Hamburg. Die Machbarkeit der neuen Röhre vom Hauptbahnhof nach Diebsteich wird derzeit überprüft. Schon jetzt zeigen sich Probleme.

Von den vielen gigantischen Verkehrsprojekten, die in Hamburg derzeit geplant sind, ist dieses eines der größten, auch wenn der Name wenig eingängig ist: Mit dem „Verbindungsbahnentlastungstunnel“, kurz VET, soll ein zweiter S-Bahn-Tunnel durch die Stadt führen, und zwar vom Hauptbahnhof zum künftigen Regional- und Fernbahnhof Diebsteich. So hatte es das Bundesverkehrsminsterium Ende 2019 selbst vorgeschlagen und zusammen mit der Stadt eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben.

Diese hätte bis Ende 2022 vorliegen sollen, verzögert sich aber. „Bis Ende März“ könnte sie veröffentlicht werden, teilte die Bahn auf Anfrage mit, wollte aber zu allen weiteren Fragen noch keine Stellung nehmen. Dem Vernehmen wird die Studie ergeben, dass dieser sechs Kilometer lange Tunnel technisch machbar ist und mehrere mögliche Trassen aufzeigen: direkt unter der heutigen Verbindungsbahn, etwas nördlich davon über Schlump und eine etwas südlich gelegene Trasse. Die Kosten, ursprünglich mal auf 2,6 Milliarden Euro geschätzt, dürften eher steigen.

S-Bahn Hamburg: Senator Tjarks ist vom neuen Tunnel überzeugt

„Wenn der VET für die S-Bahn kommt, wovon ich überzeugt bin, hätten wir vier statt zwei Gleise für den Fern- und Regionalverkehr auf der Verbindungsbahn und damit viel größere Kapazitäten“, sagte Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) im Gespräch mit dem Abendblatt. „Je nach Trassenverlauf könnten dann Holstenstraße und Sternschanze zu Regionalbahnhöfen werden, während wir mit dem neuen S-Bahn-Tunnel weitere Quartiere anbinden könnten. Ebenso denkbar ist aber, dass der Tunnel dem Verlauf der Verbindungsbahn folgt – diese Debatte werden wir führen, wenn die Machbarkeitsstudie vorliegt.“

Dann sind diverse Probleme zu diskutieren. Etwa die Anbindung des Tunnels an die Schienen-Infrastruktur im Raum Altona. „Klar ist, dass am Ende des Tunnels eine unterirdische S-Bahn-Station am Diebsteich entstehen würde, sodass im neuen Fernbahnhof oberirdisch zwei Gleise frei werden“, sagte Tjarks dazu. Dass der neue Bahnhof, der von Altona nach Diebsteich verlagert wird, dann sogar acht statt sechs Gleise für den Fern- und Regionalverkehr hätte, wäre sehr im Interesse von Bahn und Stadt – schließlich will man die Zahl der Fahrgäste im Zuge des Deutschland-Takts verdoppeln.

S-Bahn müsste am Diebsteich unter die Erde – trotz Neubau

Das Problem daran: Die S-Bahnstation Diebsteich liegt über der Erde – und sie wird dort sogar gerade neu gebaut. Das ist der erste Schritt für den Bau des neuen Bahnhofs, den die Deutsche Bahn bis 2027 fertigstellen will und in dem bislang zwei der acht Gleise für die S-Bahn vorgesehen sind. Kommt der VET aber dort an, müsste der nagelneue S-Bahnhof gleich wieder zurückgebaut werden und unter der Erde verschwinden. Alle Anschlüsse – nach Norden oberirdisch in Richtung Pinneberg und Richtung Süden unterirdisch nach Altona und Innenstadt – müssten neu hergestellt werden.

Doch damit nicht genug: Am neuen Bahnhof Diebsteich sollen auch ein repräsentatives Empfangsgebäude und zwei Hochhäuser mit Büros und einem Hotel entstehen. Dafür ist ein privater Investor, die ProHa Altona GmbH & Co. KG, zuständig. Diese Planung kollidieren jedoch mit dem neuen Tunnel, sagt die Bürgerinitiative Prellbock Altona, die gegen die Verlagerung des Bahnhofs kämpft.

Planung für Gebäude in Diebsteich passen nicht zum neuen Tunnel

Das ist amtlich: Denn die Stadt hat mit dem Investor im vergangenen Juli einen Nachtrag zum Grundstückskaufvertrag geschlossen, in dem festgestellt wurde, dass die Planung für die „Umfeldbauten“ des Bahnhofs und die für den VET möglicherweise „nicht kompatibel“ seien. Falls die Stadt „aufgrund übergeordneter Erwägungen“ dem Tunnel den Vorzug vor den Gebäuden geben sollte, kann der Investor von dem Projekt zurücktreten.

Im Senat hofft man zwar, dass es nicht dazu kommt. Doch das Problem ist offensichtlich. So weist Prellbock darauf hin, dass dort, wo der Tunnel ankommen würde, eine zweigeschossige Tiefgarage mit 342 Stellplätzen vorgesehen sei. Im Nachtrags-Vertrag sei geregelt, dass diese auf 100 Stellplätze reduziert werden könnte. Das würde den Investor über die 100 Jahre, die der Vertrag gilt, jedoch Millionen kosten, die kompensiert werden müssten – also von der Stadt und der Bahn.

Bürgerinitiative warnt: Bahnhof Diebsteich müsste komplett neu geplant werden

Hinzu käme: „Mit nur 100 Stellplätzen entstünde dann ein Bahnhof fast ohne Parkmöglichkeiten für Reisende, denn die verbleibenden Stellplätze dürften ja von Hotel-Gästen und von den in den Büros Beschäftigten in den beiden Hochhaustürmen in Anspruch genommen werden“, so Prellbock. Michael Jung, Sprecher der Initiative, glaubt: „Es steht zu vermuten, dass die Ergebnisse der Studie zum Verbindungsbahnentlastungstunnel eine komplette Neuplanung des Diebsteich-Bahnhofsprojektes erforderlich machen.“

Weiter verkompliziert wird das Projekt durch die geplante neue U-Bahn-Linie 5, die den VET zweimal kreuzen wird – einmal am Hauptbahnhof und einmal auf der Strecke vom Jungfernstieg zur Universität, wie der Senat jetzt auf eine Kleine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Heike Sudmann (Linkspartei) bestätigte. Inwiefern die U-Bahn dann noch tiefer verlaufen müsste als ohnehin geplant, ist noch offen. Das werde zwischen Deutscher Bahn und der städtischen Hochbahn „kontinuierlich miteinander abgestimmt“, so der Senat.

Regionalzüge starten und enden weiter am Hauptbahnhof

Unterdessen gibt es eine schlechte Nachricht für Pendler: Die seit Jahren geforderte sogenannte Durchbindung von Regionalzügen – dass diese also durch den Hauptbahnhof durchfahren statt dort zu enden – wird es vorerst nicht geben. Das bestätigte der Verkehrssenator. Die Studie zu dem Thema sei zwar noch zwar nicht ganz fertig, „aus ersten Zwischenergebnissen wissen wir aber schon, dass die Risiken die Chancen derzeit noch überwiegen, denn Störungen würden dann längere Streckenabschnitte betreffen“, so Tjarks. „Daher ist die Durchbindung kurz- oder mittelfristig noch keine Option.“

Das Problem: Bislang enden fast alle Regionalzüge, ob aus Lüneburg, Bremen, Elmshorn, Bargteheide oder anderen Orten, im Hauptbahnhof. Egal, welches Ziel in Hamburg die Pendler oder Reisenden eigentlich ansteuern: Hier müssen sie aus- oder umsteigen, was mit dafür sorgt, dass dieser Bahnhof mit 550.000 Fahrgästen pro Tag der meistfrequentierte der Republik ist und aus allen Nähten platzt. Außerdem blockiert es Gleise, da die Züge eben nicht nur kurz halten, sondern wie in einem Kopfbahnhof darauf warten, dass sie wieder zurückfahren können – mitunter bis zu 45 Minuten, so der Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Durchfahren von Lüneburg bis Elmshorn? Für Tjarks ein „attraktiver Gedanke“

Der Umweltverband zeigte sich daher enttäuscht, dass die Durchbindung vorerst nicht kommt: „Darauf zu verzichten und mit weiteren Verbesserungen bis zum Umbau des Hauptbahnhofs bis zum Jahr 2033 zu warten, ist den Fahrgästen gegenüber inakzeptabel“, sagte VCD-Nord-Vorstandsmitglied Alexander Montana.

Auch der Verkehrssenator würde daher gern etwas an der Situation ändern. „Natürlich ist es ein attraktiver Gedanke, dass die Regionalzüge nicht in alle im Hamburger Hauptbahnhof enden, sondern man zum Beispiel von Lüneburg nach Elmshorn durchfahren könnte“, sagte Tjarks. „Die Attraktivität läge auch darin, dass die Fahrgäste nicht alle am Hauptbahnhof aus- und umsteigen müssten, sondern beispielsweise auch an der Holstenstraße. Das würde den Hauptbahnhof entlasten und wird daher von uns sehr intensiv geprüft.“

S-Bahn Hamburg: Tunnel nicht das einzige Großprojekt in der Stadt

Allerdings soll diese Prüfung nun unter etwas anderen Vorzeichen weitergehen: „Ich habe veranlasst, die Studie noch einmal aufzubohren und unter der Maßgabe zu untersuchen, dass die im Rahmen des Deutschlandtaktes geplanten, großen Infrastrukturprojekte wie der Ausbau des Hauptbahnhofs, eine zusätzliche Elbquerung durch die Verbreiterung der Elbbrücken und der Verbindungsbahnentlastungstunnel realisiert werden“, sagte Tjarks.

Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, dass mit der geplanten Vergrößerung der Schienen-Kapazitäten in Hamburg auch eine Durchbindung der Regionalzüge machbar wird – dann aber wohl erst in zehn oder mehr Jahren.