Hamburg. Demografischer Wandel wird Stadt verändern. Hamburg wird älter und internationaler – und einsamer. Was Experten prophezeien.

Es ist gerade eine Generation her, da verbanden die klugen Köpfe im Lande Demografie mit Untergang. Zitieren wir aus einem Aufsatz, verfasst 1988: „Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nimmt weiter ab. Sie nimmt auch in den großen Städten ab, in Hamburg überproportional. Dafür gibt es zwei Gründe: die Altersstruktur der hamburgischen Bevölkerung und die Umlandabwanderung. Eine andere Entwicklung wäre nur denkbar, wenn die Bundesrepublik ein Einwanderungsland würde, auch offiziell, woran ich nicht glaube. Wenn die erste These zutrifft, dann werden wir es – trotz der Aussiedlerzuwanderung – erleben, dass in den nächsten 15 bis 30 Jahren einzelne Stadtteile in Hamburg leerlaufen oder sich zu Slums entwickeln und die städtische Infrastruktur sich flächendeckend verdünnt.“

Als Konsequenz empfahl der Vordenker: „Es braucht Mut zur Gestaltung, denn eigentlich müssten wir heute entscheiden, bestimmte Stadtteile oder Teile von Stadtteilen in einer weiteren Zukunft als Wohnquartier aufzugeben und die Flächen anders zu nutzen. Das sind, wie ich sehr wohl weiß, ungeheuer schwierige politische Entscheidungen ... Betroffen werden von solchen Entscheidungen vor allem die nach 1960 erbauten Großsiedlungen.“

Die Gedanken zur „Unregierbarkeit der Städte“ kamen nicht von irgendwem, sondern einem Hamburg-Kenner par excellence. Der ehemalige Bürgermeister Hans-Ulrich Klose hatte 1988 einen älteren Vortrag zum Thema für das Jahrbuch der Hamburgischen Architektenkammer aktualisiert.

Die Menschen werden älter, wollen aber in ihren Wohnungen bleiben

Heute streiten wir eher über andere Fragen. Wann wird Hamburg zwei Millionen Einwohner haben? Kann und soll das Wachstum bis auf 2,2 Millionen weitergehen? Wo errichten wir neue Häuser, Siedlungen, Stadtteile? Alles kam anders – Deutschland wurde ein Einwanderungsland, die Geburtenraten stiegen leicht an, die Menschen leben länger. Aber man sollte sich von den Zahlen nicht täuschen lassen – die großen Trends, die Hans-Ulrich Klose beschrieb, gelten weiterhin. Auch wenn die Hansestadt mit einem Durchschnittsalter von 42,2 Jahren die bundesweit jüngste Bevölkerung hat – wir werden älter. Und immer mehr Hochbetagte leben unter uns, die Bevölkerungspyramide verschiebt sich nach oben.

Doch während wir älter werden, verlieren wir die Angst vor dem Alter. „Die Älteren ändern sich – sie sind digitaler, mobiler, gesünder. Sie wollen nicht „alt“ sein“, sagt Eva Nemela. Sie verantwortet den Themenbereich „Alter und Demografie“ der Körber-Stiftung und leitet das Körber-Haus in Bergedorf. Das frühere Haus im Park, 1977 als Seniorenbegegnungszentrum von Kurt Körber gegründet, wollte Ältere nie bespaßen und verwahren, sondern Beiträge für die Gesellschaft leisten. Aus dem Haus für Alte ist mit dem Körber-Haus längst ein Haus für alle geworden – generationenübergreifend. „Alter ist kein Abstellgleis: es geht darum, die Potenziale der Menschen zu nutzen, nicht nur die Schwächen zu sehen“, sagt Nemela.

„Hamburg wird in den kommenden Jahren deutlich altern“

Allerdings müssen sich Kommunen auf den demografischen Wandel vorbereiten. „Hamburg ist aufgrund der Fernzuwanderung zwar ‚jünger‘ als viele andere Städte, wird in den kommenden Jahren dennoch deutlich altern“, sagt Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Der frühere Innenminister in Schleswig-Holstein sieht zwei große Herausforderungen: „Zum einen werden die Menschen älter, zum anderen wollen viele von ihnen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben.“

Das hat Konsequenzen nicht nur für die Immobilienentwicklung, sondern die ganze Stadt. Die Genossenschaften versuchen, ihren Mietern zu ermöglichen, so lange wie möglich zu bleiben. Bestandswohnungen werden barrierearm: Sie bekommen breitere Türen, bodentiefe Duschen, Haltegriffe im Bad und auf der Toilette, eine Rampe zum Hauseingang, Fahrstühle im Treppenhaus, eine moderne Beleuchtung. Allein die Unternehmen des VNW – 411 Wohnungsgenossenschaften im Norden – geben jährlich mehr als 200 Millionen Euro für derartige Umbauarbeiten aus. Damit Menschen im Falle einer Pflegebedürftigkeit so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden und im vertrauten Umfeld leben können, hat das Bündnis für das Wohnen Anforderungen an neue Wohn- und Betreuungsformen im Quartier definiert.

Liegt Hamburgs Chance im Wohnungstausch?

Trotzdem verpflichtet die Hamburgische Bauordnung nur dazu, eine Etage barrierearm zu gestalten. Laut Breitner erfüllen derzeit rund drei Prozent der 302.000 Wohnungen, die von VNW-Unternehmen in Hamburg angeboten werden, diesen Standard. Bei den Wohnungen der Saga sind es einer älteren Umfrage zufolge sogar nur 1,8 Prozent – die strenge DIN-Norm erreichen sogar nur 0,2 Prozent.

Immer wieder verweisen Stadtentwickler, zuletzt auch Senatorin Karen Pein, auf die Möglichkeiten, die im Wohnungstausch liegen. Oftmals bewohnen ältere Menschen Wohnungen oder Häuser, die ihnen längst zu groß geworden sind. „Die Idee, dass sie in eine kleinere Wohnung umziehen und so Platz für Familien machen, ist charmant“, sagt Breitner. „Aber wie so oft scheitert eine gute Idee daran, dass die Menschen am Ende doch nicht wollen.“ Vielen falle das Verlassen der gewohnten Umgebung schwer, stehen doch die eigenen vier Wände für gelebte Erinnerungen. Einer Umfrage der Gesellschaft für Immobilienverrentung unter 1000 Rentnern hat ergeben, dass sich 76 Prozent der Eigentümer und 62 Prozent der Mieter nicht vorstellen können, im Alter noch einmal umzuziehen.

Hören Sie mal rein:

In Hamburgs Szenevierteln sind Wechsel fast unmöglich

Der Umzug scheitert zudem daran, dass die Menschen ihr Wohnviertel nicht verlassen möchten. Gerade in den beliebten Stadtteilen Hamburgs sind Wechsel fast unmöglich – in den In-Vierteln liegt der Anteil älterer Menschen deutlich niedriger – in der Schanze, Hoheluft oder Ottensen sind nur rund zehn bis zwölf Prozent der Bewohner 65 Jahre und älter, im Hamburger Durchschnitt hingegen 18 Prozent. Ein Wohnungstausch scheitert da schon an den finanziellen Realitäten. Das könnte sich bald ändern: Die Baby-Boomer, die oftmals über Eigentum und Vermögen verfügen, dürften eine selbstbewusstere Seniorengruppe stellen als die Elterngeneration. Sie werden sich kaum verpflanzen lassen wollen.

„Ein Umzug stellt für ältere Menschen eine erhebliche psychische und körperliche Belastung dar“, sagt Breitner: „Der Tausch von Wohnungen ist sicher ein richtiges und wichtiges Instrument, aber kein Allheilmittel, die Probleme des Hamburger Wohnungsmarkts zu lösen.“

Altersgerechtes Wohnen: Zürich als Vorbild?

Da fällt der Blick ins Ausland – der demografische Wechsel betrifft fast alle europäischen Staaten, allerdings setzt er hierzulande früher ein, weil die Geburtenzahlen schon in den 60er-Jahren fielen. Seit 13 Jahren recherchiert die Körber-Stiftung in Modellstädten, die ältere Menschen auf vorbildliche Weise integrieren.

„Ob Zürich oder Helsinki - andere Städte und Länder sind mutiger und eher bereit, neue Wege einzuschlagen oder neue Wohnkonzepte für das Alter auszuprobieren“, sagt Nemela. Zürich etwa verfolge eine übergreifende Strategie des altersgerechten Wohnens. Auch Wien habe das Thema früh erkannt. „Von ihnen können wir einiges lernen.“ Inzwischen hat auch Hamburg das Thema „altersfreundliche Stadt“ für sich entdeckt. So will der Senat sein Demografiekonzept Hamburg 2030 im Sinne einer sogenannten Age-Friendly-City weiterentwickeln.

Was machen die anderen anders? In der Schweiz gibt es Genossenschaften, die schon beim Einzug die Modalitäten des Auszugs vereinbaren: Man lebt dort als Familie auf Zeit: Wenn die Kinder ausgezogen sind, bekommt man eine kleinere Wohnung und muss die größere Wohnung freimachen. „Ich habe das vor einigen Jahren bei unseren Mitgliedern thematisiert, das hielten alle für eine interessante Idee“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. „Aber dann haben die Vorstände der Genossenschaften abgewinkt“ – offenbar fürchteten sie um ihre Jobs. Mittlerweile würden aber viele Genossen umdenken.

Wohnungsmarkt: Die Kinderlosigkeit schlägt durch

Ohnehin geht es nicht nur um fehlenden Wohnraum – eine ältere Gesellschaft ist oftmals eine einsame Gesellschaft. Die Kinderlosigkeit schlägt durch. Schon heute liegt die Zahl der Ein- und Zwei-Personen-Haushalte in Hamburg bei etwa 80 Prozent. Ein Ergebnis der aktuellen Studie „Wohntrends 2040“ des GdW zeigt die Vereinsamung der Menschen in der Single-Gesellschaft.

Mehr als ein Viertel der 2200 Befragten gab an, dass sie keine oder nur begrenzt Menschen haben, die ihnen nahestehen. „Die Vereinsamung hat Spitzenwerte erreicht. Da wird die Bereitschaft steigen, mit anderen zusammenzuziehen – nicht in eine Not-WG, sondern in eine Wohnung mit gehobenem Wohnstandard“, sagt Gedaschko. „Die Lebensformen werden vielfältiger, als sie es in der Vergangenheit waren.“

Saga schafft Konzept „Lebendige Nachbarschaft“

Darauf reagieren die Vermieter: Die Saga hat das Konzept „Lebendige Nachbarschaft“ (LeNa) in Barmbek, Horn und Steilshoop auf den Weg gebracht. Dort vermittelt ein Nachbarschaftsbüro Ehrenamtliche, die Besorgungen erledigen, Gefälligkeiten übernehmen oder als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. In der Anlage Fehlinghöhe gibt es 85 barrierefreie Zweizimmerwohnungen, die voll auf die Bedürfnisse von Senioren ausgerichtet sind. Das Haus verfügt über zwei Gemeinschaftsräume, eine Gemeinschaftsküche sowie eine Terrasse zum grünen Innenhof. Zehn Wohnungen sind für pflegebedürftige Bewohner reserviert.

Noch sind diese Angebote eher Ausnahme denn Alltag. Breitner warnt vor zu hohen Erwartungen: „Auch in der Frage der Gemeinschaftsküche scheitern theoretische Vorstellungen nicht selten an der Praxis. In einigen Fällen mag das funktionieren, aber hierzulande haben die meisten Menschen das Bedürfnis, sich in ihrer Wohnung ihr ‚eigenes Reich‘ zu schaffen.“ Gemeinschaftsräume hingegen, die der soziale Wohnungsbau schon vor 100 Jahren schuf, sind bei vielen Unternehmen längst Standard. In einer Gesellschaft, die älter wird, schrumpft die Welt, die direkte Umgebung spielt eine größere Rolle.

„Eine zentrale Frage ist die Bewegung im öffentlichen Raum: Wir müssen es Menschen leicht machen, ihr Haus zu verlassen und Angebote angst- und verletzungsfrei zu nutzen“, sagt Nemela. Auch die viel zitierte 15-Minuten-Stadt, in der alle wichtigen Dienstleistungen einfach erreichbar sein sollen, spielt eine zentrale Rolle. „Eine gute Nahversorgung wird immer eingefordert, ist aber leider nicht mehr gegeben. Und Lieferdienste sind nicht unbedingt ein Ersatz für fehlende Angebote.“ Das A und O seien Lösungen im Quartier. „Die Menschen müssen sich kennen. Die Pandemie hat uns geholfen, wieder mehr aufeinander zu achten.“

Sehen Dörfer und Städte bald wie ein Donut aus – im Zentrum leer?

Ähnlich sieht es Breitner: „Mehr dezen­trale Angebote wie Bäcker, Obstläden oder Supermärkte sind wünschenswert, weil sie auch als ‚Begegnungszentrum‘ eines Quartiers fungieren können.“ Aber natürlich müssen sich diese auch wirtschaftlich tragen, was in Zeiten der Lieferdienste und des Internets nicht einfacher wird. Die Pandemie hat dem Bestellen per Mausklick einen zusätzlichen Schub versetzt – besonders die über 60-Jährigen haben das Netz neu entdeckt. Ausgerechnet die Senioren, die von fußläufigen Angeboten profitieren, sind ins Internet abgewandert.

Die Stadtentwicklung von morgen gleicht einem  Puzzle. Das  Problem: Nicht alle Teile sind schon bekannt.
Die Stadtentwicklung von morgen gleicht einem Puzzle. Das Problem: Nicht alle Teile sind schon bekannt. © Getty Images/iStockphoto | Nuthawut Somsuk

So beschleunigt sich auch der Exodus der Waren- und Kaufhäuser, aber auch der Geschäfte aus den Innenstädten. Was eine Metropole wie Hamburg noch wird stemmen können, erleben viele Kleinstädte in der Umgebung als Zerfall von innen: Im Stadtkern wächst der Leerstand, an der Peripherie wuchern die Neubaugebiete. Damit verfällt die historische Bausub­stanz im Zentrum, weil die Häuser oft energetisch nachteilig, ungünstig geschnitten, zu klein oder nicht barrierefrei sind. Am Ende entstehen sogenannte Donut-Dörfer, benannt nach dem Zuckergebäck mit dem Loch in der Mitte.

Auch Hamburg bessere Viertel vor dem Wandel

Auch die besseren Wohnviertel der Hansestadt – ob Elbvororte, Walddörfer oder Stadtteile im Speckgürtel – stehen vor einem tiefgreifenden Wandel: Die Einfamilienhäuser werden in Zukunft mehr und mehr an den Nachwuchs vererbt. In Familien mit mehreren Kindern wird die Immobilie fast zwangsläufig verkauft werden, um das Erbe aufzuteilen und mögliche Erbschaftssteuer zu bezahlen. Es folgen Abriss und Neubau. Der Trend, dass auf einem früheren Grundstück mit Eigenheim dann Luxuseigentumswohnungen und Penthouses entstehen, lässt sich vor Ort bereits in immer mehr Straßen besichtigen.

Und doch: Die Untergangsprognosen der ausgehenden 80er-Jahre blieben aus, weil immer mehr Menschen nach Hamburg kamen – viele aus den benachbarten Bundesländern, viele aus dem Ausland. Anders als Klose glaubte, ist Deutschland inzwischen zum Einwanderungsland geworden. Die Migration birgt große Chancen, bringt aber auch gewaltige Herausforderungen mit. Neben der Integration der Zuwanderer muss das Interesse daran liegen, die Trennung verschiedener Nationen und die Konzentration auf bestimmte Stadtteile (Segregation) zu verhindern. Sonst könnte sich die Negativprognose von Klose am Ende doch noch bewahrheiten.