Hamburg. Staatsbank KfW warnt vor einer „Ära des schrumpfenden Wachstums“ – auch das Vermögen jedes Einzelnen könnte das treffen.

Moment, verweile doch, du bist so schön: Im November überraschte eine Meldung das kriselnde Deutschland. Demnach ist die Bundesrepublik im dritten Quartal 2022 vorübergehend nach den USA und China wieder zur drittgrößten Wirtschaftsnation aufgestiegen. Auslöser war nicht etwa die besondere Wachstumsstärke zwischen Rhein und Elbe, sondern die Dreifachkrise in Japan. Steigende Preise, der schwache Yen und die siebte Corona-Welle hatten das Land der aufgehenden Sonne hinter das Land der „ausgehenden Lichter“ (Internet-Spott über die Bundesrepublik) zurückfallen lassen.

Es dürfte eine Momentaufnahme bleiben – denn Deutschland (1,57 Kinder pro Frau) droht in den kommenden Jahren im Weltranking abzusteigen. Nicht unbedingt hinter das demografisch überalte und unterjunge Japan (1,38 Kinder pro Frau), möglicherweise aber hinter Frankreich (2,03 Kinder) und demografische Aufsteiger wie Indien (2,1), Brasilien (1,8) oder Indonesien (2,01). Wie wusste schon der Ökonom Adam Smith: „Am ehesten drückt sich die Prosperität eines Landes in der Zunahme der Bevölkerung aus.“

Staatsbank KfW warnt vor einer „Ära des schrumpfenden Wachstums“

In diesem Fall könnte es eng werden für die Bundesrepublik. Erst vor wenigen Tagen ließ eine Studie der Staatsbank KfW aufhorchen. Sie warnte vor einer „Ära des schrumpfenden Wachstums“. Und weiter: „Das Fundament für weiteres Wohlstandswachstum bröckelt.“ Die KfW-Experten verweisen auf das geringe Produktivitätswachstum von 0,3 Prozent pro Jahr und Erwerbstätigen. Bleibt es „derart schwach und verstärkt sich gleichzeitig der Rückgang des inländischen Fachkräfteangebots, bedeutet dies eine Zeitenwende“, warnen die Forscher.

Drei Ratschläge sollen diese demografisch-ökonomische Zeitenwende aufhalten oder verhindern: mehr Zuwanderung, mehr Beschäftigte und eine höhere Arbeitsproduktivität. Einfach wird das nicht: „Die Kombination von langfristig schrumpfendem inländischen Arbeitskräfteangebot und schwacher Produktivitätsentwicklung stellt eine einzigartige Herausforderung dar, die so in der Nachkriegszeit für uns neu ist.“

Warum die Demografie-Debatte auch an die Klimadebatte erinnert

Manchmal erinnert die Demografie-Debatte an die Klimadebatte – die Zukunft ist düster und wird in den schwärzesten Farben gemalt, das Worst-Case-Szenario scheint uns das liebste. Weniger skeptisch ist Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. „Das Wirtschaftswachstum insgesamt wird langsamer“, sagt er. Dennoch sieht er nicht schwarz: „Wachstum und Wohlstand pro Kopf müssen nicht leiden, sofern die Politik die Weichen in die richtige Richtung stellt.“

Knappheit birgt Chancen: „Der Personalmangel zwingt Unternehmen, mehr in Maschinen, Roboter und die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter zu investieren. Das Ergebnis ist dann ein stärkerer Zuwachs der Produktivität und damit des Pro-Kopf-Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung.“ Dennoch ergeben sich aus der Abnahme der arbeitenden Bevölkerung massive Herausforderungen. „Der Mangel an Arbeitskräften, nicht nur an Fachkräften, sondern auch an Aushilfskellnerinnen und Paketboten, ist das große Thema.“ Da diese Tätigkeiten keinen Hochschulabschluss verlangen, weisen sie zugleich Wege in den deutschen Arbeitsmarkt, etwa für Zuwanderer.

Auch die oftmals beschriebene sinkende Kreativität einer Volkswirtschaft muss nicht zwangsläufig die Begleiterscheinung einer alternden Gesellschaft sein. „Ein steigendes Durchschnittsalter kann zwar zu weniger Erfindergeist führen. Bisher ist davon wenig zu spüren“, betont Schmieding. Es sei denkbar, dass der robuste Arbeitsmarkt mehr Menschen ermuntert, es mit einem eigenen Unternehmen zu versuchen. „Und wenn es nicht klappt, finden sie problemlos einen anderen Job. Start-ups haben Zukunft.“

Großstädte wie Hamburg besser da als ländliche Räume

Gerade Großstädte wie Hamburg stehen deutlich besser da als ländliche Räume: „Attraktive Metropolen mit einer vernünftigen Wohnungsbaupolitik werden weit weniger betroffen sein“, sagt Schmieding. „Hamburg hat gute Chancen. Auf Dauer könnte der Bereich Kultur bei einer älter und reicher werdenden Bevölkerung eine noch größere Rolle spielen als der Hafen, für den regelmäßig die Elbe ausgebaggert werden muss.“ Insofern sei die Elbphilharmonie mehr als ein Kulturhaus – sie ist eine Investition in den Standort.

Das bedeutet nicht, dass alles so weiterlaufen kann wie bisher. Schmieding beschreibt vier Stellschrauben, an denen das Land drehen muss, um seinen Wohlstand zu bewahren: „Erstens müssen wir einen späteren Renteneintritt belohnen, statt einen frühen Ruhestand auf Kosten der Gemeinschaft der Beitrags- und Steuerzahler zu subventionieren. Die Rente mit 63 war ein Unsinn, der uns alle viel gekostet hat“, sagt der Berenberg-Chefvolkswirt. „Zweitens müssen wir die Bedingungen für Frauen weiter verbessern, damit die Frauenerwerbsquote auf das in Skandinavien übliche Maß steigen kann.“

Chefvolkswirt fordert Neuausrichtung des Bildungssystems

Drittens fordert Schmieding eine Neuausrichtung des Bildungssystems, vor allem mehr Investitionen in die frühkindliche Bildung. „Wer beispielsweise mit vier Jahren kaum Deutsch spricht, müsste verpflichtend in die Vorschule. Generell sollten wir früh ansetzen, damit der Anteil der jungen Menschen, die nach ihrer Schullaufbahn der Gemeinschaft zunächst mehr zur Last fallen als produktiv zu arbeiten, möglichst gering wird.“ Zudem benötige Deutschland „eine rationalere Einwanderungspolitik, damit neben den tatsächlich Schutzbedürftigen vor allem die Menschen zu uns kommen, die wir auf unserem Arbeitsmarkt benötigen“.

Eine hohe Erwerbsquote und produktive Beschäftigte sind das A und O, um das Rentensystem einigermaßen stabil zu halten – und damit den Lebensstandard der Älteren. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass viele Weltuntergangsprognosen nicht eingetreten sind. Das allerdings hatte zwei Gründe: Zum einen gelang eine unerwartete Steigerung der Beschäftigtenzahl, zum anderen wird das Rentensystem immer stärker aus dem Staatshaushalt mit Milliarden bezuschusst. Im aktuellen Haushalt sind 112,4 Milliarden Euro zur Mitfinanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehen – ein Posten, der von Jahr zu Jahr steigt.

Während ab 2023 die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen (der 58er-Jahrgang umfasste 1,15 Millionen Menschen), wachsen nur wenig Jüngere nach (2005 wurden nur 686.000 Kinder geboren) – von Jahr zu Jahr fehlen nun zwischen 450.000 und 700.000 Erwerbsfähige. Diese Zahlen machen deutlich, wie sehr uns der demografische Wandel Wohlstand kosten kann: Die Rente ist nicht so sicher, wie der frühere Bundesminister Norbert Blüm (CDU) einst plakatieren ließ.

Schmieding erwartet Rückgang des deutschen Trendwachstums

Und auch die Geldanlage ist nicht mehr so perspektivreich wie in der Vergangenheit. Der Verfall der Immobilienpreise, in der Vergangenheit als „Asset-Price-Meltdown“ prognostiziert, ist ausgeblieben. Zwar mögen Häuser in Anklam oder St. Andreasberg die Preisrallye verpasst haben, aber dramatische Einbrüche sind kaum zu beklagen. Dank der Zuwanderung dürfte dies auch in den kommenden Jahren so bleiben.

Was wird aus Aktien, wenn an der Börse die Zukunft gehandelt wird? Die gelernten Wachstumsraten könnten in Deutschland jedenfalls Geschichte sein: „Seit der Wiedervereinigung lag die jährliche Wachstumsrate recht stabil bei 1,4 Prozent“, sagt Stefan Kooths, Vizepräsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. Nun schwänden im Zuge des demografischen Wandels die Wachstumskräfte immer mehr – auf zukünftig nur noch 0,5 bis 0,7 Prozent. Eine alte Gesellschaft sei typischerweise weniger in der Lage, neue Technologien anzuwenden.

Schmieding erwartet einen Rückgang des deutschen Trendwachstums auf etwa ein Prozent, ohne qualifizierte Einwanderung sogar auf unter 0,5 Prozent. „Auf die Volkswirtschaft wirken sich vor allem die wenigen Geburten und die damit einhergehende Alterung der Gesellschaft negativ aus“, sagt der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar. „Das Innovationstempo verlangsamt sich, was das Wirtschaftswachstum begrenzt und damit den Wohlstand gefährdet.“ Das sei in Deutschland leider bereits erkennbar. „Der Produktivitätsfortschritt verlangsamt sich seit Jahrzehnten – nahezu im Gleichschritt mit der Alterung der Bevölkerung“, konstatiert Straubhaar.

Was die Inflation befeuern könnte

Manche Experten machen in der demografischen Entwicklung Inflationspotenzial aus: „In der Übergangsphase, wenn die Baby-Boomer in Rente gehen, bleiben die Konsumenten und deren Konsumlaune zunächst recht stabil. Vielmehr kann es sein, dass die hohen Ersparnisse der dann lebenden Rentnergeneration zu einem deutlichen Konsumschub führen“, beschreibt Ifo-Konjunkturforscher Robert Lehmann die Lage der Nation. Produktionsmöglichkeiten und Wirtschaftswachstum würden aber geringer ausfallen. „Beides kann zu deutlichen Preissteigerungen in der mittleren Frist führen.“

Und noch etwas könnte die Inflation befeuern: „Der Mangel an Arbeitskräften wird einen höheren Lohndruck nach sich ziehen, der sich auf Dauer sowohl in einer etwas höheren Inflation um etwa 2,5 Prozentpunkte als auch in einem stärkeren Zuwachs der Produktivität ausdrücken wird“, erwartet Schmieding. Auch das dürfte die Aktienmärkte treffen. „Eine steigende Lohnquote wird dazu führen, dass Dividendeneinkommen weniger stark steigen werden als die Löhne.“

Eine große Verkaufswelle bei Aktien erwartet der Banker indes nicht. „Viele Rentner werden einen großen Teil ihres Vermögens vermutlich an ihre Kinder oder oftmals an ihr Einzelkind vererben. Dazu kommt, dass Kapital aus dem Ausland unsere Aktienmärkte vermehrt stützen könnte, wenn die Bewertungen passen.“

Japan macht aus der Not eine Tugend

Japan ist ein gutes Beispiel, wie gnadenlos die Demografie sein kann: Seit 2010, als die Statistiker 128,1 Millionen Einwohner auf der Insel zählten, ist die Bevölkerung rückläufig – auf nun 124 Millionen Einwohner. 2050 sollen in Japan nur noch 104 Millionen Einwohner leben. Trotzdem will das Land keine Zuwanderer in größerem Rahmen aufnehmen. Schon jetzt geht die Regierung davon aus, dass große Teile des Landes aufgegeben werden – in sterbenden Siedlungen stellt man Wolfsattrappen auf, um Bären zu vertreiben.

Was skurril klingt, schlägt längst auf die Volkswirtschaft durch: Seit mehr als einem Vierteljahrhundert leidet das Land unter einer Stagnation. Ende 1989 erreichte der Aktienindex Nikkei 225 seinen Höchststand bei über 39.000 Punkten, heute notiert er knapp über 27.600 Zähler. Immerhin macht Japan aus der Not eine Tugend und liegt bei Produkten für die alternde Gesellschaft – von Robotern bis zur Medizintechnik – vorne.

„Geburten sind ein guter Indikator, wie optimistisch eine Gesellschaft ist“

„Demografie ist der verlässlichste Fiebermesser für eine Gesellschaft und Volkswirtschaft“, sagt Straubhaar. Denn sie kenne nur drei Faktoren – auf die Welt kommen (Geburten), sich auf der Welt bewegen (Migration) und die Welt verlassen (Sterberaten). „Sie zeigen den Zustand an, wie es um ein Land steht: Wenn in einer Gesellschaft weniger Kinder zur Welt kommen als notwendig wären, um die Bevölkerungszahl konstant zu halten, spricht das Bände über die Zukunftserwartungen der Bevölkerung: Die sind pessimistisch, ängstlich und eben so, dass Frauen sich nicht trauen, eigene Kinder zu haben“, sagt Straubhaar.

„Deshalb ist die Geburtenhäufigkeit ein guter Indikator dafür, wie offen, nach vorne gerichtet und optimistisch eine Gesellschaft ist – was wiederum anzeigt, wie dynamisch der technische Fortschritt ist, wie schnell Innovationen realisiert werden und ob eher die Zukunft oder die Vergangenheit das Handeln bestimmt. Da steht Deutschland leider weit hinter der Spitze!“ Wesentlich besser sei es bei der Migration, so der gebürtige Schweizer, der längst Deutscher geworden ist.

Die Entwicklung der Lebenserwartung sei der Lackmustest für den Erfolg einer Gesellschaft. „Wenn immer mehr Menschen immer länger, gesünder und besser leben, spricht das für sich. Da ist Deutschland weit vorne, aber eben nicht führend!“ Mit einer Lebenserwartung von 78,6 Jahren (Männer) und 83,4 Jahren (Frauen) liegt die Bundesrepublik nur in den Zwanziger-Rängen. Es führt Hongkong (82,9/88) vor Macao – und Japan (81,6/87,7).