Hamburg. ... und das im Rathaus und in der Wirtschaft für Kopfschütteln sorgt. Denn die Beziehungen nach Fernost sind traditionell bestens.

Einer gegen alle, Hamburg gegen den Rest der Republik. So wirkte zeitweise die erbittert geführte Debatte darüber, ob sich die chinesische Reederei Cosco am Hamburger Containerterminal Tollerort beteiligen darf. Bundesweit echauffierten sich Vertreter fast aller Parteien, von der CDU bis zu den Grünen, von den Linken bis zur AfD, über den Deal, wobei nicht wenige den Eindruck erweckten, über den Landungsbrücken werde künftig die rote Fahne wehen.

„Der #ChinaSellOut des Hamburger Hafens wäre ein Fehler“, twitterte etwa Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) ungefragt und brachte damit seinen Hamburger Amtskollegen Andreas Dressel (SPD) auf die Palme. „Die Minderheitsbeteiligung an einem Terminalbetrieb“, so zwitscherte er zurück, sei gerade kein Ausverkauf des Hafens. Doch die Tatsache, dass es eben nicht um den gesamten, größten deutschen Waren-Umschlagsplatz geht, sondern nur um eine Minderheit an der Betreibergesellschaft des kleinsten von vier Containerterminals, das spielte zu dem Zeitpunkt schon kaum noch eine Rolle.

Cosco-Einstieg im Hafen: Kritik empörte Hamburg

„Auch bei uns sind da einigen die Gäule durchgegangen“, meinte ein Hamburger Grüner, ohne direkt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck oder Außenministerin Annalena Baerbock zu nennen, die das Geschäft anfangs ganz untersagen wollten und am Ende nur zähneknirschend eine 24,9-Prozent-Beteiligung akzeptierten. Es sei doch bigott, wenn deutsche Firmen im großen Stile Produkte und Rohstoffe in China einkauften, diese aber nicht in Hamburg angelandet werden dürften. Denn genau das werde passieren, wenn man Cosco den Einstieg am Tollerort verweigere, wo die Reederei sei 40 Jahren Stammkunde ist: Dann werde sie ihre Schiffe halt nach Rotterdam oder Antwerpen umleiten, wo der Staatskonzern schon in viel größerem Umfang an Terminals beteiligt ist.

Auch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) war ungehalten darüber, wie eine seit einem Jahr ausgehandelte Hamburger Entscheidung plötzlich zum Spielball der Bundespolitik wurde. „Die Beteiligung von Reedereien am Betrieb von Terminals ist branchenüblich, wird weltweit zur effizienten Organisation der Logistik praktiziert und muss auch in Hamburg möglich sein“, ließ er verlauten und ärgerte sich: Die öffentlich geäußerte Kritik sei „in weiten Teilen geprägt von großer Unkenntnis über die Organisation und den Betrieb des Hamburger Hafens“. Dieser bleibe „vollständig im öffentlichen Eigentum“.

Ist der China-Deal nicht „wasserdicht“?

Das war auch an die Adresse der Opposition in der Bürgerschaft gerichtet, die den Deal scharf kritisierte. Wobei die CDU das dialektische Kunststück vollbrachte, einerseits vor einem „Ausverkauf deutscher Sicherheitsinteressen“ zu warnen, dann aber doch meinte: „Grundsätzlich muss es möglich sein, gute Kunden durch langfristige Verträge zu binden.“ Wenn der Deal mit Cosco „wasserdicht“ sei, müsse er genehmigt werden.

Um zu verstehen, warum eine große Mehrheit im Rathaus, die Hafenwirtschaft, die Handelskammer und andere Verbände sowie nicht zuletzt die 600 Beschäftigten des Tollerort-Terminals selbst, die in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) um die Genehmigung des Geschäft ersucht hatten, die öffentliche Aufregung nicht nachvollziehen konnten, muss man etwas zurückschauen.

In Hamburg gab mal ein „Chinesenviertel“

Zum Beispiel 300 Jahre. Damals soll das erste Schiff mit chinesischen Gütern im Hamburger Hafen festgemacht haben. Oder rund 100 Jahre, als sich viele ehemalige Seeleute aus Fernost in der Hansestadt niederließen und rund um die Schmuckstraße auf St. Pauli ein „Chinesenviertel“ entstand, samt sagenumwobenen „Opiumhöhlen“. Hätten die Nazis das Viertel in ihrem Rassenwahn nicht 1944 brutal geräumt, vielleicht hätte Hamburg heute noch eine Chinatown wie in London oder San Francisco.

Doch auch so entdeckte die Hansestadt den riesigen Markt im Reich der Mitte nach dem Krieg schnell wieder. Parallel zum Handel wurde auch der politische Austausch intensiviert und mündete 1986 in einer Städtepartnerschaft mit Shanghai. Regelmäßig reisen Bürgermeister und andere hochrangige Vertreter der Stadt nach China oder empfangen ihre chinesischen Partner hier. Auf Hamburg.de werden stolz die Fotos dazu präsentiert: Olaf Scholz 2014 mit Ministerpräsident Li Keqiang im Rathaus, Scholz mit Präsident Xi Jinping 2017 beim Gespräch am Rande des G20-Gipfels, Peter Tschentscher mit dem chinesischen Vizepräsidenten Wang Qishan 2019 vor einem Cosco-Schiff im Hamburger Hafen.

Scholz: „China soll Hamburg als zentralen Zugang nach Europa wahrnehmen“

Man ahnt, was die beiden damals besprachen. Ohnehin haben die Verantwortlichen in Hamburg selten verklausuliert, welche Interessen sie verfolgen. „China soll Hamburg als zentralen Zugang nach Europa wahrnehmen“, sagte Scholz 2011, als er erstmals als Bürgermeister nach Peking und Shanghai reiste. „Es geht auf solchen Reisen darum, ein Milieu zu schaffen, zum Beispiel für Investitionen.“

Die Erwartung, dass die enge Beziehung auch genutzt wird, um in heiklen Fragen Einfluss auf China zu nehmen, fand man im Rathaus immer überzogen. „Die Hamburger Haltung war immer: Wir kümmern uns um den Handel, die kritischen Themen sind Sache der Bundesregierung“, räumt ein Insider ein.

Wenn Kritik an China geübt wird, dann dezent und nicht bei offiziellen Anlässen

Was nicht bedeutet, dass Politiker aus der Hansestadt die Probleme in China nie thematisiert hätten, im Gegenteil. Aber wenn, dann taten sie es wohldosiert und an den eigenen Interessen ausgerichtet. So verkniff sich Scholz auf seiner China-Reise 2011 zwar bei offiziellen Treffen mit der Regierung und der Kommunistischen Partei weitgehend kritische Töne, weil die Gastgeber das als Affront verstanden hätten. Aber bei einem Vortrag vor Studenten in Peking forderte er ausdrücklich „die Achtung der Menschenrechte“ ein.

Ähnlich lief es bei Tschentschers erstem China-Besuch 2019. In den offiziellen Gesprächen werde er sich an die Sprachregelung der Bundesregierung halten, räumte er schon im Vorfeld ein. Aber hinter verschlossener Tür äußerte der Bürgermeister dann sehr wohl seine Sorgen, etwa über Chinas Vorgehen in Hongkong.

Prof. Straubhaar: Kritik wurde immer ein bisschen als „Nestbeschmutzung“ betrachtet

„Das Verhältnis Hamburgs zu China ist vor allem von wirtschaftlichen Beziehungen geprägt“, sagt Thomas Straubhaar, Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Uni Hamburg, im Gespräch mit dem Abendblatt. „Hamburg hat sich als immer als wichtigster Zugang Chinas nach Europa verstanden und umgekehrt als Tor der deutschen Wirtschaft nach China.“

Dass die Stadt diese Position genutzt hätte, um politisch Einfluss zu nehmen, hat der langjährige Direktor des früheren Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA, später HWWI) nicht beobachtet. In der Wirtschaft sei man „immer eher auf die kurzfristigen Vorteile ausgerichtet“ gewesen, so Straubhaar. „Wenn Kritik geäußert wurde, wurde das immer so ein bisschen als Nestbeschmutzung betrachtet. Niemand wollte das lukrative China-Geschäft gefährden.“

Cosco-Einstieg im Hafen: Wirtschaftsexperte findet Debatte „scheinheilig“

Die Kritik an Coscos Terminal-Beteiligung findet er dennoch „etwas scheinheilig“. Jahrzehnte sei das China-Geschäft als unproblematisch betrachtet worden, „aber jetzt will man plötzlich das Kind mit dem Bade ausschütten“. Dabei sei die deutsche Exportabhängigkeit „das viel größere Problem ist als eine chinesische Minderheitsbeteiligung am Hamburger Hafen“, so Straubhaar. Dennoch rate er Hamburg, sich wirtschaftlich stärker den USA zuzuwenden – die würden es nämlich nicht länger akzeptieren, dass Deutschland unter ihrem Schutz prächtig am China-Handel verdiene.

Ob man es erhört? Kommende Woche reist Olaf Scholz nach Peking. Und in Hamburg ist Ende November eine Woche lang „China Time“. Hauptthema: Klimawandel. Man darf gespannt sein, wie sehr das die Republik empört.