Hamburg. Vor 75 Jahren zerschlugen Gestapo und Polizei die chinesische Kolonie in Hamburg. Nur wenige kehrten später zurück.
Die Hong Kong Bar am Hamburger Berg ist ein eher unscheinbares Restaurant, das sich äußerlich kaum von anderen auf St. Pauli unterscheidet. Was viele Passanten und Besucher nicht wissen: Die Bar ist das letzte steinerne Relikt aus einer Zeit, als Hamburg beziehungsweise Altona noch ein richtiges Chinesenviertel hatte.
Dessen Geschichte endete vor 75 Jahren mit einem Gewaltakt: Am 13. Mai 1944 riegelten etwa 200 Beamte von Kriminal- und Ordnungspolizei unter dem Kommando der Gestapo die Gegend um die Schmuckstraße ab. Die Männer waren mit Maschinenpistolen bewaffnet, filzten diverse Wohnungen, Geschäfte, Kneipen und Restaurants. Alle Chinesen vor Ort wurden verhaftet, 129 von ihnen ins Untersuchungsgefängnis Holstenglacis gebracht und danach monatelang im Untersuchungsgefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert.
Wenige Jahre zuvor hätte vermutlich niemand mit einem solchen Fanal gerechnet. Denn St. Paulis Chinesen gehörten schon längere Zeit zum Kiez – ganz selbstverständlich, wie es schien. Das Viertel hatte sich seit den frühen 1920er-Jahren sukzessive zur Chinatown auf der Schnittstelle zwischen Hamburg und Altona entwickelt, in der immer mehr Chinesen heimisch wurden. Die meisten waren ehemalige Seeleute, die sich unweit des Hafens neue Existenzen aufbauten.
Ambivalentes Verhältnis
Schon seit dem Ende des Ersten Weltkriegs hatten Reedereien wie die Hapag und der Norddeutsche Lloyd zunehmend Arbeiter aus China beschäftigt – vor allem als Heizer und Kohlenschlepper. Einigen von ihnen gelang es später, sesshaft zu werden, manche machten sich sogar selbstständig. Die kleinen Läden, Wäschereien und Gaststätten lagen meist in den günstig zu mietenden Souterrains der Wohnhäuser, zentraler Punkt war die Schmuckstraße und ihre Umgebung.
Bevölkerung und Touristen hatten ein ambivalentes Verhältnis zu dieser – wie man heute sagen würde – Community. Manche fühlten sich vom exotischen Flair der Mini-Kolonie angezogen, anderen waren die Chinesen suspekt. In Hamburg machten Gerüchte von Opiumhöhlen, Glücksspiel, einer Chinesenmafia und einem geheimen Tunnelsystem unter den Häusern des Viertels die Runde, und immer mal wieder gab es Razzien in der Gegend.
Quellen belegen, dass die Chinesen bis in die frühen 1930er-Jahre als relativ gut assimilierte Bürger recht unbehelligt auf St. Pauli lebten. Einige hatten deutsche Ehefrauen oder Freundinnen, Konflikten mit Nachbarn gingen sie aus dem Weg. Die einst markanten langen Zöpfe hatten sich die meisten längst abschneiden lassen, und in der Freizeit trugen sie Anzüge wie andere Bürger auch. Die meisten Hamburger und Altonaer nahmen kaum Notiz von ihnen, und entsprechend dünn waren die Kenntnisse über diese Gruppe bis in unsere Tage.
Pakt mit den Alliierten?
Chen Chi Ling, ein Seemann aus Ningbo, war 1915 nach Hamburg gekommen und kümmerte sich im Auftrag des Norddeutschen Lloyds um Anwerbung und Betreuung chinesischer Seeleute. 1920 gründete er einen Matrosenclub, aus dem im Oktober 1929 der Chinesische Verein e. V. Hamburg hervorging; er existiert noch heute. Der Verein war auch federführend bei der Einrichtung eines chinesischen Gräberfelds auf dem Ohlsdorfer Friedhof, nördlich der Kapelle 13, wo zahlreiche Hamburger Chinesen ihre letzte Ruhe fanden.
Das alles änderte sich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Zum einen standen die Chinesen aus rassischen Gründen immer stärker unter Beobachtung, und Kontrollen und Razzien gehörten von 1936 an zur Tagesordnung. Zum anderen wurden sie nach Beginn des Zweiten Weltkriegs und insbesondere nach der Kriegserklärung Chinas an das Deutsche Reich (1941) verdächtigt, mit den Alliierten zu paktieren. Auch die später als solche bezeichnete „Chinesenaktion“ vom 13. Mai diente vordergründig dazu, angebliche Verräter zu identifizieren.
Wiedergutmachung wurde verwehrt
Doch obwohl sich kein Verdacht erhärten ließ, wurden mehr als 60 der Männer (andere Quellen sprechen von 80) im Untersuchungsgefängnis Fuhlsbüttel misshandelt und dann in das Arbeitslager „Langer Morgen“ in Wilhelmsburg deportiert. Manchen stand auch eine Odyssee durch mehrere Lager bevor. Mindestens 17 von ihnen überlebten Folter und Zwangsarbeit nicht, an zwei von ihnen, Chan Ho Bau und Liang Wong, wird heute auf dem Ohlsdorfer Gräberfeld Opfer verschiedener Nationen erinnert.
Haftentschädigung oder eine Wiedergutmachung wurden den Angehörigen später verwehrt. Die Begründung: Bei der Aktion habe es sich um „normales polizeiliches Vorgehen“ gehandelt, ein rassistisches Motiv sei dagegen nicht nachweisbar.
Letztes Zeugnis
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten nur wenige der Entrechteten nach Hamburg zurück. 30 Chinesen zählte man damals in der ganzen Stadt, die Zahl ihrer Restaurants war auf fünf geschrumpft. Unter denen, die nicht aufgaben, war auch Chong Tin Lam, der die Hong Kong Bar 1938 übernommen hatte und sie trotz des erlebten Unrechts wieder aufbaute.
Heute wird das Lokal samt Hotel von seiner Tochter Marietta Solty geführt. Die Bar mit dem markanten Schriftzug erinnert als letzte ihrer Art an Deutschlands einzige Chinatown, die vor 75 Jahren brutal zerschlagen wurde.