Hamburg. Bürgermeister Tschentscher (SPD) will Elbschlick vor Scharhörn verklappen – Nachbarländer erteilen dem Vorstoß eine Abfuhr.
Eigentlich schien der Konflikt beigelegt, aber jetzt könnte der Streit um die Verklappung des Elb- und Hafenschlicks in die nächste Runde gehen. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat in einem Vortrag vor dem Übersee-Club seinen Vorschlag, zweieinhalb Millionen Kubikmeter aus dem Fluss nahe der Hamburger Vogelschutzinsel zu verklappen, nicht nur verteidigt, sondern erneut offensiv ins Spiel gebracht.
Sowohl Schleswig-Holstein als auch Niedersachsen lehnen die Verbringung von Elbschlick vor Scharhörn nahe dem Weltnaturerbe Wattenmeer ab, Niedersachsen drohte sogar mit einer Verwaltungsklage. Kurz vor Weihnachten hatten sich die Wirtschafts- und Umweltminister der drei Länder und der Bund darauf geeinigt, vorerst keine Sedimente vor Scharhörn zu verklappen. Statt dessen erklärte sich Schleswig-Holstein bereit, das nasse Gut bei der Tonne E3 nahe Helgoland zu lagern. Aus Kiel hatte es geheißen, die Scharhörn-Pläne seien vom Tisch.
Elbschlick-Streit eskaliert: Tschentscher erntet Kritik
„Wir haben die Genehmigung, ins Gebiet bei der Tonne E3 in der Verlängerung fünf Millionen Kubikmeter zu bringen. Das ist sinnvoll“, sagte Tschentscher vor dem Übersee-Club. „Aber wir brauchen etwas Zusätzliches“, sagte der Bürgermeister und erwähnte zunächst die Fläche Neuer Lüchtergrund, wo der Bund Elbschlick verklappe und auch Hamburg sich beteiligen könne. „Und wir haben uns überlegt, nicht weitab davon ist Hamburger Staatsgebiet. Dort gibt es die Möglichkeit, 2,5 Millionen Kubikmeter Sedimente hinzufahren“, sagte Tschentscher und meinte damit Scharhörn.
Nur indirekt ging Tschentscher auf die Kritik aus den Nachbarländern hinsichtlich möglicher Umweltschäden ein, indem er klarstellte, dass Sedimente „nur aus der Wasserstraße, nicht aus dem Hafenbecken“ dorthin verbracht würden. „Die Hamburger Außenelbe ist wirklich kein Skandal, das ist ein vernünftiger Vorschlag“, sagte der Bürgermeister. Er könne nicht verstehen, dass niemand kritisiere, dass der Bund mehr als elf Millionen Kubikmeter auf dem Neuen Lüchtergrund nicht weit vom Nationalpark Wattenmeer verklappe. „Aber vor Scharhörn geht es nur um ein Viertel der Menge – und das ist ein großes Ärgernis“, sagte Tschentscher. Das könne er nicht verstehen.
Hamburg gefährde nicht die Natur
Hamburg gefährde nicht die Natur mit dem Vorschlag. „Das muss man einmal akzeptieren. Wir geben doch jetzt nicht mutwillig Schlick da irgendwo in die Nordsee, sondern das Sediment kommt entweder aus der Nordsee rein oder mit dem Elbstrom runter. Es kommt nicht aus Hamburg“, sagte Tschentscher. Der Hafenschlick werde aufwendig für 30 Millionen Euro pro Jahr auf Schadstoffe untersucht und gegebenenfalls an Land verbracht. „Alle Schadstoffe – read my lips (lest meine Lippen, die Red.) – kommen nicht aus dem Hamburger Hafen.“
Die Aufregung war am Tag nach der Tschentscher-Rede groß. Nicht nur Schleswig-Holstein und Niedersachsen gingen auf Distanz zu Tschentscher, sondern auch der Koalitionspartner von den Grünen. „Die Äußerungen des Ersten Bürgermeisters überraschen mich sehr. Wir haben zusammen mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen eine Vereinbarung geschaffen, die das Problem langfristig lösen kann. Ich fühle mich an die Vereinbarung gebunden. Die Chance auf eine Einigung sollten wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne).
Kritik am Bürgermeister kommt auch vom grünen Koalitionspartner
„Im rot-grünen Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, dass eine Verklappung vor Scharhörn nur im Einvernehmen mit den Nachbarländern infrage kommt. Das gilt für mich“, sagte Grünen-Bürgerschafts-Fraktionschef Dominik Lorenzen.
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Ganz anders hörte es sich aus der Wirtschaftsbehörde an. „Es gibt eine kurz- bis mittelfristige Vereinbarung mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Aber mittel- bis langfristig ist nichts vom Tisch. Scharhörn ist eine Option“, sagte Martin Helfrich, Sprecher der Wirtschaftsbehörde.
Dass Hamburg langfristig an einer Verbringung von Hafenschlick nahe Scharhörn festhält, hatte sich bereits im vergangenen Monat abgezeichnet. Anfang Dezember veröffentliche die Hamburg Port Authority (HPA) unter ihren Bekanntmachungen, dass sie den Auftrag zum Abtransport von bis zu 4,5 Millionen Kubikmetern Sedimenten vergeben hat.
Der Schlick, der mithilfe eines großen Laderaumsaugbaggers aus dem Hafen entfernt wird, soll an drei Verbringstellen im Bereich der Unter- und Außenelbe verklappt werden, und zwar jeweils bis zu einer Million Kubikmeter bei den Schlickfallgebieten des Bundes St. Margarethen und Neuer Lüchtergrund und bis zu 2,5 Millionen Kubikmeter bei der Verbringstelle Außenelbe Strom-Kilometer 749. Und dahinter verbirgt sich Scharhörn.
Die Bekanntmachung erfolgte mit Datum des 9. Dezember. Der Auftrag wurde also etwa zehn Tage vor dem Schlick-Gipfel erteilt, bei dem sich die Wirtschafts- und Umweltminister der Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen darauf verständigten, auf Scharhörn als Schlickfallgebiet vorerst zu verzichten. Die Wirtschaftsbehörde spielt das zeitliche Dilemma herunter und spricht von einem normalen Vorgang. „Mit der Vergabe werden nicht etwa Tatsachen geschaffen hinsichtlich der Frage, wo Sedimente verbracht werden, sondern nur die Kapazitäten eingekauft“, sagte Behördensprecher Helfrich. „Dass diese Prozesse zu diesem Zeitpunkt erfolgten, diente dazu, die ordnungsgemäßen Verwaltungs- und erforderlichen zeitlichen Abläufe einzuhalten, nötige Gerätekapazitäten zu sichern und die Vergabe rechtssicher durchzuführen.“
Die Auftragnehmerin, die Firma Jan De Nul Nassbaggerei und Wasserbau GmbH in Bremen, bestätigt diese Darstellung. „Wir mussten unsere Pläne überarbeiten“, sagte Kobbe Piers, der Leiter der Bremer Niederlassung des belgischen Unternehmens. Ende Dezember habe die Firma die Order bekommen, den Schlick anstatt nach Scharhörn im Elbmündungsgebiet auf die Nordsee hinaus zum Seezeichen Tonne E3 zu bringen. Das liegt auf schleswig-holsteinischem Gebiet.