Hamburg. Die neue Stadtentwicklungssenatorin findet sehr schwierige Bedingungen vor – aber niemand erwartet Wunderdinge von ihr.

Es waren wenige, aber klare Worte, mit denen die designierte Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen am Montagabend im Hamburger Rathaus vor die Presse trat, um eine Mammutaufgabe zu übernehmen. „Der Fokus unserer Arbeit wird weiterhin darauf liegen, für bezahlbares Wohnen in Hamburg zu sorgen und die Stadt an die Herausforderungen des Klimawandels anzupassen“, sagte Karen Pein (SPD), und dass sie sich „der Herausforderung, vor der wir stehen, sehr bewusst“ sei.

Wie groß die Herausforderung ist, vor der die 49-Jährige steht, die bislang die städtische Entwicklungsgesellschaft IBA Hamburg leitet, darüber besteht angesichts explodierender Baukosten, Lieferengpässe, Energiepreisanstiege, Fachkräftemangels und steigender Inflation kein Zweifel. Die Bauwirtschaft steckt in der Krise. Die Wohnungsbauzahlen sind auch in Hamburg zuletzt eingebrochen. Das erklärte Ziel des Bündnisses für das Wohnen, jährlich 10.000 Wohnungen zu genehmigen, wurde 2021 mit 10.207 zwar erreicht – doch fertiggestellt wurden, anders als in den Jahren zuvor, nur 7461.

Um die Sozialwohnungen in Hamburg steht es schlecht

Im Bereich der geförderten Wohnungen sah es noch dramatischer aus: Mit 1895 Sozialwohnungen wurden 2021 nur gut halb so viele wie in den Vorjahren gebaut. Und mit nur 19 genehmigten Sozialwohnungen im ersten Halbjahr dieses Jahres sieht die Lage für 2022 noch sehr viel schlechter aus – auch wenn die Zahl der Anträge in der zweiten Jahreshälfte erfahrungsgemäß deutlich ansteigt.

In ihrer kurzen Rede zur offiziellen Ankündigung der Senatsumbildung hat Pein die beiden aktuell größten Herausforderungen ihres neuen Amts somit bereits benannt: sozialer Wohnungsbau und klimagerechte Stadtentwicklung. Dass sie die richtige Frau für diese Aufgabe ist, darüber scheint in Regierungskreisen Einigkeit zu herrschen. Und auch aus der Wohnungswirtschaft waren positive Stimmen zu hören. Mit Karen Pein komme eine Frau vom Fach, sagte Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) Anfang der Woche in einem Abendblatt-Interview.

Niemand kann Pein vorwerfen, keine versierte Fachfrau zu sein

„Sie weiß, wovon sie spricht. Ihr muss man Stadtentwicklung nicht erklären, sondern die betreibt sie seit Jahren.“ Angesichts der aktuellen Lage in der Bauwirtschaft bezeichnete er die Aufgabe, die auf sie zukommt, jedoch gleichzeitig als „Mission Impossi­ble“, als unmögliche Aufgabe. Doch wie unmöglich ist der Weg aus der mehr als schlechten Ausgangslage?

Karen Pein hat sowohl Stadtplanung als auch Immobilienökonomie studiert und als Geschäftsführerin der IBA große Stadtentwicklungsprojekte wie die Bebauung der früheren Röttiger-Kaserne in Neugraben, das Wilhelmsburger Rathausviertel und Hamburgs 105. Stadtteil Oberbillwerder vorangetrieben. Pein war bereits seit Monaten als eine mögliche Nachfolgerin von Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) gehandelt worden. Dass diese wiederum noch vor dem Ende der Legislatur zurücktreten werde, stand ebenfalls bereits seit Längerem im Raum.

Gleich mehrere Personalwechsel im Hamburger Senat

Der Wechsel an der Spitze der Stadtentwicklungsbehörde war diese Woche jedoch nur Teil einer größeren Personalrochade im Senat. Neben Dorothee Stapelfeldt scheidet auch Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) auf eigenen Wunsch aus. Sein Amt übernimmt die bisherige Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD), die damit als erste Frau den Chefposten der Wirtschaftsbehörde innehat. Leonhards Nachfolge als Sozialsenatorin tritt Gesundheitsstaatsrätin Melanie Schlotzhauer an.

Auf Karen Pein lastet jedoch eine besondere politische Erwartungshaltung, da das Thema Wohnungsbau programmatisch für die Politik der Hamburger SPD ist und als Vorzeigeprojekt der elfjährigen Regierungszeit gilt. Auch bundesweit hat sich die Partei mit den Erfolgen der 2011 unter Olaf Scholz auf den Weg gebrachten Wohnungsbauoffensive gebrüstet.

Wohnungsbau: Rahmenbedingungen haben sich verschärft

Jahrelang konnte das Bündnis für das Wohnen auch beachtliche Zahlen vorweisen – die vergangenen siebeneinhalb Jahre zeichnete sich Dorothee Stapelfeldt, die bereits 1986 in die Bürgerschaft einzog, für eines der zentralen Wahlversprechen der SPD verantwortlich. Von 2018 bis 2020 wurde das Ziel, die Voraussetzungen für 10.000 neue Wohnungen jährlich zu schaffen, stets erreicht – so wie in den Jahren zuvor die Zielzahl von 6000 Wohnungen. Doch mittlerweile bröckelt das Konstrukt gewaltig.

Mehrere Bündnispartner aus Senat, Wohnungswirtschaft und Bezirken haben schon lange gewarnt, dass die Zahl von 10.000 Wohnungen jährlich nicht zu halten sein wird. Daran festhalten wolle man trotzdem – darin sind sich alle einig. Doch die Rahmenbedingungen haben sich nicht nur aufgrund von äußeren Faktoren wie der Corona-Pandemie und steigender Zinsen verschärft.

Neue Schranken für Hamburger Wohnungsbaupolitik

Durch die jüngst erfolgte Einigung der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen mit Vertretern zweier Volksinitiativen, die 2019 unter dem Motto „Keine Profite mit Boden & Miete“ angetreten waren, hat die Hamburger Wohnungsbaupolitik künftig deutlich engere Schranken. So darf die Stadt städtische Wohnungen und Wohngrundstücke bis auf wenige Ausnahmen nur noch im Erbbaurecht vergeben. Und sie verpflichtet sich, pro Jahr rund 1000 Sozialwohnungen mit einer 100-jährigen Mietpreisbindung zu schaffen.

Nicht nur bei der Opposition, sondern auch bei der Wohnungswirtschaft läuteten sämtliche Alarmglocken. Der Kompromiss werde nicht dazu führen, dass mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht, warnten mehrere Verbände in einer gemeinsamen Erklärung und bezeichneten ihn als „dramatische Fehlentscheidung“. Der stellvertretende Landesvorsitzende des Bundesverbands freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, Jan Petersen, äußerte sich in einem Abendblatt-Interview noch drastischer: „Wir werden unter diesen Bedingungen nicht mehr investieren.“

Aktuelle Studie zeigt „außergewöhnlich hohen Preisanstieg“ der Baukosten

Dass auch die scheidende Senatorin mit dem Kompromiss vielleicht nicht so wirklich einverstanden war, darauf deutete nicht zuletzt eine Bemerkung der fraktionslosen FDP-Abgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft am Mittwoch hin. Nach dankenden Worten in Richtung von Dorothee Stapelfeldt und einer scharfen Kritik an der Einigung fügte sie hinzu, dass sie nicht glaube, dass die SPD-Politikerin, diese unterstützt habe. „Du bist bestimmt froh, dass du das nicht mehr mitmachen musst“, sagte sie. Auf der Senatsbank war unterdessen nur ein vielsagendes Schmunzeln zu sehen.

Wie stark die Baukosten für Neubauwohnungen in der Hansestadt seit 2020 tatsächlich gestiegen sind, zeigt nun eine am Donnerstag veröffentlichte Studie. Demnach sind die Grundstückskosten in der Hansestadt vom dritten Quartal 2020 bis heute zwar nur moderat um 7,4 Prozent gestiegen, bei den Herstellungskosten ist es dagegen mit einem Plus von 28,2 Prozent im gleichen Zeitraum „zu einem außergewöhnlich hohen Preisanstieg gekommen“, wie die Stadtentwicklungsbehörde die Zahlen einordnete. VNW-Chef Breitner sprach angesichts der Zahlen von einem „Albtraum“.

Trotz aller Probleme wird sich Pein am Wohnungsbau messen lassen müssen

„Trotz schwieriger Rahmenbedingungen bleibt es das Ziel, gemeinsam mit unseren Partnern im Bündnis für das Wohnen möglichst viele bezahlbare Wohnungen in Hamburg zu bauen. Wo wir die Rahmenbedingungen selbst gestalten können, tun wir dies weiterhin konsequent“, sagte Dorothee Stapelfeldt – doch das wird dann die Aufgabe von Karen Pein sein, die sich in dieser Woche noch nicht zu inhaltlichen Fragen ihres neuen Amts äußern wollte. Das werde sie erst ab dem 15. Dezember tun, wenn die Bürgerschaft über die Senatsumbildung abgestimmt hat.

Karen Pein, die das Steuer der Behörde in einer denkbar schwierigen Ausgangslage übernimmt, steht also in der Defensive. Dass ihre Vorgängerin nichts für den Einbruch der Zahlen kann, scheint unter Stadtentwicklungsexperten der Bürgerschaft Konsens zu sein, auch wenn sich die Opposition von Dorothee Stapelfeldt mehr Eigeninitiative gewünscht hätte, noch bevor die Lage schwierig wurde. Dass auch Pein so schnell daran nichts ändern können wird, darüber herrscht unter den Fachpolitikern der Fraktionen ebenfalls Einigkeit. Ganz so hoffnungslos wie Breitner sind sie jedoch nicht.

„Die Probleme sind vielfältig“

„Es kommt auf die Ansprüche an, mit denen man da rangeht“, sagte Olaf Duge (Grüne) dem Abendblatt. „Die Probleme sind vielfältig, wir haben aus der Bundespolitik auch noch ein paar Pfunde aus der Vergangenheit zu bewältigen.“ Von der neuen Senatorin könne man nicht erwarten, dass sie die Ziele im Wohnungsbau „mit einmal schafft“. Er sehe jedoch eine Perspektive darin, dass der „Knoten aus den Hemmnissen im Wohnungsbau“ durchschlagen werden könne. So müsste verstärkt auf die Umnutzung von bestehenden Gebäuden gesetzt werden.

Dass Karen Pein das Thema klimagerechtes Bauen direkt angesprochen hat, stieß beim grünen Koalitionspartner wenig überraschend auf großen Anklang. So auch bei Rolf Bosse, Vorsitzender des Mietervereins zu Hamburg, der jedoch fordert, dass auch die Bezahlbarkeit des Wohnens im Fokus bleiben müsse. Er sei allerdings „grundsätzlich optimistisch, dass sich etwas tun wird“, erwarte jedoch nicht, dass „sich alles innerhalb der ersten 100 Tage löst“.

Stadtentwicklung: Auf Karen Pein kommt eine große Aufgabe zu

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf räumte ein, dass die Aufgabe „für jede Person, die kommt, eine riesige Herausforderung“ sei und dass es „mittelfristig darum geht, wieder an die bisherigen Wohnungsbauzahlen ranzukommen“. Dafür müsse man den Dialog mit der Wohnungswirtschaft intensiv fortsetzen und auch das Fördersystem attraktiver gestalten. Linken-Politikerin Heike Sudmann sagte, es sei „Kreativität gefragt“, um aus den „eingetrampelten Pfaden“ rauszukommen. Eine Bewertung könne ihrer Meinung nach ebenfalls nicht nach 100 Tagen erfolgen, „aber spätestens nach einem Jahr“.

Die Aufgabe, die Karen Pein bevorsteht, mag vielleicht nicht unmöglich sein, aber um die in weite Ferne gerückten Wohnungsbauziele wieder möglich zu machen, wird sie sich einiges überlegen müssen. Ein kleiner Trost: Sie hat dafür mehr als 100 Tage Zeit.