Hamburg. Bei vielen Firmen lautet die Devise „Neubau Adé“ – zahlreiche geplante neue Projekte werden auf Eis gelegt. Woran das liegt.
13 neue Wohnungen wollte die Immobiliengruppe Meravis in der Henry-Budge-Straße in Winterhude bauen und 30 weitere durch Aufstockung von Bestandsobjekten schaffen. Im nächsten Frühjahr sollte es losgehen. Doch daraus wird nun erst einmal nichts – das Vorhaben wurde auf Eis gelegt. „Wir können nichts bauen, von dem wir nicht wissen, wie viel es kosten wird“, sagt Matthias Herter, Vorsitzender der Geschäftsführung des Unternehmens, das 1949 unter dem Namen Gemeinnützige Reichsbund Wohnungsbau und Siedlungsbau gegründet wurde, dem Abendblatt.
„Wir planen definitiv nichts neues“, sagt auch Joachim Bode, Vorstand des Eisenbahnbauvereins Harburg (EBV). „Wer jetzt nicht unbedingt bauen muss, sollte dringendst die Finger davon lassen.“ Im Hinblick auf den großen Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum in Hamburg sind das schlechte Nachrichten. Denn sowohl Meravis als auch der EBV gehören dem Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) an, in dem Wohnungsbaugenossenschaften aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern organisiert sind und der sich als Interessenvertretung der „sozialen Vermieter im Norden“ versteht.
Immobilien Hamburg: „Kosten laufen aus dem Ruder"
Allerdings sehen sich derzeit nicht nur Genossenschaften gezwungen, von neuen Bauvorhaben erst einmal abzusehen. „Wohl die überwiegende Zahl der geplanten Wohnbauprojekte wandert jetzt in die Schublade – und wird da vorerst auch bleiben“, sagt Michael Seitz, Hauptgeschäftsführer der Bau-Innung Hamburg. „Das ist keine Delle beim Neubau, das ist die Vollbremsung einer ganzen Branche“, beschreibt es Dirk Salewski, Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW).
Für Verena Herfort, Geschäftsführerin des Landesverbands Nord des BFW, liegt der Grund dafür auf der Hand: „Die Kosten laufen aus dem Ruder, die Projekte sind nicht mehr kalkulierbar.“ Seitz bestätigt das. Es sei unter den aktuellen Bedingungen „einfach zu teuer“, sie zu realisieren, nachdem die Preise von Baustoffen im Schnitt um 20 bis 30 Prozent gestiegen seien und sich die Zinsen der Baukredite drastisch erhöht hätten – wenn man überhaupt ein Darlehen bekomme: „Ich habe den Eindruck, dass die Banken höchst nervös sind“, so Seitz.
Zinsen für Hypothekenkredite vervierfacht
Tatsächlich haben sich die Zinsen für Hypothekenkredite mit zehnjähriger Zinsbindung seit Jahresbeginn vervierfacht, von damals knapp einem Prozent auf nun rund vier Prozent (siehe Grafik). Um das für eine Kreditzusage nötige Eigenkapital zusammenzubekommen, verkaufen die Bauträger üblicherweise einen Teil der geplanten Wohnungen vorab. Aber derzeit sei es nicht mehr so leicht, dafür Käufer zu finden, erklärt Seitz: „Wegen der Inflation halten die Menschen ihr Geld zusammen.“
Zwar haben die Genehmigungen für neue Wohnungen in Hamburg zwischen Januar und Ende August deutlich zugelegt. „Aber die Zahl täuscht – eine Baugenehmigung heißt noch längst nicht, dass ein Projekt auch realisiert wird“, sagt VNW-Direktor Andreas Breitner. Nach seiner Schätzung werden aktuell ein Drittel der eigentlich geplanten Vorhaben auf unbestimmte Zeit zurückgestellt, „im nächsten Jahr werden es vielleicht noch mehr.“ Die Devise bei den Mitgliedsunternehmen laute: „Neubau Adé, wir konzentrieren uns auf die Modernisierung des Bestands.“ Das sei ja schließlich auch im Sinne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), „der keine weitere Flächenversiegelung möchte“, so Breitner.
Förderbank KfW stellte Neubauförderung ein
Entsprechend dieser politischen Leitlinie hat die staatliche Förderbank KfW bereits im Januar die Neubauförderung nahezu komplett eingestellt. Zwar sprang in der Hansestadt die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB) mit einem eigenen Programm für Sozialwohnungen ein. „Das ist sehr anerkennenswert, aber der Ausfall wird nicht eins zu eins ausgeglichen“, sagt Breitner dazu.
Insgesamt sind die neuen finanziellen Bedingungen nicht zuletzt für sozial orientierte Bauherren äußerst herausfordernd, denn sie können nicht einfach die Mieten geplanter Wohnobjekte hochsetzen, um die nun wesentlich höheren Kosten auszugleichen. Erst recht gilt das für den überwiegend im Süderelbe-Raum aktiven Eisenbahnbauverein Harburg: „Elf Euro je Quadratmeter halten wir für die Schmerzgrenze“, sagt Vorstand Bode.
Hamburg verfehlte Ziele beim Wohnungsbau
Selbst Sozialsenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) musste Ende September einräumen, die Stadt Hamburg werde ihr Ziel, 3000 Sozialwohnungen zu genehmigen, in diesem Jahr deutlich verfehlen. Stattdessen werde es bis Jahresende lediglich 1750 bis 2000 Genehmigungen geben, so die Senatorin. Seit 2020 hätten sich die Baukosten um 28 Prozent erhöht. Obwohl Stapelfeldt von einer „Zeitenwende“ beim Wohnungsbau sprach, will sie an den bisherigen wohnungsbaupolitischen Zielen des Senats festhalten – dazu gehört die Vorgabe, jährlich insgesamt 10.000 neue Wohnungen zu genehmigen.
Für Breitner ist das ein „Scheitern mit Ansage“. Unter den neuen Rahmenbedingungen werde sich die Wohnungswirtschaft mit neuen Objekten zurückhalten. Das werde sich mit Verzögerung auf dem ohnehin angespannten Hamburger Wohnungsmarkt auswirken. „Spätestens 2024 holt uns das ein“, sagt Breitner.
"2023 folgt der Einbruch"
Seitz sieht es ähnlich: „2022 werden wir noch ein gutes Jahr haben. Aber 2023 folgt der Einbruch.“ Entlassungen in größerem Stil in der Bauwirtschaft erwartet Seitz dennoch nicht: „Wir haben einen enormen Fachkräftemangel. Und wer einmal weg ist, der kommt nicht wieder.“ Zahlreiche Beschäftigte würden aber in die Kurzarbeit rutschen, zumal der Wirtschaftsbau angesichts der erwarteten Rezession nur noch schleppend laufe: „Wer wird gerade jetzt eine neue Werkshalle bauen?“
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Der Markt für Einfamilien- und Doppelhäuser sei ohnehin schon „quasi zusammengebrochen“, so Verena Herfort. Die Anbieter solcher Eigenheime leiden ebenso wie große Baukonzerne unter der enormen Kostensteigerung. „Die letzte Preiserhöhung fand im April 2022 statt und betrug circa elf Prozent“, sagt Dirk Viebrock, Vorstandsvorsitzender von Viebrockhaus aus Harsefeld.
Immobilien Hamburg: Viebrock dementiert Gerüchte
Man habe damit steigende Energie- und Materialpreise einkalkuliert, um für die Kunden die Festpreisgarantie aufrechterhalten zu können. Dass sein Unternehmen angeblich Kunden etwas dafür zahlt, dass sie ihren Auftrag zurückziehen, dementiert Viebrock ganz klar. „Auch aus Gründen der Auslastung ist uns daran gelegen, jedes beauftragte Haus zu bauen“, sagt er, fügt aber an: „Im Übrigen ist das ein Gerücht, das man derzeit über jeden Marktteilnehmer hören kann.“