Hamburg. Senatsantwort auf Linken-Anfrage zeigt für 2022 erheblich mehr Landungen und Starts in Fuhlsbüttel nach 23 Uhr. Woran das liegt.
Am Montag war es mal wieder die Ryanair-Boeing 737 nach Palma de Mallorca, die extrem spät vom Flughafen Hamburg startete: 23.27 Uhr statt planmäßiger Abflugzeit um 21.40 Uhr. Plus der Ryanair-Flieger nach Dublin, der um 23.30 Uhr über Niendorf in die Wolken stieg. Etwa zur selben Zeit setzte die Boeing 757 der Condor mit der Flugnummer DE1441 aus Fuerteventura mit ihren Feriengästen auf der Landebahn 15/33 auf. Ein vergleichsweise ruhiger Abend am Helmut-Schmidt-Airport – und drei weitere laute Belege zu nachtschlafender Zeit für die Anwohner, die sich gegen den Fluglärm wehren.
Denn der hat erheblich zugenommen mit dem Auslaufen der Corona-Pandemie, dem Urlaubsdrang der Hamburgerinnen und Hamburger und der „Un-Sicherheit“ rund um die Abflug-Kontrollen, die Koffer und die Flugsicherung in Europa.
Flughafen Hamburg: Deutlich mehr verspätete Flüge
Nichts ist mehr, wie es zu Jahresbeginn war. Weder am Boden noch am Himmel. Auch der Ukraine-Krieg hat damit zu tun, dass 2022 als das Chaos-Jahr in die Hamburger Flughafen-Geschichte eingehen wird. 481 Flüge zwischen 23 Uhr abends und 6 Uhr morgens zählt eine Antwort des Senates auf eine Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Stephan Jersch für den Zeitraum von Ende Mai bis Ende August auf.
Das sind im Mittel knapp fünf Flüge pro Tag, die über die Schmerzgrenze hinausgehen. Die rund 100 in der Senatsantwort untersuchten Tage machen schon mehr als die Hälfte aller krachbegleiteten Nacht-Verspätungen aus 2019 aus. Von den 37 Flügen zwischen Mitternacht und 6 Uhr (wenn die „normale“ Startzeit wieder beginnt) waren in diesem Zeitraum 15 Linien- oder Chartermaschinen, 22 medizinische Hilfsflüge oder „hoheitliche“, also Polizei- und Militäreinsätze. Die Zahl der erwarteten 550 Verspätungen für ganz 2022 war bereits Mitte August erreicht.
Genehmigungen für Flugverkehr nach Mitternacht
Jersch, der umweltpolitische Sprecher der Linken, sagte: „So viele Landungen nach 23 Uhr sind mit einem Stadtflughafen und der Gesundheit der Bevölkerung unvereinbar. Selbst für Flugverkehr nach Mitternacht werden in Hamburg noch Genehmigungen erteilt. Das darf so nicht sein. Es ist, als wären die verschiedenen Pläne zur Fluglärmreduzierung an Corona gestorben.“
Im Jahr 2017 hatten sich der Flughafen und mehrere Airlines auf Maßnahmen zu mehr Pünktlichkeit geeinigt. Es hatte außerdem einen Luftverkehrsgipfel im Rathaus gegeben. Der Senat spricht in seiner Antwort auf die Linken-Anfrage jetzt von einer „außergewöhnlichen Gesamtsituation“ und hat damit sicher recht. So heißt es: „Die drei Hauptgründe für Verspätungen am Standort Hamburg waren rotationsbedingte Verspätungen (41 Prozent), Luftraumbeschränkungen (21 Prozent) sowie Verspätungen durch die Sicherheitskontrollen (sieben Prozent der Gesamtverspätungen). Innerhalb der Rotationsverspätungen sind beispielsweise auch Luftraumbeschränkungen an Vorflughäfen enthalten.“
Flughafen mit Anwohnern im Dialog
Diese „rotationsbedingten Verspätungen“ summieren sich im Laufe eines Tages, wenn beispielsweise eine Maschine morgens mit Verspätung aufgrund langsamer Sicherheitskontrollen startet. Am Ankunftsort kommt vielleicht schlechtes Wetter dazu, der Weiterflug wird verzögert. Das nächste Ziel wird verspätet erreicht. Und beim letzten „Umlauf“ hat vielleicht die Flugsicherung ein Problem, wie zuletzt über Frankreich, als Hunderte Maschinen Umwege flogen. Am Zielort abends zürnen dann die Flughafenanwohner wegen der nächtlichen Landung.
Der Flughafen erklärte auf Abendblatt-Nachfrage, man überprüfe regelmäßig auch einzelne Verspätungen und sei im Gespräch mit den Fluggesellschaften. „Die „Verwerfungen im gesamteuropäischen Luftverkehr“ schlügen sich auch in Hamburg nieder. Seit Jahren ist der Flughafen im Dialog mit den Anwohnern.
Besonders Billigflieger betroffen
Bei den Late-Night-Airlines stehen die Billigflieger im Fokus: Nach Senatsangaben haben im Untersuchungszeitraum Ryanair (42) und Easyjet (31) die meisten Starts nach 23 Uhr. Bei den (deutlich leiseren) Landungen sind Eurowings (190), Lufthansa (56) und Condor (52) vorne. Palma und London-Gatwick sind die Ziele für die meisten verspäteten Starts. Das deckt sich mit den Angaben, die unter anderem der Internet-Dienst Flightradar24.com liefert. Das Abendblatt hat zahlreiche verspätete Flüge in Hamburg über die Live-Daten dokumentiert.
Hier zeigt sich jedoch: Viele der tatsächlichen Spät-Starts tauchen in den Einzelausnahmen der Umweltbehörde (Lärmschutzbeauftragte) gar nicht auf. Der Linken-Abgeordnete Jersch sagte: „Die Ansprache dieser Airlines muss schneller und deutlicher erfolgen. Die bisherigen Regelungen reichen nicht. Das Kriterium, welche verspätete Landung ,unvermeidbar‘ ist, muss schärfer gefasst werden. Als ersten Schritt müssen alle Starts nach 23 Uhr für Linien- oder Tourismusflüge als vermeidbar eingestuft und nicht genehmigt werden. Das träfe vor allem zwei Billigflieger, die knapp 99 Prozent dieser Starts durchführten.“
Flughafen Hamburg: Auch Wetter zählt als Ausnahmegrund
Eine Ausnahme war ein Start des Emirates-Airbus A380 Mitte August nach Dubai. Der vierstrahlige Mega-Jet kam wegen eines Sandsturms schon mit Verspätung nach Hamburg und durfte um 0.24 Uhr über Norderstedt wieder Richtung Golf abheben. An Bord war offenbar auch ein Patient in medizinischer Notlage.
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In den 100 Tagen Stichprobe, für die der Senat Zahlen vorgelegt hat, haben Fluggesellschaften von vornherein 45-mal Ausnahmen für Starts oder Landungen zwischen 23 und 6 Uhr beantragt. 25 davon wurden genehmigt, 20 nicht. Elfmal konnte das Wetter als Grund herhalten, dreimal nicht. Sechs Ausnahmen wurden genehmigt, weil der Luftraum überlastet war. Viermal gab es die Starterlaubnis zur Lärmschutzzeit, weil die Sicherheitskontrolle am Flughafen gesperrt war. Manch Lärmquelle ist also hausgemacht.