Hamburg. Wie der Volkswirt Prof. Thomas Straubhaar den Einstieg von Cosco im Hafen bewertet und was Hamburgs Verhältnis zu China prägt.

Der Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco im Hamburger Hafen erregt bundesweit die Gemüter. Obwohl es nur um eine Minderheitsbeteiligung am kleinsten Containerterminal geht, fürchten Kritiker einen zunehmenden Einfluss Chinas auf deutsche Infrastruktur.

Thomas Straubhaar, Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg und zuvor viele Jahre Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA, später HWWI), hält die Debatte für „scheinheilig“. Aber Kritik an China werde in Hamburg dennoch nicht gern gehört.

Hamburger Abendblatt: Herr Straubhaar, Hamburgs Verhältnis zu China ist bundesweit in aller Munde. Wie würden Sie die Beziehung beschreiben?

Prof. Thomas Straubhaar: Das Verhältnis Hamburgs zu China ist vor allem von wirtschaftlichen Beziehungen geprägt. Hamburg hat sich als immer als wichtigster Zugang Chinas nach Europa verstanden und umgekehrt als Tor der deutschen Wirtschaft nach China. Es gab aber auch auf anderen Ebenen einen intensiven Austausch und Kooperationen, etwa im Hochschulbereich. Die Beziehung leidet aber in den letzten Jahren durch den zunehmend aggressiveren Anspruch Chinas, sich neben den USA auf der Weltbühne zu positionieren und alle anderen Länder als kleinere Mitspieler abzudrängen.

War das bislang eine Beziehung auf Augenhöhe oder schon lange von den Chinesen diktiert?

Straubhaar: Nein, das war durchaus auf Augenhöhe – aber einer durch ökonomische Potenz und nicht politische Macht definierten Augenhöhe. In China gab es lange große Bewunderung für das extrem erfolgreiche, auf pünktliche und verlässliche Lieferung und Wartung technologisch führender und entsprechend hochwertiger Industriegüter und Fahrzeuge basierende Deutschland-Modell. Die Bundesrepublik hat auch einen entscheidenden Anteil am chinesischen Aufschwung, weil sie Hightech-Industrie – Investitionsgüter, Maschinen, Apparate, industrielle Prozesslösungen – also ein Top-Engineering – liefern konnte.

Wie können wir verhindern, dass die Chinesen auf uns herabschauen?

Straubhaar: In der Tat liegt in einer Wiederbelebung der deutschen Wirtschaftskraft eine Lösung für die aktuellen Turbulenzen: Hamburg und die deutsche Volkswirtschaft werden von China nur dann künftig ernst genommen, respektiert und auf Augenhöhe behandelt, wenn wir wirtschaftlich auch künftig eine herausragende Stellung in der Weltwirtschaft einnehmen. Eine führende Rolle Deutschlands ist jedoch vor allem bei den „3-D“ Bereichen Dienstleistung, Digitalisierung und Datenwirtschaft gefährdet. Anders als in der Industrie, bei der wir in den letzten 70 Jahren weltweit führend waren, was für die Chinesen entscheidend war, hinkt Deutschland bei den 3-D insbesondere den USA, aber auch Skandinavien in Europa, Korea oder Japan in Asien hinterher. Wenn wir nicht in Abhängigkeit geraten und ohnmächtig als manipulierbare Schachfigur im Kampf zwischen China und den USA um die Vorherrschaft in der Weltwirtschaft, im Cyberspace und bei Künstlicher Intelligenz behandelt werden wollen, müssen wir ökonomisch mächtig sein.

Was müssen wir dafür tun?

Straubhaar: Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu einem nachhaltigen, coolen, smarten, durch neue Technologien vorangetriebenen Wachstum. Also Verkauf von industrieller Hardware, führendem Engineering im Bereich der ökologischen Transformation und Prozessinnovation bei der Verknüpfung industrieller Kernkompetenz mit den „3-D“. Das ist mit Abstand der größte Beitrag, den Deutschland auch für den Schutz der Umwelt und gegen den Klimawandel leisten kann – weit mehr als durch Verbote und Verzicht.

Unsere Wirtschaft bräuchte dafür einen massiven Kulturwandel?

Straubhaar: Ja. Die letzten 70 Jahre wurde das deutsche Geschäftsmodell durch drei Pfeiler geprägt: Import billiger Energie aus Russland, Export nach China, und das alles unter dem Schutzschirm der USA, die für die militärische Sicherheit und den Multilateralismus des Welthandelssystems die Finanzierung übernahmen. Das ist vorbei: Wir bekommen keine Energie mehr aus Russland, der Export nach China wird zum gefährlichen Klumpenrisiko und die Amerikaner sind nicht mehr bereit, zuzusehen, wie Deutschland mit der Volksrepublik gute Geschäfte macht, während sie unsere Sicherheit garantieren. Es war Donald Trump, der das europäische Trittbrettfahren beendet hat, aber Joe Biden setzt es eins zu eins fort, wenn auch mit diplomatischeren Worten. Auch er sagt, dass wir uns entscheiden müssen: Entweder sind wir mit China gegen die USA oder mit den USA gegen China – ein sowohl als auch wie in der Vergangenheit wird es nicht mehr geben.

Was bedeutet das konkret für Hamburg?

Straubhaar: Hamburg wäre bei aller historisch gewachsenen Nähe zur Volksrepublik gut beraten, nicht zu vergessen, dass die transatlantischen Beziehungen für uns viel wichtiger sind. Deshalb ist es höchste Zeit für die Wiederbelebung und Stärkung einer Partnerschaft mit den USA nicht nur in militärischer, sondern auch in ökonomischer Dimension bei Handel, Investitionen und Innovation.

Wobei die Amerikaner auch weiter Geschäfte mit China machen. Viele große US-Konzerne lassen dort produzieren.

Straubhaar: Das ist richtig. Amerika importiert sehr viel aus China, und das macht ja auch Sinn und sollten auch wir weiterhin tun, weil in der Volksrepublik günstiger produziert wird. Aber der große Unterschied ist, dass immer dort Schluss ist, wo es um Hightech-Exporte aus den USA nach China geht und wenn die Datensicherheit gefährdet ist. Da hat Trump gegenüber China eine enge Grenze markiert und sich stattdessen auf Taiwan konzentriert.

Zurück nach Hamburg. Sie beobachten die hiesige Wirtschaft schon viele Jahre. Haben Sie je mitbekommen, dass die Stadt die Wirtschaftsbeziehungen zu China genutzt hat, um strittige Themen wie Menschenrechte anzusprechen?

Straubhaar: Für den Senat kann ich das nicht beurteilen. Was hinter verschlossenen Türen gesprochen wird, weiß ich nicht. In der Wirtschaft war man jedoch immer eher auf die kurzfristigen Vorteile ausgerichtet. Die Abhängigkeiten von China oder das Klumpenrisiko wurden viel zu lange negiert oder verdrängt. Wenn Kritik geäußert wurde, wurde das immer so ein bisschen als Nestbeschmutzung betrachtet. Niemand wollte das lukrative China-Geschäft gefährden, mit dem die deutsche Exportindustrie in den letzten 30 Jahren richtig viel Geld verdient hat. Das ging sogar so weit, dass man akzeptiert hat, dass deutsche Maschinen in China in ihre Einzelteile zerlegt, weitgehend kopiert und unter chinesischer Flagge für den chinesischen Markt hergestellt wurden.

Was bedeutet das nun für die Cosco-Beteiligung am Containerterminal Tollerort?

Straubhaar: Ich finde die Debatte etwas scheinheilig. Jahrzehnte hatte man überhaupt keine Probleme mit dem China-Geschäft und hat sogar jeden Mahner kritisch beäugt, weil man glaubte, das Kritik an der Volksrepublik das hoch profitable China-Business gefährdet. Aber jetzt will man plötzlich das Kind mit dem Bade ausschütten. Dabei hätten Themen wie Tibet, Hongkong oder Taiwan, Industriespionage und Wissensklau längst zuoberst auf die Agenda gehört. Dazu kommt, dass unsere Exportabhängigkeit das viel größere Problem ist als eine chinesische Minderheitsbeteiligung am Hamburger Hafen.

Wie verhindern wir, dass China diese Minderheitsbeteiligung nutzt, um Einfluss auf den Hamburger Hafen zu erlangen?

Straubhaar: Grundsätzlich gilt: Deutsche Investoren und auch Exporteure sind in China ziemlich schutzlos. Aber bei chinesischen Investitionen in Deutschland gilt deutsches Recht. Und damit können wir verhindern, dass sensible Daten oder Betriebsgeheimnisse abfließen oder Einfluss auf strategische Entscheidungen genommen wird, die deutschen Sicherheitsinteressen zuwiderlaufen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, die Verträge zwischen der HHLA und Cosco genau daraufhin zu überprüfen und jeden Missbrauch zu verhindern und wenn er doch passieren sollte streng zu bestrafen. Eine chinesische Investition in Deutschland gibt uns da sogar ein gewisses Drohpotenzial. Wenn China nicht fair spielt, wird es Sanktionen geben müssen. Verträge können auch rückgängig gemacht werden, bis hin zur Enteignung chinesischer Ansprüche an deutsche Firmen.