ist durch ihre großen Entlastungseffekte unverzichtbar für die künftige Verkehrsinfrastrukturentwicklung Hamburgs – und in Verbindung mit der Köhlbrandquerung wichtig für die Lieferketten in der gesamten Bundesrepublik“, schreibt der Wirtschaftsrat.