Hamburg. Patienten finden stellenweise keine Allgemeinmediziner mehr. Kassenärzte warnen vor Trend zu Medizinischen Versorgungszentren.
Es ist ein schleichender Trend seit Jahren, doch die Corona-Pandemie beschleunigt ihn: In Hamburg fehlen etliche Hausärzte. Patienten klagen in wachsenden, aber nicht zentralen Stadtteilen darüber, dass allgemeinmedizinische Praxen sie nicht aufnehmen. Die Kapazitätsgrenze ist bei vielen Niedergelassenen bereits überschritten.
Die Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Dr. Jana Husemann, sagte dem Abendblatt: „Es gibt einen immer höheren Bedarf an Hausärztinnen und Hausärzten in Hamburg. Corona verschärft diese Situation noch. Wir sehen, dass viele in Rente gehen, aber zu wenige nachkommen. Dabei sollte jeder Patient Kontakt zu einem Hausarzt haben.“ Nach einer Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ist jeder Dritte von 1321 Hausärzten bereits zwischen 60 und 89 Jahre alt. Bei den HNO-Ärzten ist es im Vergleich nur jeder Vierte, bei Gynäkologen ist das Bild ähnlich. Nur 2,3 Prozent der Hausärzte sind zwischen 30 und 39 Jahre alt. Andere Fachgruppen sind deutlich jünger.
Zu wenig Ärzte in Hamburg: Verunsicherung, wenn langjähriger Hausarzt Praxis schließt
Vor allem ältere Patienten und chronisch Kranke sind verunsichert, wenn ihr langjähriger Hausarzt seine Praxis schließt. Die KV bietet auf ihrer Internetseite einen Terminservice und verweist auf offene Sprechstunden für Menschen ohne festen Hausarzt. Allerdings sind freiwerdende Arztsitze in einigen Regionen immer schwieriger zu besetzen.
Diese Erfahrung machen Patienten, KV und die Stadt Hamburg gerade in Neugraben-Fischbek. „Gemeinsam mit dem Bezirk haben wir bereits eine Reihe von Initiativen gestartet“, sagte KV-Vorstandschef Walter Plassmann, „bislang ohne Erfolg.“ Die KV will Arztsitze selbst übernehmen und übergangsweise besetzen, ehe ein fester Nachfolger gefunden ist. Die Gesetzeslage ermögliche das momentan aber leider nicht.
Neue Medizinische Versorgungszentren "ferngesteuert"?
Einen weiteren Trend befeuern Unternehmen, die allerorten „Medizinische Versorgungszentren“ (MVZ) aufziehen und Allgemeinmediziner zur Anstellung mit guten Gehältern und flexiblen Arbeitszeiten locken. Avi Medical eröffnet im April drei Praxen mit mehreren Ärztinnen in Altona, Barmbek und Winterhude. Weitere folgen im Laufe des Jahres. „Das ist keine klassische Hausarztpraxis, wenn man sich deren Portfolio ansieht. Die sind aus München ferngesteuert“, sagte Plassmann.
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Hausärztin Husemann glaubt: „Das führt ebenfalls zu Unterversorgung. Hausbesuche bleiben auf der Strecke. Ein selbstständig Tätiger hängt sich mehr rein und arbeitet meistens mehr als ein angestellter Arzt. Das spüren Patienten ebenso wie die Flexibilität von Selbstständigen.“ Viele Medizinische Versorgungszentren suchten sich oft nur besonders lukrative Behandlungsfelder.