Hamburg. Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer spricht darüber, wie sich Hamburg-Mitte verändert hat – und wie es sich weiter verändern wird.

St. Georg, St. Pauli, die Innenstadt – wer den Bezirk Hamburg-Mitte regiert, gilt als ein heimlicher Bürgermeister. Und oftmals war der Posten zuletzt ein Karrieresprungbrett: Andy Grote, Hausherr im City-Hof zwischen 2012 und 2016, wurde Innensenator, sein Nachfolger Falko Droßmann zog 2021 von der Kaiser-Wilhelm-Straße in den Bundestag ein. Und auch Ralf Neubauer, seit November 2021 Bezirksamtsleiter, ist ein politischer Kopf im Bezirksamt.

Mit 18 Jahren wurde der gebürtige Crailsheimer Sozialdemokrat, und schon ein Jahr später SPD-Chef von Blaufelden im Landkreis Schwäbisch Hall. Als Jura-Student wählten ihn seine Kommilitonen zum AStA-Pressesprecher in Bremen, 2008 zog Neubauer in die Bezirksversammlung in Hamburg-Mitte ein, 2020 dann in die Bürgerschaft. Entsprechend professionell wiegelt er alle Fragen nach seiner weiteren Karriere im Podcast „Was wird aus Hamburg“ ab – „ich fühle mich da, wo ich bin, ziemlich wohl und habe gerade keine Pläne“.

Hamburg-Mitte bietet Platz für ehrgeizige Wohnungsbauziele des Senates

Denn Mitte ist eine echte Großstadt – mit rund 300.000 Einwohnern ist der Bezirk so groß wie Karlsruhe, verbindet Weltstadt mit ländlichem Charme. Und bietet offensichtlich noch reichlich Platz für die ehrgeizigen Wohnungsbauziele des Senates. Im vergangenen Jahr wurden in Mitte 2337 Baugenehmigungen ausgestellt – fast 1000 mehr, als der Bezirk im Rahmen des 10.000er-Ziels rechnerisch liefern müsste. „Wir haben in Mitte ein ambitioniertes bezirkliches Wohnungsbauprogramm und viele Potenzialflächen, die wir entwickeln werden“, sagt Neubauer. Große Pläne gibt es gleich in mehreren Stadtteilen – in der Wilhelmsburger Mitte mit Spreehafenviertel, den Elbinselquartieren und dem Rathausviertel sollen allein 5000 Wohneinheiten entstehen, weitere Projekte sind in der Horner Geest und in Rothenburgsort geplant. „In unserem Bezirk ist mir um die Potenziale nicht bange. Wir müssen sie nur heben.“

Das allerdings wird zunehmend komplizierter. Angesichts der schwierigen Lage am Bau mit steigenden Kosten und galoppierender Inflation relativiert der Sozialdemokrat: „Wir werden unsere Zahlen nicht weiter steigern können, wir versuchen sie zu halten.“ Noch spüre er keinen Rückgang bei Bauanträgen, von dem seine Kollegen aus anderen Bezirken schon berichten. „Anträge haben wir in Mitte weiterhin reichlich. Ob die dann hinterher in Genehmigungen und Wohneinheiten münden, muss man sehen.“

Wohnungsbau in Hamburg: Aktuelle Entwicklungen sind beunruhigend

Genossenschaften und Wohnungsbauunternehmen blicken mit Sorge auf die aktuellen Entwicklungen. Hausgemachte Probleme verschärfen die Lage: Neben der wirtschaftlichen Entwicklung hätten auch politische Entwicklungen, wie die Einigung mit den Volksinitiativen, „bei dem einen oder anderen Stirnrunzeln ausgelöst“, räumt der Sozialdemokrat ein.

So hat sich der Senat mit den Initiatoren der Initiativen „Keine Rendite mit Wohnen und Miete“ geeinigt, Grundstücke hauptsächlich im Erbbaurecht abzugeben und 1000 Sozialwohnungen mit 100-jähriger Mietpreisbindung bauen zu lassen. Seitdem knirscht es gewaltig im Gebälk des bis dato erfolgreichen Bündnisses für das Wohnen. Andreas Breitner, der Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen, kritisierte unlängst gar, der Senat habe aus Angst vor einem anstehenden Volksentscheid „städtebaulichen Selbstmord begangen“. Nach der Senkung des Erbbauzinses äußerte sich Breitner am Mittwoch allerdings deutlich versöhnlicher.

Die Baustellen der Innenstadt müssen Schritt für Schritt abgearbeitet werden

Ein Dauerbrenner ist für den Bezirksamtsleiter die Diskussion um die Innenstadt. Hamburgs gute Stube steht unter Dauerstress – wachsende Leerstände, der boomende Internethandel und die absehbare Konkurrenz durch das Überseequartier, das im Frühjahr 2024 eröffnet werden soll. Erst am Montag hatte der Runde Tisch Innenstadt seine Ideen zu einer Aufwertung der City präsentiert. „Das war ein solider Anfang“, betont Neubauer. „Es ist weltfremd zu glauben, mit einem Fingerschnipsen lasse sich der große Wurf präsentieren.“ Vielmehr gehe es darum, die Baustellen der Innenstadt Schritt für Schritt abzuarbeiten.

„Mit der Verkehrsberuhigung und der Aufwertung der Mö sowie der Steinstraße haben wir einen guten Anfang hingelegt. Alle relevanten Innenstadtakteure begrüßen diese Planung, was nicht selbstverständlich ist.“ Hamburg suche den Schulterschluss mit Handel und Grundeigentümern. „Ein weiteres großes Thema ist die bessere Verbindung zwischen Innenstadt und HafenCity über die Dom-Achse. Da hat der Oberbaudirektor ein Workshop-Verfahren mit einem ehrgeizigen Zeitplan vorgelegt, sodass es noch im laufenden Jahr Ergebnisse geben wird.“ Fünf Büros sollen konkrete Überlegungen präsentieren, die dann beim Runden Tisch mit dem Bürgermeister weiter diskutiert werden sollen. „Da ist richtig Druck und Tempo auf der Sache.“

Weniger Tempo hingegen gibt es bei den beiden seit rund zweieinhalb Jahren leer stehenden Kaufhäusern. Beim denkmalgeschützten Kaufhof sprechen Bezirk und der Oberbaudirektor mit dem Eigentümer, um eine Nutzung für Einzelhandel, Büro, Gastronomie und Kultur zu ermöglichen. Beim Karstadt Sport gibt es noch keine Lösung. „Immerhin läuft hier ab März die Zwischennutzung weiter“, sagt Neubauer.

Enttäuscht wurden aber bislang die Hoffnungen, dass die Innenstadt eine Attraktion bekommt, die als Frequenzbringer Menschen anlockt. Im Wahlkampf hatte die SPD ein „Haus der digitalen Welt“ nach dem Vorbild des Oodi aus Helsinki versprochen, eine „Elbphilharmonie der Digitalisierung“. Bis heute gibt es nicht einmal einen Standort, aber hinter den Kulissen sollen die Planungen vorangehen. „Das Thema liegt nicht beim Bezirk, sondern beim Senat“, sagt Neubauer. „Ich glaube aber nicht an den einen großen Frequenzbringer, der alle Probleme lösen kann. Wir benötigen einen bunteren Mix an Nutzungen.“ Handel allein reiche nicht mehr, Wohnen in der Stadt werden immer wichtiger. „Wir sehen ein Potenzial in der Alt- und in der Neustadt von 800 bis 900 Wohneinheiten.“

Neubauer plädiert für großen Spielplatz an der Wasserseite des Jungfernstiegs

Zudem plädiert Neubauer für eine Neubetrachtung öffentlicher Räume. „Jetzt wird zeitnah der Burchardplatz neu gestaltet, als Nächstes folgt der Hopfenmarkt. Wir benötigen aber auch Räume für junge Menschen. Die haben wir zu wenig auf dem Radar oder nur dann, wenn es, wie etwa auf dem Jungfernstieg, Probleme gibt.“ Außerhalb von Planten un Blomen gebe es in der Innenstadt keinen größeren Spielplatz. „Warum probieren wir das nicht einmal in einem geschützten Rahmen an der Wasserseite des Jungfernstiegs aus?“, fragt der Vater von zwei Kindern. „Wir sollten auch darüber nachdenken, welche stärkere Rolle Wissenschaft, Forschung, Kunst und Kultur in der Innenstadt spielen können“ So diskutiert Bremen, einen Teil seiner Universität auf einen City Campus direkt neben dem Rathaus auf den Domshof zu verlegen.

Neubauer stimmt zu, dass es viele Gesprächskreise in der Stadt gibt, den Runden Tisch aber hält er für den entscheidenden Ort, an dem mit dem Bürgermeister alle relevanten Themen zusammengeführt werden. Ausdrücklich lobt er die Innenstadtkoordinatorin Elke Pahl-Weber, die versucht, verborgene Potenziale in der Altstadt und Neustadt zu heben.

Der 41-jährige Neubauer will sich in seiner Rolle als Bezirksamtsleiter nicht auf die City fokussieren, sondern alle 19 Stadtteile in den Blick nehmen. Dabei geht er auf Distanz zu einer Politik, die das Auto aus der Stadt verdrängen will: „Das Ziel einer autoarmen Innenstadt halte ich unverändert für richtig. Autofrei aber war nicht die Verabredung.“ Eine Verkehrsberuhigung wie nun an der Steinstraße liege im Interesse aller beteiligter Akteure. „Die Welt außerhalb der City ist aber eine andere. Mich treibt die Sorge um, dass wir mancherorts zu viele Parkplätze wegnehmen.“

Neubauer kritisiert den Wegfall von Parkplätzen in Hamburg

Zwei Beispiele führt er an: So werde in Hamm noch in diesem Jahr die Carl-Petersen-Straße umgestaltet, eine „schöne kleine Wohn- und Einkaufsstraße“. „Dort fallen nach der Planung 45 Parkplätze weg. Das wird sich im Quartier bemerkbar machen.“ Verantwortlich dafür sei auch das Regelwerk, das mittlerweile für Fußgänger und Radfahrer andere Straßenbreiten verlange als früher. „Das finde ich grundsätzlich richtig. Es darf nur nicht in der Masse zulasten von Parkplätzen gehen.“

Ein weiteres Beispiel sei die Planung der Veloroute 8 nach Mümmelmannsberg. „Dort sollen 100 Parkplätze und über 40 Bäume wegfallen. Das ist etwas, was ich mir nicht vorstellen kann. Die Verkehrswende lebt davon, dass sie in den Stadtteilen auf Akzeptanz stößt.“ Gerade in den Außenbezirken dürfe man nicht erst die Parkplätze wegnehmen, sondern müsse zunächst die Mobilitätsangebote so ausbauen, dass es Alternativen zum Auto gebe. „Wir versuchen, die Verkehrswende im Bezirk Mitte ein bisschen anders zu handhaben, weil niemandem geholfen ist, wenn wir in den Stadtteilen massive Parksuchverkehre haben. In der City helfe die autoarme Politik, die Aufenthaltsqualität zu verbessern, „aber in den äußeren Stadtteilen, muss man anders drauf gucken.“ Er sei mit dem Verkehrssenator Anjes Tjarks im Gespräch über die genannten Fälle. Neubauer sagt aber auch: „100 Parkplätze weniger in Mümmelmannsberg sind eine echte Hausnummer. Das ist mit mir nicht zu machen.“ Das Berliner Wahlergebnis versteht der Sozialdemokrat als Warnung. „Ich glaube durchaus, dass es die Wahl mitentschieden haben dürfte.“

Wichtig ist dem Bezirksamtsleiter, dass die einzelnen Stadtteile aus sich heraus funktionieren. „Unser Ziel ist die 15-Minuten-Stadt, jeder sollte innerhalb einer Viertelstunde möglichst alle Dinge des täglichen Bedarfs erreichen.“ Derzeit werde das Zentrum in Billstedt, mit mehr als 70.000 Einwohnern der zweitgrößte Stadtteil, rund um die dortige Marktfläche und die Möllner Landstraße neu geplant. Besonderen Augenmerk richtet Neubauer auf das Hochwasserbassin in Hammerbrook. „Das ist eine unentdeckte Wasserlage, die nun mit einer neuen Freiraumplanung zugänglich gemacht werden soll.“

Insgesamt werden im Modellvorhaben Mitte derzeit über 130 Millionen Euro von Bund und Land investiert, um im Osten von Hammerbrook bis Billstedt städtebauliche Missstände zu beseitigen, Wasserlagen zu erschließen, Sportanlagen zu modernisieren, Quartierszentren zu schaffen und die soziale Infrastruktur zu stärken. Neubauer will den bösen Satz „Billstedt, Hamm und Horn erschuf der liebe Gott im Zorn“ vergessen machen. „Diese Stadtteile haben wahnsinnig schöne Ecken, und wir versuchen alles, um sie noch ein bisschen schöner zu machen.“ Er erlebe, dass Hamm als Stadtteil für junge Leute immer attraktiver werde. Und Neubauer sagt mit einem Augenzwinkern. „Heißt es nicht Pinneberg und Elmshorn erschuf der liebe Gott im Zorn?“

Fünf Fragen:

Meine Lieblingsstadt...

...ist Hamburg. Ich wohne seit fast 20 Jahren hier und fühle mich sehr wohl. Zuerst habe ich auf St. Pauli in der Talstraße gelebt, mitten im Geschehen, übrigens in einer Wohngemeinschaft mit Andy Grote, das hatte sich damals so ergeben. Mittlerweile bin ich mit meiner Familie am Stadtrand im Finkenwerder Westen gelandet, beschaulich mit Blick auf reetgedeckte Bauernhäuser und Obstbäume. Das ist die ganze Vielfalt, die Hamburg-Mitte bietet. Deswegen gefällt es mir hier so gut.

Mein Lieblingsstadtteil…

...ist eine fiese Frage, weil es im Bezirk Mitte 19 Stadtteile gibt, die mir tatsächlich alle ans Herz gewachsen sind. Aber ich wohne nicht ohne Grund auf Finkenwerder – das ist mein Stadtteil geworden.

Mein Lieblingsgebäude...

ist das Rathaus, ein sehr imposantes Gebäude. Ich bin da sehr gerne, aber verlaufe mich nach vielen Jahren gelegentlich immer noch.

Mein Lieblingsort...

... liegt an der Alster. Besonders gerne esse ich ein Eis mit meinem fünfjährigen Sohn am Jungfernstieg.

Einmal mit der Abrissbirne...

...würde ich die frühere Golflounge am Billwerder Neuen Deich wegreißen. Die Golfer sind ja lange nach Moorfleet weitergezogen, und auch dem früheren Besitzer Peter Merck ist der Zustand ein echter Dorn im Auge. Das Gelände verwahrlost immer mehr. Es ärgert mich, dass an einer so schönen und zentralen Ecke, die nicht umsonst Teil der Rahmenplanung Stadteingang Elbbrücken ist, nichts vorangeht. Wir sind da schon lange dran und haben versucht, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen, aber es ist nicht einfach. Der Eigentümer kommt aus dem Spektrum der Adler Group, und da kriegen sie heute nicht mehr so leicht jemanden ans Telefon.