Hamburg. Der Klimaexperte Frank Böttcher spricht über das Wetter 2050 – und warum die Hansestadt dann ein Elbesperrwerk benötigt.
Den Klimawandel zu leugnen, wird immer tollkühner: Nach einem Supersommer, der bis in den November reicht, und nach mehreren Wintern, in denen der Schnee ausblieb, mehrt sich Jahr für Jahr Indiz um Indiz, dass es wärmer wird. Frank Böttcher kümmert sich seit Kindesbeinen um Wetter und Klima – der Jahrhundertwinter hatte ihn 1978/79 dazu motiviert. Heute ist er Wettermoderator, Autor („Klimafakten“ mit Sven Plöger) und Initiator und Mitglied des Hamburger Klimarates.
„Die Veränderungen des Klimawandels gehen an einer Stadt wie Hamburg nicht vorbei“, sagt Böttcher im Podcast „Was wird aus Hamburg?“. Er illustriert den Wandel mit Zahlen: „Im Zeitraum von 1961 bis 1990 hatten wir in Hamburg an 71 Tagen Temperaturen von über 30 Grad. In den vergangenen 30 Jahren waren es schon 174 Tage.“ Und in den kommenden 30 Jahren, so sagt der 54-Jährige, könnte Hamburg sogar auf 300 Tage kommen, durchschnittlich zehn Hitzetage pro Jahr.
Wetter Hamburg: Der Winter verschwindet
Zugleich schwindet der Winter: „Zwischen 1961 und 1990 hatten wir in Hamburg 97 Wintertage mit Temperaturen unter minus fünf Grad. In den 30 Jahren danach waren es noch 39. Der Winter schmilzt förmlich dahin.“ Damit dürfte sich die Hansestadt langsam in eine andere klimatische Region bewegen. „Bis zum Ende des Jahrhunderts werden wir ein Klima bekommen, wie wir es heute aus Nizza, Split oder Bordeaux kennen. Wir werden uns an diese Veränderungen anpassen und die Stadt begrünen müssen“, sagt der Vater von drei Jungen. Eine zweite wichtige Herausforderung betrifft extreme Wetterereignisse, etwa Starkregen oder längere Dürren.
„Entscheidend aber wird sein, dass sich die Hansestadt auf den Anstieg des Meeresspiegels vorbereitet.“ Rund ein Drittel der Fläche Hamburgs gilt als überflutungsgefährdet. Zugleich hat die Stadt nach der verheerenden Flut von 1962 massiv in den Küstenschutz investiert. Das Hochwasser von 1976, das deutlich höher ausfiel als 1962, konnte der Stadt nichts anhaben. Damals betrug der Rekordwasserstand auf St. Pauli 6,45 Meter – Hamburgs Deiche sollen heute mehr als sieben Metern standhalten. Wenn aber die Meeresspiegel bis zur Jahrhundertwende um bis zu 80 Zentimeter steigen, wird das nicht reichen. Der letzte Weltklimabericht zeigt in seinem Worst-Case-Szenario sogar, dass ein Anstieg um 1,7 Meter möglich ist.
„Hamburg wird eine Stadt am Meer"
„Der Küstenschutz wird das ganz große Thema für die Stadt – und zwar in einer Dimension, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.“ Bis 2100 könnte die globale Erwärmung etwa drei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit betragen. Als es in der Erdgeschichte zuletzt ähnlich warm war, lagen die Meeresspiegel 15 bis 25 Meter höher.
Das zwingt zu Konsequenzen, sagt Böttcher: „Wir sollten uns bis 2050 genau überlegen, wo wir bis 2080 ein Elbesperrwerk bauen. Wir können die niedrig gelegenen Gebiete, den Hafen und die Innenstadt nicht mit weiteren Mauern ausreichend schützen, wenn die Worst-Case-Szenarien Wirklichkeit werden“, warnt der Experte. „Hamburg wird eine Stadt am Meer, wenn der Meeresspiegel um einen Meter ansteigt. Dann müssten wir riesige Gebiete entlang der Elbe zusätzlich mit höheren Deichen schützen, weil auch Sturmfluten höher ausfallen.“
„Die Zeitfenster dafür werden kleiner"
Es gehe um gigantische Investitionen. „Die kommen sicher auf uns zu. Unsere Klimaschutzmaßnahmen werden das nicht mehr verhindern.“ Das Elbsperrwerk taucht in der politischen Debatte häufiger auf. „Wollen wir nicht ein Drittel der Stadt aufgeben, werden wir in der Elbmündung ein Sperrwerk bauen müssen“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) schon 2019. Dreißig Jahre zuvor hatte eine Kommission von Hochwasserexperten konkret ein Sperrwerk im Raum Finkenwerder oder Brokdorf empfohlen.
Böttcher glaubt, dass heute die Wahl eher auf Brunsbüttel fällt, wobei der Zugang zum Nord-Ostsee-Kanal entweder auf der Innenseite oder auf der Seeseite liegen wird. Ganz einfach werde ein solches Vorhaben nicht, weil das Wasser aus dem Hinterland, ob aus Stör, Eider oder Elbe, in die Nordsee hineindrücke. „Die Zeitfenster dafür werden kleiner, je höher der Meeresspiegel ist. Wahrscheinlich werden wir viele Bauwerke schaffen müssen, aus denen das Wasser im Zweifel auf die andere Seite gepumpt wird.“
Böttcher fordert Umverteilung der Gelder
Man stelle sich eine Sturmflutlage in Verbindung mit einer Hochwasserlage vor. „Je weiter draußen man in Richtung Nordsee das Elbe-Sperrwerk baut, umso komplizierter wird es mit dem Küstenschutz. Wir werden dem Meer Land zurückzugeben müssen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen lassen sich nicht vollständig verteidigen.“
Viel Zeit bleibe uns nicht, sagt der Autor: „Ich fürchte, das kommt schneller auf uns zu, als uns lieb ist.“ Böttcher ärgern die verpassten Chancen: „Wir haben den Zeitraum verpasst, in dem wir mit relativ wenig Aufwand das Klima hätten stabilisieren können. Nun sind wir in einer Phase, in der wir Klimaanpassung betreiben müssen und Geld für Klimaschutz eigentlich nicht mehr haben.“ Er verweist auf die Niederlande, die aufgrund ihrer geografischen Lage besonders gefährdet sind: „Dort wird der Etat aufgeteilt auf Klimaschutz und Klimaanpassung. Die Kosten, die durch den steigenden Meeresspiegel auf Holland zukommen, sind gewaltig. Daher wird das Geld in Zukunft eher in die Klimaanpassung fließen.“ Diese Umverteilung erwartet er weltweit.
„Der Homo sapiens konnte sich überall verbreiten"
Trotzdem ist Böttcher kein Untergangsprophet und glaubt an die Anpassungsfähigkeit des Menschen: „Der Homo sapiens konnte sich überall verbreiten, weil er unfassbar flexibel ist. Wir können in Regionen wohnen, in denen es die äußeren Bedingungen eigentlich nicht zulassen“, betont er. „Wir haben ein Wetter to go geschaffen. Wenn es etwa im Auto morgens zu kalt ist, drehen wir die Heizung hoch und schaffen unsere 22 Grad Wohlfühltemperatur. Wir bewegen uns in Räumen, die das Wetter draußen halten. Wir schaffen unsere ideale Atmosphäre fast überall auf diesem Planeten. Das gelingt keiner anderen Lebensform.“
Hamburg habe sich bei der Planung der HafenCity bereits auf den Klimawandel eingestellt: „Das Konzept der Warften ist etwas, was uns in die richtige Richtung bringt. Wir werden auch darüber nachdenken müssen, ob wir einen Teil der Stadt irgendwann schwimmend im Hafengebiet anlegen. Vielleicht bekommen wir eines Tages sogar einen schwimmenden Hafen.“ Wichtig sei in der Zukunft eine intensivere Fassadenbegrünung. Sie hilft, das Kleinklima positiv zu beeinflussen und Feuchtigkeit zu speichern. „Auch wenn es Probleme mit dem Denkmalschutz gibt, wir werden an vielen Gebäuden daran nicht vorbeikommen.“
Parks immer wichtiger
Auch die Investments in Dachbegrünungen seien wichtig. Dabei könnten auch Pflanzen helfen, die bislang eher an mediterranen Orten zu Hause sind. „Bäume vermögen an heißen Tagen ihre Umgebung zu kühlen, sie müssen aber in Trockenphasen besser versorgt werden.“ Das Wassermanagement werde wichtiger, auch um bei Starkregen den Regen zurückzuhalten. Dafür seien Parks wichtig.
„Wir müssen zudem das Thema Urban Mining stärker bedenken. Dahinter verbirgt sich die Idee, sämtliche Baustoffe eines Hauses als Rohstoff und nicht als Abfall zu verstehen.“ Schon jetzt würden neue Gebäude aus zertifizierten Rohstoffen errichtet, die an einer Wertstoffbörse hinterlegt sind und in den Buchwert des Gebäudes einfließen. Beim Rückbau habe man dann keine Schrottimmobilie, sondern ein Rohstofflager. Böttcher erwartet, dass sich in der Immobilienwirtschaft ein viel stärkeres Kreislaufdenken durchsetzen wird.
Palmen überleben die Winter nicht
Städte wie Bordeaux oder Nizza bauen anders, ihre Häuser sind eher für warme Tage und weniger für kalte Winternächte optimiert – erleben wir also einen Wandel zu einer eher südlichen Architektur? Böttcher ist skeptisch: „Da erinnere ich an die Idee aus Rahlstedt von 2010.“ Damals sollten Palmen, gekauft für 1000 Euro pro Pflanze, „südliches Flair“ in den Stadtteil bringen. Das Problem: Die Palmen haben den folgenden harten Winter nicht überlebt. „Man hatte wohl gehofft, dass sich Hamburgs Klima verändert und die Palmen die nächsten 30 Jahre überstehen. Es gibt aber einen großen Unterschied zu Bordeaux: Sibirien liegt näher. Kalte Winter werden zwar seltener, aber es gibt sie weiterhin. So war es 2010/2011 – die Palmen sind erfroren.“
Man könne deshalb nicht einfach Nizza nachbauen. „Wahrscheinlich wird die Stadt weißer werden. Der rote Backstein wird bleiben, aber beim Neubau dürfte es stärker in Richtung der weißen Stadtteile wandern, wie wir es in der HafenCity sehen.“ Die weiße Oberfläche wirft größere Mengen des eingestrahlten Sonnenlichtes wieder zurück, sodass die Gebäude sich weniger stark erwärmen. Sie geben nachts entsprechend weniger Wärme ab. „Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Hamburg immer noch eine der günstigsten Lagen in Europa hat. Die Nordsee ist nahe, deshalb drohen keine dauerhaften Hitzewellen. Anders als etwa in Frankfurt und Freiburg dürfte die Hitze nicht wochenlang in der Stadt stehen.“
Böttcher plädiert für Bau eines Science Centers
Seit Jahren macht sich Frank Böttcher für den Bau eines Science Centers in seiner Heimatstadt stark. Zuletzt hat das renommierte Unternehmen Drees & Sommer eine Machbarkeitsstudie erarbeitet, die zur Hälfte von der Finanzbehörde finanziert wurde. Die zweite Hälfte stemmten die Hochschulen – also TU, HAW, das Desy und die Helmut Schmidt Universität. Die Ergebnisse sollen in Kürze vorgestellt werden.
- Dunkle Materie unter Hamburg? Auf der Suche nach dem Axion
- Grüner Bunker wird "Labor" mit Dachgarten für 900 Menschen
- Weltreisender zeigt atemberaubende Bilder in der Laeiszhalle
„Ich kann schon sagen, dass es eine Empfehlung für den Bau eines Science Centers gibt“, sagt Böttcher, der Mitglied des Lenkungskreises Machbarkeitsstudie Science Center für Hamburg ist. „Wir sind optimistisch. Eine solche Institution in Hamburg ist nur noch eine Frage der Zeit. Alle anderen großen Städte haben solche Einrichtungen.“
Wetter Hamburg: Menschen für die Wissenschaft begeistern
Science Center nützten dem Standort, sowohl den Hochschulen als auch dem Wissenstransfer in die Gesellschaft. „Angesichts des demografischen Wandels müssen wir hoch qualifizierte Menschen begeistern. Langfristig bedarf es vieler kluger Menschen für einen starken Standort. Science Center sind wichtig, weil sie Menschen motivieren und für Mathematik und Technik begeistern können.“ Diese Botschaft, so hofft Böttcher, sei bei den politischen Verantwortlichen angekommen: „Sie wissen, dass wir ein Science Center für Hamburg brauchen. Und ich bin zuversichtlich, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sich die Stadt auf den Bau verständigt.“
In einem solchen Science Center könnte auch Böttchers großes Thema Platz finden: „Das Klima und der Klimawandel können der rote Faden sein. Die Geschichte der Menschheit ist stark mit dem Klima verbunden. Und auch die Zukunft Hamburgs wird davon geprägt. Ein
Science Center kann helfen, diese Zukunft nicht nur zu entdecken, sondern neu zu erfinden.“