Hamburg. Die Ziele des Bündnisses für das Wohnen werden verfehlt. Verbandspräsident Axel Gedaschko erklärt, was die Branche vermisst.
Ein Wahlversprechen machte Olaf Scholz 2011 zum Bürgermeister. 6000 Wohnungen, so betonte er immer wieder, werde Hamburg jährlich bauen lassen. Und der Sozialdemokrat hielt, was er versprach. Im Wahlkampf darauf erhöhte er sein Bauziel für Hamburg auf 10.000 Einheiten. Mit dem Bündnis für das Wohnen übersprang die Hansestadt auch diese Latte.
Von Hamburg lernen heißt siegen lernen: Mit einer ähnlichen Strategie zog Scholz 2021 ins Kanzleramt ein. Im April 2022 dann unterzeichneten Verbände, Wirtschaft und Politik das „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“ und versprachen, alle Kräfte zu bündeln, um 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu erreichen. Die Umsetzung legte er in die Hände einer Vertrauten, der Bundesbauministerin Klara Geywitz.
Doch was in Hamburg geräuschlos gut gelang, dürfte nun krachend scheitern. Im Jahr 2021 entstanden nur 293.000 neue Wohnungen in Deutschland. In diesem Jahr dürften es noch weniger werden, sagte Axel Gedaschko im Podcast „Was wird aus Hamburg“. Der frühere Hamburger Senator ist seit 2011 Präsident des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Er vertritt 15 Mitgliedsverbände mit einem Bestand von rund sechs Millionen Wohnungen – und fühlt damit der Branche den Puls.
Wohnungen in Hamburg: Bedarf steigt rasant – Angebot nicht
„Wir haben vor Weihnachten eine Befragung unter unseren 3000 Mitgliedsunternehmen gemacht. Der Trend ist klar: Für 2022 rechnen wir mit einem Rückgang auf rund 280.000 fertiggestellte Wohnungen.“ Und das Umfeld trübt sich weiter ein. „Nun wird es ziemlich duster, im laufenden Jahr rechne ich mit 250.000 bis 260.000 Fertigstellungen. Und wenn nichts Entscheidendes passiert, landen wir 2024 wahrscheinlich bei 215.000 bis 220.000.“ Diese Entwicklung hält Gedaschko für fatal – denn während die Wohnungsbauoffensive stockt und das Ziel in immer weitere Ferne rückt, steigt die Nachfrage unverdrossen an.
Mehrere Faktoren verschärfen das Problem. Ein Trend ist die Vereinzelung der Bevölkerung, die sich in immer mehr Singlehaushalten niederschlägt. „Selbst wenn die Bevölkerung nicht wächst, bekommen wir dadurch mehr Haushalte und benötigen mehr Wohnungen“, sagt Gedaschko. Auch die Demografie wirkt sich aus. „Es ist eine gute Nachricht, dass wir älter werden. Das bedeutet zugleich, dass die älteren Menschen länger in ihren Wohnungen und Häusern bleiben.“
Hinzu komme nun der Flüchtlingszustrom: „Russland zerstört systematisch die Heimat der Menschen in der Ukraine. Viele Flüchtlinge werden länger bleiben müssen und weitere könnten hinzukommen“, sagt der CDU-Politiker. Ohnehin müsse sich das Land die Frage stellen, wie viele Menschen dauerhaft einwandern müssten, um das Wirtschafts- und Sozialsystem am Laufen zu halten. „Da halten die meisten Experten 400.000 Einwanderer netto pro Jahr für nötig. Für diese 400.000 Menschen müssten wir erst mal Wohnungen bauen.“ So gibt es Experten, die den jährlichen Bedarf in Deutschland inzwischen eher auf 500.000 oder gar 600.000 neue Einheiten taxieren.
Wohnungsbau-Verbandschef Gedaschko: Der Branche fehlt die Verlässlichkeit
Gedaschko bietet da nicht mit. „Das ist fast schon egal, weil wir noch nicht mal die 400.000 schaffen.“ Der frühere Präses der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt will sich nicht zu sehr auf Jahresziele fixieren. „Entscheidend ist Kontinuität. Angesichts der hohen Investitionen benötigt die Branche Verlässlichkeit über einen längeren Zeitraum – und die fehlt. Im Moment erleben viele Unternehmen, wie es trotz all der schönen Perspektiven abwärts geht. In verschiedenen Gewerken häufen sich Entlassungen, es kommt zu Kurzarbeit.“ Gedaschko erzählt von einem Architekturbüro, das ein Großteil der Architekten im Neubau entlassen musste. „Angesichts der Aufgaben, die vor uns liegen, ist das extrem gefährlich.“
Bis vor Kurzem scheiterten viele Bauprojekte an fehlendem Personal. Schon einmal hat eine langwierige Krise die Branche erschüttert. Vor einem Vierteljahrhundert zählte das Bauhauptgewerbe gut 1,4 Millionen Beschäftigte – bis 2005 blieb davon nur die Hälfte übrig. Inzwischen arbeiten zwar wieder knapp 900.000 Menschen in der Branche. Doch der Fachkräftemangel von heute ist eine Folge des Desasters von gestern. In näherer Zukunft dürfte sich das Bild kaum aufhellen. Der größte Wohnungsbaukonzern Vonovia hat angekündigt, im laufenden Jahr keinen einzigen Neubau mehr zu errichten – die nötigen Mieten könnten nie erzielt werden.
Gedaschko: Budget für bezahlbaren Wohnungsbau viel zu klein
„Es läuft im Moment komplett schief“, sagt Gedaschko. „Es gibt Dinge, für die kann keine Regierung etwas. Wir haben eine Zinsentwicklung, die raketenartig nach oben gegangen ist und sich wahrscheinlich bei vier Prozent, vielleicht ein bisschen darüber einpendeln wird.“ Diese Zinssätze waren allerdings noch vor 15 Jahren der Normalfall. „Toxisch wird die Mischung durch die explodierten Baukosten. Sie sind binnen eines Jahres um 17 Prozent gestiegen.“ Viele Baumaterialien, ob Ziegel, Dämmstoffe oder Beton, erfordern bei der Herstellung einen hohen Energieaufwand. „Die Energiepreise werden nicht auf ihr altes Niveau fallen“, sagt Gedaschko. „Wir müssen uns nicht der Hoffnung hingeben, wir bekämen die alten Baupreise zurück.“
Die Lage verkomplizierten Bremseffekte, die die Politik verursacht hat – etwa der Förderstopp für energieeffiziente Neubauten. „Für Genossenschaften war das eine Möglichkeit, bei niedrigen Zinsen, geringeren Baustoffkosten und staatlichen Zuschüssen insgesamt noch bezahlbar zu bauen und zu vermieten. Nun sind alle drei Säulen weggebrochen.“ Gedaschko hält das Bundesbauministerium für chronisch unterfinanziert: „Frau Geywitz hat insgesamt 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung, um Neubau jenseits des sozialen Wohnungsbaus zu fördern. Davon fließen 350 Millionen zur Unterstützung von Familien für Eigentumserwerb. So bleiben 650 Millionen Euro für bezahlbaren Wohnungsbau. Das ist eine Summe, die gibt die Stadt Wien pro Jahr für diesen Zweck aus.“
Von den Holländern lässt sich lernen, wie man schneller und günstiger baut
Der frühere Hamburger Wirtschaftssenator, von 2008 bis 2010 Hausherr am Alten Steinweg, rechnet mit einer längeren Durststrecke. „Es wird Zeit vergehen, bis sich Investitionen wieder lohnen und neue Bauanträge gestellt werden.“ Als Konsequenz daraus müsse man an alle Schrauben drehen, um Wohnungsbau möglich, sprich finanzierbar, zu machen. „Die Bundesarchitektenkammer macht sich Gedanken über ein komplett neues Haus, das alle Regularien und Vorschriften ignoriert, aber trotzdem klimatechnisch und beim Lärmschutz den Anforderungen genügt. Das sieht wahrscheinlich ganz anders aus als das, was wir heute bauen.“
Der Verwaltungsrechtler rät zu mehr Lust am Experiment und empfiehlt, sich in Europa umzuschauen: „Warum sind bei uns beispielsweise Geschossdecken so dick? Die Holländer bauen mit der halben Stärke Decken und Wände. Und trotzdem brechen dort die Häuser nicht zusammen.“ Die Niederländer hätten zudem ihr Baurecht entrümpelt, um die Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Der 63-Jährige will auch auf den Baustellen ansetzen. „Wir bauen noch so, wie in Glashütte Uhren hergestellt werden. Die Manufaktur auf Baustellen ist schon wegen des Fachkräftemangels nicht mehr zeitgemäß. Wir benötigen mehr Automatisierung, Robotisierung, serielle Fertigung, Vorfertigung in Hallen, nicht auf der Baustelle.“ Das alles sei keine Rückkehr der Ost-Platte, wie manche fürchten. „Die Module sind heute so vielfältig, dass man den seriellen Bau gar nicht erkennt. Entscheidend ist, dass man nicht viel Gleiches baut, sondern Mut zu Unterschieden hat.“
Heuschrecke oder Genossenschaft? Manche scheren alle über einen Kamm
Gedaschko empfiehlt, auch die Technisierung der Gebäude zu hinterfragen. „Alles, was wir dort verbauen, muss gewartet werden. Dafür fehlen Menschen. Wichtiger wäre, auf nutzerunterstützende Technik zu setzen.“ Schließlich sei das Verhalten für bis zu 30 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich. „Wer dreht die Heizung beim Lüften runter? Niemand – deshalb sind smarte Thermostate wichtig.“ Technik könne auch ermöglichen, dass Ältere länger in ihren vier Wänden leben könnten. „Die Wohnung muss sich den über 80-Jährigen anpassen – und nicht der gebrechliche Mensch der Wohnung.“
Seine Heimatstadt sieht er vergleichsweise gut aufgestellt: „In Hamburg gab es immer einen Grundkonsens, egal, wer regierte. Man hat vielleicht etwas die Richtung verändert, aber an der Grundidee festgehalten. Das hat der Stadt gutgetan.“ Er lobt Kanzler Olaf Scholz, der als Bürgermeister das Thema Bauen zur Kernaufgabe gemacht und alle Mitarbeiter darauf eingeschworen habe. „Und er hat die wohlmeinenden Investoren eingebunden. Anderswo werden alle Investoren, egal ob Kommunale, Genossenschaft oder Fonds von den Cayman-Inseln, tendenziell als Feind betrachtet.“ Der Grad der Ideologie schlägt sich in den Wohnungsbauzahlen nieder: Bezogen auf die Größe der Stadt habe Hamburg viermal so viele Sozialwohnungen errichtet wie Berlin, sagt Gedaschko. Dafür hat die Mehrheit der Hauptstadt nun für die Enteignung der großen Wohnungsbaukonzerne gestimmt.
Gedaschko sieht Hamburgs Strategie des Erbbaurechts kritisch
Auch in Hamburg dreht sich der Wind, wie die Einigung des Senats mit zwei Volksinitiativen zeigt. Fortan soll es 100-jährige Bindungen im sozialen Wohnungsbau geben und eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik Einzug halten. Erbpacht als Allheilmittel? Die Diskussion tobt nicht nur in der Hansestadt. „Das Thema ist bundesweit trendy“, sagt Gedaschko. „Dahinter steckt die Idee, dass die Stadt ihren Bürgern gehört. Es gibt Bereiche wie etwa den Hafen in Hamburg, da sollte die Politik die Entwicklung steuern. Aber gilt das für jedes Grundstück?“
An diesem Punkt werde es für die meisten Mitgliedsunternehmen im GdW schwierig. „Die Genossenschaften beispielsweise sind in ihrem Wesen auf Ewigkeit angelegt – die Erbpacht widerspricht diesem Grundgedanken.“ Gedaschko verweist auf bittere Beispiele. „Schlimm ist München, wo es exorbitante Grundstückspreissteigerungen gab. Bei Vertragsverlängerungen der Erbpacht kamen zur sensationell günstigen Miete von sechs Euro plötzlich zehn Euro für das Grundstück obendrauf.“
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Kürzlich hat der Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen die Wohntrends 2040 veröffentlicht – mit einem überraschenden Ergebnis. „Die Einstellungen der Menschen haben sich dramatisch verändert“, sagt Gedaschko. Früher war den Bewohnern etwa ein modernes Bad wichtig. Nach der Pandemie sei das Internet von zentraler Bedeutung. „Da hat das Homeoffice Spuren hinterlassen. Auch die Ansprüche haben sich verändert. Ein Arbeitszimmer wird wichtiger, oft eine größere Wohnung. Gerade Familien haben da ein massives Thema.“
Wegen der hohen Baukosten gehe die Reise indes in die andere Richtung: Wohnungen werden kleiner, mit optimierten Grundrissen und offenen Küchen holen Investoren mehr aus einem Quadratmeter heraus. Auch der exorbitante Anstieg der Energiepreise verändert die Anforderungen an die eigenen vier Wände. „Immer mehr Menschen schauen auf die Stromkosten“, sagt Gedaschko. „In Zukunft sollen noch Autos und Wärmepumpen mit Strom laufen. Da werden die Energiepreise das Riesenthema.“ Jeder Eigentümer könne sich Solarpaneele aufs Dach schrauben und von günstigem Strom profitieren, während kleine Genossenschaften oft an den bürokratischen Auflagen scheiterten. „Hier liegt eine Riesenchance, für Bezahlbarkeit des Wohnens zu sorgen“, sagt Gedaschko.
Auf den Baustellen des Landes warten viele Baustellen.
Die fünf Fragen
- Meine Lieblingsstadt ist meine Geburtsstadt Hamburg. Und sie ist es geblieben, auch wenn ich jetzt seit zwölf Jahren in der Hauptstadt arbeite. In Berlin spürt man die Dysfunktionalität an vielen Ecken. Mich wundert die Duldsamkeit der Berliner mit diesem Versagen, das tut schon manchmal weh.
- Mein Lieblingsstadtteil ist Eppendorf, wo ich geboren wurde. Er hat sich nicht so massiv verändert und in allen Jahrzehnten seinen Charme bewahrt. Man kann dort fantastisch leben.
- Mein Lieblingsgebäude ist das Chilehaus – der Hamburg-Klassiker.
- Mein Lieblingsort ist eigentlich ein Geheimtipp: das Büsenbachtal in Handeloh. Dort gibt es alles, was man sich unter Heide vorstellt: für Norddeutschland einen echten Berg, einen Bach, weite Heidefelder, wunderbare Natur. Das liegt ganz in der Nähe meines Wohnorts.
- Einmal mit der Abrissbirne … ist eine schwierige Frage. Meine ehemalige Wirtschaftsbehörde steht ja unter Denkmalschutz. Dort wollte ich früher eine Wand mit einer entsetzlichen Farbe anders streichen lassen – und schon schritt die Frau des verstorbenen Architekten ein. In der letzten Zeit sind in Hamburg viele Scheußlichkeiten verschwunden – wie etwa das alte Kepa-Gebäude mit seiner Plastikverkleidung, das am Anfang der Mö stand. Grauenvoll. Das meiste, das nach den Sechzigerjahren riecht, finde ich schwierig.