Hamburg. Plattform des Hamburger Gründers David Meinertz bietet Arztbesuche im Internet auch für gesetzlich Versicherte – und expandiert.
Mit dem wachsenden Einfluss von Smartphones und Tablet-Computern für alle Fragen zur Gesundheit und beschleunigt durch die Corona-Pandemie ist ein neues Schwergewicht der Branche entstanden: Die vom Hamburger Unternehmer David Meinertz gegründete Online-Plattform Zava hat sich vom Spezialisten für Videosprechstunden zwischen Ärzten und Patienten zu einem europaweiten Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen entwickelt. Noch in diesem Jahr werden Ärzte ihre Telefon- oder Videosprechstunden mit Patienten über Zava abrechnen.
Bislang war es so, dass das mehrsprachige Team von Zava im Internet vor allem für Beratung in „Lifestyle-Fragen“ aufgesucht wurde, für Sexualthemen oder Rei-segesundheit. Dann kamen chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Asthma hinzu, schließlich der „normale“ Hausarztbesuch mit Erkältungsinfekten oder Bauchweh. Dabei kostete die Behandlung zwischen 9 und 49 Euro für Selbstzahler. Demnächst dürfte der Anteil der Kunden sinken, die die Kreditkarte zücken. „Zava wird an die ambulante Regelversorgung angebunden. Im Laufe des Jahres 2021 werden wir in Deutschland unsere Online-Sprechstunden für gesetzliche Ver-sicherte abrechenbar anbieten“, sagte Zava-Gründer und Vorstandschef Meinertz dem Hamburger Abendblatt.
Zava: Erst die App, jetzt Übernahme von Sprechstunde Online
Nach der Kooperation mit einem Apothekennetz und der Entwicklung einer App für verschiedene Facharztrichtungen hat Zava binnen Monaten zweimal groß dazugekauft. Erst kam in Medlanes ein Unternehmen dazu, das Zava-Patienten anbietet, nach einer Videosprechstunde bei Bedarf in eine Praxis zu kommen oder den Arzt zum Hausbesuch schickt. Die große Übernahme ist Zava jetzt mit Sprechstunde Online geglückt. Dahinter stehen 12.000 registrierte Ärzte und Therapeuten. Am Montag soll der Kauf offiziell verkündet werden.
Zava-Chef Meinertz sagte im Gespräch mit dem Abendblatt: „Wer eine Erkältung, einen Infekt hat oder nur ein Rezept braucht, der muss nicht zwingend physisch in die Praxis. Die Deutschen gehen im Durchschnitt zehnmal im Jahr zum Arzt. Früher dachte ich, vier bis fünf Termine davon ließen sich online machen. Jetzt denke ich: es sind bis zu sieben oder acht Termine im Jahr.“
Videosprechstunden führen zu weniger Arztbesuchen im Jahr
Was jahrelange Diskussionen um elektronische Gesundheitskarten, Patientenakten und Fernbehandlung nicht voranbrachten, hat Corona revolutioniert. Die Digitalisierung scheint nicht aufzuhalten. Dass ein Unternehmen mit Sitzen in London und Hamburg so expandieren kann, werden auch die Gesundheitsexperten von Google oder Amazon registrieren.
Deutschlands größte Krankenkasse, die Techniker, zählte auf ihrer eigenen Plattform für das zweite Quartal 2020 insgesamt fast 20.000 Videosprechstunden. Im letzten Quartal 2019 waren es 23. TK-Chef Jens Baas sagte zuletzt, dieser Trend gehe auch nach Corona weiter. Denn wer wolle sich bei einer Erkältung für eine Krankschreibung noch „stundenlang ins Wartezimmer“ setzen?
"Corona hat den Blick auf die Telemedizin geschärft"
Patienten trauen sich bisweilen nicht in die Praxis. Auch Ärzte haben Sorge, sich mit Corona zu infizieren. Doch das allein ist es nicht, sagt Meinertz. „Die Corona-Pandemie hat den Blick auf die Telemedizin geschärft. Das Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten sowie den Krankenkassen hat sich durch Corona grundlegend verändert. Viele Patienten und auch Ärzte erfahren gerade, was online möglich ist.“ Zava sei zuletzt um 40 Prozent gewachsen, „aber nur ein kleiner Teil davon ist auf Corona zurückzuführen“.
Meinertz sagt: „Das macht die Medizin niederschwelliger. Es hat ja schon ohne Corona keinen Spaß gemacht, sich in ein Wartezimmer zu setzen. Jetzt kann man den Arzt online aufsuchen. Manchmal ist schon das Gespräch die beste Medizin. Wenn der Arzt online nicht weiterhelfen kann, vermitteln wir einen direkten Ter-min.“
Wie Skype, Zoom oder Facetime mit dem Arzt
Und bei Zava gibt es nach wie vor einen Trend zum Telefonat statt Videofonie. Allerdings sind auch bei den Bildschirmsprechstunden viele Patienten über 70 Jahre alt. „Sie können als Teil der Generation ,silver surfer‘ hervorragend mit Smartphone und Tablet umgehen.“ Wer Skype, Zoom oder Facetime mit der Familie nutzen könne, wolle das auch mit seinem Arzt.
Meinertz‘ Vater ist Prof. Thomas Meinertz (76), einer der bekanntesten Herzexperten Hamburgs und jahrelang als Klinikdirektor am UKE tätig. Auch er bietet über Zava Sprechstunden an, obwohl er nach wie vor bei Patienten in seiner Praxis „Hand anlegen“ muss.
200 Ärzte hat Zava derzeit unter Vertrag, nur aus Deutschland werden jeden Tag 500 Sprechstunden angefragt. Durch den Zukauf von Sprechstunde Online seien auch die Standards der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sowie die Maßstäbe der Datenschutzgrundverordnung berücksichtigt.
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Brexit und Corona – das beschleunigte den Umzug
Nach über 20 Jahren in London ist Zava-CEO Meinertz jetzt zurück in Hamburg. Brexit und Corona – das beschleunigte seinen Umzug mit der Familie. „Der Brexit hat uns als Unternehmen nicht direkt getroffen. Jetzt ist es so, dass ein englischer Arzt nur englische Patienten behandeln darf. Eine andere Möglichkeit bietet der Brexit-Vertrag nicht. Allerdings haben wir bereits Ärzte in Irland, die auch von dort im Rest Europas Sprechstunden anbieten. Zusätzlich unterhalten wir ein Büro in Deutschland.“
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Doch Meinertz schaut auch traurig auf das Vereinigte Königreich: „Großbritannien ist ärmer geworden. Es wird weniger verfügbares Einkommen da sein, weniger Geld für Dienstleistungen. Das Land ist schrecklich gebeutelt.“
Corona: Was Deutschland und England unterscheidet
Als Wanderer zwischen den europäischen Welten hat er einen geschärften Blick von außen auf die deutsche Situation in der Corona-Pandemie: „Gerade im Vergleich zu England und Boris Johnson schätze ich die Maßnahmen in Deutschland als strukturiert ein. Es wurde transparent kommuniziert, es gab einen klaren Plan. Von der Bundeskanzlerin bis zum Taxifahrer wurde im Großen und Ganzen sachich argumentiert, der Umgang war vertrauensvoll. Die Bundeskanzlerin erklärt das Warum der Maßnahmen und die Dimension der Corona-Pandemie und ihrer Folgen.“
Und nun könnten viele nicht verstehen, warum nicht mehr Impfstoff zur Verfügung steht. Meinertz meint: „Die Engländer haben das Impfen wie einen Marshall-Plan wahrgenommen, sie stehen natürlich auch mehr mit dem Rücken zur Wand.“