Hamburg. Wie die Grünen einen erstaunlichen Sinneswandel zur A26-Ost hinlegen und die Koalitionspartner sich gegenseitig provozieren.

In dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erlebt der Hauptdarsteller einen für ihn wenig erfreulichen Tag immer und immer wieder. Ganz so schlimm ergeht es der Hamburger Politik noch nicht – aber wer schon etwas länger dabei ist, könnte am Freitag ein ähnliches Gefühl gehabt haben.

„Grüne wollen Hafenautobahn verhindern: Koalitionskrach droht“, titelte das Abendblatt da exklusiv. Ihr Fraktionschef Dominik Lorenzen und der Bundestagsabgeordnete Till Steffen hatten die Forderung erhoben, auf die inzwischen A26-Ost benannte Trasse zu verzichten und stattdessen die sogenannte Hafenhauptroute auszubauen.

Grüne: Hamburg braucht keine zwei Verbindungen von der A7 zur A1

Das ist die Strecke am Südufer der Elbe von der Köhlbrandbrücke über den Veddeler Damm hin zur A255 im Osten. Wenn die marode Brücke in gut zehn Jahren ohnehin durch einen Tunnel ersetzt werde, könne man doch gleich die ganze Strecke ausbauen und mit einem weiteren Tunnel unter der Veddel hindurch an die A255 und damit auch an die A1 anbinden, hatte Lorenzen argumentiert.

Wenn der Bund das finanziere, weil er im Gegenzug nicht die 1,9 Milliarden Euro teure A26-Ost bezahlen müsse, spare Hamburg seinen Anteil am Köhlbrandtunnel von rund zwei Milliarden und könne das Geld sinnvoller ausgeben – etwa für den Ausbau der Hafenbahn oder für den geplanten Aufbau einer großen Wasserstoff-Produktion. Im übrigen brauche Hamburg zwar dringend eine leistungsstarke Verbindung zwischen A7 und A1, aber nicht zwei, schon gar nicht in Zeiten des Klimawandels, so der Grüne.

Umweltverbände jubeln – aber die Sache hat einen Haken

Das klang auf den ersten Blick einleuchtend, die Umweltverbände jubelten umgehend. Doch die Sache hat einen Haken, und hier kommt das Murmeltier ins Spiel. Diese Nord-Variante der früher „Hafenquerspange“ genannten Autobahn, an der Hamburg und der Bund seit Jahrzehnten herumdoktern, war nämlich schon einmal beschlossene Sache, wurde dann aber verworfen – und zwar maßgeblich von den Grünen.

So bestätigte der damalige CDU-Senat Anfang 2008 auf eine Anfrage, warum man sich nach Abwägung diverser Linienverläufe für genau diese Variante entschieden habe: „In einer Gesamtbetrachtung hat sich seinerzeit die Nordtrasse bei allen bewertungsrelevanten Aspekten als die günstigste Lösung erwiesen.“

Grüne hatten einst die Nordtrasse verhindert – jetzt fordern sie sie

Das „seinerzeit“ war ein Hinweis darauf, dass man im Senat zu dem Zeitpunkt bereits über eine weiter südlich verlaufende Strecke nachdachte. So richtig Fahrt nahmen diese Überlegungen aber erst auf, als es nach der Bürgerschaftswahl 2008 zu einer Koalition von CDU und Grünen kam, die damals noch Grün-Alternative Liste (GAL) hießen. „Die GAL vertritt die Auffassung, dass bei zwei Straßen die Nordtrasse als ertüchtigte Stadtstraße und die Südtrasse als Autobahn gebaut wird“, hieß es im Koalitionsvertrag.

Und so kam es auch. Kurz nach der Regierungsbildung stellte die neue Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, die Grüne Anja Hajduk, klar, dass sie eine Autobahn zwischen Moorburg und Stillhorn der nördlichen Variante vorziehe. „Senatorin stoppt Nordtrasse der Hafenquerspange“, echauffierte sich „Bild“, und die Wirtschaft lief Sturm gegen die Planänderung, weil sie fürchtete, dass die Autobahn sich verzögern würde.

Vorstoß stellt Vereinbarung im Koalitionsvertrag mit der SPD infrage

Dennoch legten sich Hajduk und Wirtschaftssenator Axel Gedaschko (CDU) 2009 auf die Südtrasse fest: „Wir sind von dieser Variante sehr überzeugt“, so die Senatorin. Sie sei 400 Millionen Euro günstiger und könne nicht nur die Hafenverkehre aufnehmen, sondern auch Wilhelmsburg und Harburg vom Verkehr entlasten. Die heutige A26-Ost war geboren.

Mit anderen Worten: Die Grünen wollen nun genau das verhindern, was sie damals durchgesetzt haben – und stattdessen das realisieren, was sie seinerzeit verhindert haben. Und sie wollen das infrage stellen, was sie 2020 im Koalitionsvertrag mit der SPD unterschrieben haben: „Hamburg unterstützt den Bund beim Bau der BAB A26 (Hafenpassage).“ Und wieder warnt die Wirtschaft vor Verzögerungen wegen möglicher Planänderungen. Und täglich grüßt...

SPD sauer über „Anti-Hafenpolitik“ und „Phantomdebatte über die A26-Ost“

Während es aus der Ökopartei dazu etwas lapidar heißt, dass sich die Zeiten und die Rahmenbedingungen nunmal ändern und etwa der neue Köhlbrandtunnel damals noch nicht geplant gewesen sei, ist die SPD naturgemäß auf Zinne.

„Ich kann verstehen, dass die Genehmigung des Kohleabbaus in Lützerath durch Bundesminister Habeck die Grünen im Bund unter Zugzwang setzt“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf mit Blick auf den Anstoß für die Autobahndebatte aus der Bundestagsfraktion. „Es darf aber nicht sein, dass die Bundes-Grünen deswegen eine Anti-Hafenpolitik verfolgen und eine Phantomdebatte über die A26-Ost anstoßen. Wenn lange geplante Verkehrsprojekte wie die A26-Ost aus Profilierungsgründen infrage gestellt werden, kann das langfristig fatale Folgen haben.“

Nordtrasse wäre eine achtspurige Autobahn mit gigantischen Anschlussbauwerken

Hamburg leide seit Jahrzehnten darunter, dass es keinen Autobahnring habe und brauche daher schnell eine leistungsfähige Querverbindung zwischen A7 und A1. „Genau das leistet die A26-Ost“, so Kienscherf. Die Nordtrasse entlang der Hafenhauptroute sei „ausgiebig geprüft und verworfen worden – übrigens auch von einer Stadtentwicklungs- und Umweltsenatorin der Grünen“, so der SPD-Fraktionschef.

„Wir reden hier von einer sechs- bis achtspurigen Autobahn mit gigantischen Anschlussbauwerken in Waltershof und auf der Veddel, die vielleicht in 30 Jahren fertig wäre – das ist nicht im Interesse Hamburgs.“ Die A26-Ost hinkt zwar auch dem Terminplan hinterher, könnte aber in zehn Jahren fertig sein.

Schlechte Stimmung bei Rot-Grün – auch wegen Tschentschers Schlick-Aussagen

Die Stimmung bei Rot-Grün ist also mal wieder nicht die beste – woran im übrigen auch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) seinen Anteil hat. Dass er Anfang der Woche vor dem Überseeclub die umstrittene Verklappung von Elbschlick in der Nordsee ansprach, dabei aber mit keinem Wort auf die erst kürzlich gefundene Einigung mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein einging und stattdessen erneut für die Entsorgung bei der Hamburger Vogelschutzinsel Scharhörn warb, hat die Grünen mächtig verärgert.

Auch in Tschentschers Partei waren einige irritiert. Etwas „unglücklich“ seien die Äußerungen gewesen, hieß es. Die SPD-Landesvorsitzende und Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard korrigierte das Bild am Donnerstag, als sie beim Neujahrsempfang des UV Nord den Kompromiss mit den Nachbarn als Schritt hin zu einer längerfristigen Lösung bezeichnete und Scharhörn nicht direkt erwähnte.

Weder SPD noch Grüne stellen die Koalition infrage

Den möglichen Eindruck, dass mit SPD und Grünen zwei Partner, die gleichzeitig Konkurrenten um die politische Vorherrschaft in der Stadt sind, sich langsam auseinanderleben, versuchten beide Seiten zu zerstreuen. Man arbeite bis auf die großen Konfliktpunkte Hafenautobahn und Elbvertiefung gut zusammen, hieß es. Dass Lorenzen seine A26-Kritik mit einem Bekenntnis zum Koalitionsvertrag verbunden hatte, nahm auch Kienscherf auf, um klarzustellen: „SPD und Grüne haben sich auch vor dem Hintergrund der Mobilitätswende und des Klimaschutzes darin klar zur A26-Ost bekannt. Das gilt.“

Jedenfalls bis zum nächsten Gruß vom Murmeltier.