Hamburg. Die Thesen des „Hamburg Konvent“ haben Diskussionen über die Prioritätensetzung hervorgerufen. Warum SPD und Grüne das nicht nur freut.
Reden vor dem Übersee-Club haben traditionell das Potenzial, große Debatten auszulösen. Erst in dieser Woche stellte ARD-Chef Tom Buhrow dort die Zukunft öffentlich-rechtlicher Sender infrage, und auch Hamburger Bürgermeister nutzen den altehrwürdigen Club gern als Bühne, um Großes oder Grundsätzliches zu verkünden.
So war es auch im November 2017, als Olaf Scholz (SPD) einen Anspruch vertrat, der zumindest für viele Kaufleute unter den Mitgliedern des exklusiven Vereins überraschend gewesen sein dürfte: Europa brauche eine „leistungsfähige Wissenschaftsmetropole, die für die nördlichen Länder die Kräfte bündelt“, erklärte der damalige Senatschef und verkündete: „Diese Rolle soll Hamburg spielen.“ Ein starker Wissenschaftsstandort sei für eine Metropole kein schmückendes Beiwerk, „sondern die Voraussetzung für Innovation, Wirtschaftswachstum und die Lösung globaler Herausforderungen“.
Schon Scholz wollte Hamburg zur Wissenschaftsmetropole machen
Begeisterungsstürme riefen diese Sätze nicht hervor. Zwei Mal nur bekam Scholz Applaus. Aus Wissenschaftskreisen hieß es hinterher allerdings, es sei enorm wichtig, dass der Bürgermeister vor diesem prominenten Publikum auch hervorgehoben habe, wie viel bereits an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen der Stadt passiere. Scholz‘ sozialdemokratischer Nachfolger im Bürgermeisteramt setzte diese Linie fort: „Wissenschaft ermöglicht uns den entscheidenden Vorsprung einer innovativen Wirtschaft“, sagte Peter Tschentscher gleich zu Beginn seiner ersten Regierungserklärung im April 2018.
Seitdem hat sich einiges getan. Hamburg hat eine Exzellenzuniversität, in Bahrenfeld gewinnt die „Science City“ an Kontur, die Stadt hat zusätzliche Mittel für die Hochschulen bereitgestellt, es sind neue Gebäude etwa für Physiker und Infektionsforscher sowie für junge Firmen entstanden. Und doch haben prominente Stimmen immer wieder gefordert, der rot-grüne Senat müsse viel mehr investieren.
Initiatoren des „Hamburg Konvent“ stellen Geld für den Hafen infrage
Auch die Initiatoren des „Hamburg Konvent“, die am Dienstag im Rathaus ihre „Handlungsanregungen“ übergaben, kommen zu diesem Schluss. Hamburg sollte ein „Boston an der Elbe werden“ und dafür andere Prioritäten setzen, schlagen Ex-Kulturstaatsrat Nikolas Hill (CDU), der frühere Chef der „Zeit“-Stiftung, Michael Göring, und der ehemalige Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Henning Vöpel, vor. Es dränge sich die Frage auf, ob der Senat weiter jährlich etwa 300 Millionen Euro in den schwächelnden Hafen investieren solle. Ein anderer Ansatz sei „sicher, die staatlichen Mittel für Wissenschaft und Forschung erheblich zu steigern“.
Dass Hamburg das Potenzial der Wissenschaft als Wirtschaftsfaktor nur unzureichend nutze, zu diesem Fazit kam schon 2020 die Berliner Hochschulberatungsfirma CHE Consult in einer Studie im Auftrag der Hamburger Akademie der Wissenschaften. Trotz wichtiger Fortschritte befinde sich „Hamburgs Wettbewerbsfähigkeit im Sinkflug“, sagte CHE-Consult-Geschäftsführer Bernd Klöver damals. Bestätigt sahen sich die Initiatoren der Studie. „Das ist eine Erkenntnis, die für die Hamburger schmerzhaft ist, weil sie sich gerne auf sich selber konzentrieren“, sagte Hamburgs früherer CDU-Finanzsenator Wolfgang Peiner.
Schon das Papier „In Sorge um Hamburg“ hatte 2014 eine Debatte ausgelöst
Er hatte 2014 mit Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) und dem früheren Stadtentwicklungssenator Willfried Maier (Grüne) den Aufruf „In Sorge um Hamburg“ veröffentlicht. Die Forderung des Trios, dass die Hansestadt stärker in ihre Hochschulen investieren müsse, hatte durchaus ihre Berechtigung. Denn allen Grundsatzreden zum Trotz hatten Scholz und Tschentscher zehn Jahre lang daran festgehalten, die Grundfinanzierung der Hochschulen nur um 0,88 Prozent pro Jahr zu erhöhen. Haushaltskonsolidierung ging im Zweifel vor.
Die seit 2018 amtierende Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) bekam erst Anfang 2021 das Okay aus der Finanzbehörde für eine höhere Grundfinanzierung. Diese sieht nun eine jährliche Steigerung von gut drei Prozent vor. Fegebank wertete das als ein „starkes Signal für die Entwicklung des Hochschulbereichs“.
CDU und Linke beklagen, dass die Hochschulen viele Jahre sparen mussten
Die Opposition sieht das weniger positiv: Diese Erhöhung „kompensiert nicht im Geringsten die Folgen der vorangegangenen Sparpolitik“, sagt die CDU-Abgeordnete Anke Frieling. „Alle Hochschulen müssen sparen, wo immer sie können. Studienplätze werden abgebaut, Professuren und Stellen werden – wenn überhaupt nur schleppend – nachbesetzt.“ Stephanie Rose (Linke) fürchtet „eine weitere Kürzungsoffensive für die Hamburger Hochschulen“, da die hohe Inflation im Haushalt 2023/24 nicht berücksichtigt sei.
Auch Fegebank selbst hätte bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD für die laufende Legislatur gerne noch mehr herausgeschlagen. Aber das wollten die Sozialdemokraten nicht mitgehen: Sie verweisen darauf, dass der Etat der Wissenschaftsbehörde innerhalb von zehn Jahren bereits um rund 50 Prozent auf rund 1,4 Milliarden Euro gesteigert worden sei und dass es über die Grundfinanzierung hinaus ja noch enorme Investitionen in Wissenschaft und Forschung gebe – allein drei Milliarden in neue Gebäude.
Grüne wünschen sich etwas mehr Begeisterung der SPD für die Wissenschaft
Hinter vorgehaltener Hand heißt es von grüner Seite, dass die Begeisterung für Wissenschaft im roten Teil des Senats halt nicht ganz so ausgeprägt sei wie in der eigenen Partei. So wunderte man sich dort etwas, dass der Bürgermeister – obwohl dieser durch seine frühere Arbeit als Labormediziner einen starken Bezug zu Wissenschaft und Forschung hat – nicht dabei war, als kürzlich eine 25-Millionen-Euro-Förderung zum Quantencomputing in Hamburg vorgestellt wurde.
Tatsächlich nehmen aber auch Tschentscher und andere „rote“ Senatsmitglieder oft Termine in diesem Bereich wahr – mitunter wurde das den Grünen sogar zu viel. „Wir investieren wahnsinnig viel in die Wissenschaft“, betont ein ranghoher Sozialdemokrat. Darüber gebe es auch keinen Dissens mit den Grünen. Der Unterschied liege eher darin, dass die Ökopartei bei dem Thema mehr in Visionen denke, während die SPD eher die Basis wie funktionstüchtige Gebäude im Blick habe.
SPD und Grüne ziehen zwar an einem Strang – aber nicht immer gleich stark
Man könnte also sagen, dass SPD und Grüne in Sachen Wissenschaft zwar an einem Strang ziehen, aber nicht immer gleichermaßen stark. Das mag ein Grund sein, warum immer wieder besorgte Beobachter auf den Plan treten wie jetzt Hill, Göring und Vöpel. Zweifel, wie ernst es Hamburg wirklich meint mit dem „Topthema“ Wissenschaft, dürften zudem damit zusammenhängen, dass der Senat mitunter trotz großer Ankündigungen zu kurz springt.
So hieß es 2017, Hamburg solle zu einem „Top-Informatikstandort“ werden. Seitdem ist weniger als die Hälfte der geplanten 35 neuen Professuren besetzt worden. 2018 erklärte der Senat, die Technische Universität solle perspektivisch zu den führenden deutschen technischen Unis aufschließen. Davon ist die Ingenieursschmiede in Harburg immer noch ein gutes Stück entfernt – weil es an den nötigen Mitteln mangelt.
Senat will weiter auf Hafen und Wissenschaft setzen
Ob die Empfehlungen des Konvent daran etwas ändern? Auf Anfragen reagierten die Senatskanzlei und die Wissenschaftsbehörde mit ganz ähnlichen Antworten. „Der Hamburger Hafen sorgt für Wertschöpfung, die wiederum dazu beiträgt, dass wir in Wissenschaft und Forschung investieren können“, sagte ein Senatssprecher. „Deshalb ist es richtig, das eine zu tun ohne das andere zu lassen.“ Man werde Wirtschaft und Wissenschaft „nicht gegeneinander ausspielen“.
Auch aus Fegebanks Behörde hieß es: „Investitionen in die Zukunft der Stadt sind keine Win-Lose-Verhandlung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Es geht darum, alle Potenziale bestmöglich zu nutzen.“ Die Senatorin selbst wies die Forderung, ein Boston an der Elbe zu kreieren, zurück: „Hamburg ist Hamburg an der Elbe. Andere Städte zu kopieren, war noch nie ein gutes Erfolgsrezept.“ Der Senat setze auf Kooperation und Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft: „Ein moderner Hafen braucht wissenschaftliche Entwicklungen und Forschung.“
CDU: Alle drei Jahre das gleiche Diskussion...
Letzteres werden die Konvent-Autoren gern hören, auch wenn die Reaktion aus dem Senat übersetzt bedeutete: Wir benötigen auf dem Gebiet keine Nachhilfe. Anke Frieling erinnert das an die Geschichte vom Murmeltier: „Ungefähr alle drei Jahre diskutieren wir in der Stadt Thesen-Papiere, die fordern, Hamburg zu einem bedeutenden Wissenschaftsstandort auszubauen“, sagt die CDU-Politikerin. Rot-Grün behaupte dann, schon fast am Ziel angekommen zu sein. „Ein paar Tage später ist dann wieder Ruhe um das Thema und die Wissenschaftssenatorin arbeitet unter dem strengen Auge des Finanzsenators und seiner verschlossenen Kassen weiter an kleinstteiligen Schritten.“
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Und nun? Klar ist, dass die Debatte weitergehen wird – schon am Montag. Die Patriotische Gesellschaft lädt dann zu einer Diskussion, an der auch Katharina Fegebank teilnimmt. Titel: „Die Zukunft des Wissenschaftsstandorts Hamburg“.