Hamburg. Linke: Ärmere Stadtteile sind eher unterversorgt. Laut Senat liegt die Quote für das gesamte Stadtgebiet aber deutlich über dem Soll.

„Alle rechtlichen Möglichkeiten werden ausgeschöpft, um die ambulante medizinische Versorgung entsprechend dem Bevölkerungswachstum auszubauen und in allen Stadtteilen eine gute Versorgung mit Kinder- und Hausärzten sicherzustellen.“ Das haben SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag im Juni 2020 vereinbart.

Aus der Antwort des Senats auf eine Große Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktion ergibt sich knapp eineinhalb Jahre später, dass einzelne Stadtteile unterversorgt oder gar nicht versorgt sind. Dabei ist eine soziale Schieflage festzustellen: Es sind eher Stadtteile mit geringeren Durchschnittseinkommen der Bevölkerung, in denen Ärzte und Ärztinnen fehlen.

Unterversorgung mit Hausärzten in den ärmeren Stadtteilen

Grundlage für die Berechnung des ärztlichen Versorgungsgrades ist die Bedarfsplanung des Gemeinsamen Bundesausschusses, in dem die Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen, Krankenhäuser und unabhängige Experten vertreten sind. Das Gremium einigt sich auf sogenannte Verhältniszahlen für alle ärztlichen Fachbereiche. Für Hausärzte gilt eine bundesweit einheitliche Verhältniszahl von 1609. Das heißt: Wenn in einer Planungsregion auf 1609 Einwohner ein Arzt oder eine Ärztin kommt, liegt die Versorgung bei 100 Prozent.

Aus der Senatsantwort auf die Linken-Anfrage ergibt sich, dass gerade Stadtteile mit einem hohen Anteil an SGBII-Empfängern und Kindern mit SGBII-Bezug unterversorgt sind oder dort ein solcher Schritt droht. Der Versorgungsgrad mit Hausärzten liegt in Jenfeld bei 75 Prozent, in Steilshoop bei 72 Prozent, in Dulsberg lediglich bei 47 Prozent, in Eidelstedt bei knapp 62 Prozent und in Neuallermöhe bei 54 Prozent. Besser sieht es in Wilhelmsburg (109 Prozent), Billstedt (101 Prozent) und auf der Veddel (92 Prozent) aus.

Auch Kinder- und Frauenärzte fehlen in mehreren Stadtteilen

Noch deutlicher ist die Lage bei den Kinderärzten, für die in Hamburg eine Verhältniszahl von 2043 gilt. In Billstedt liegt der Versorgungsgrad bei nur 29 Prozent, in Wilhelmsburg und Jenfeld bei 56 Prozent und in Steilshoop bei 50 Prozent. Auf der Veddel und in Dulsberg gibt es keinen Kinderarzt.

Das gleiche Ergebnis zeigt der Blick auf die Frauenärzte, für die in Hamburg eine Verhältniszahl von 3853 gilt: In Billstedt liegt der Versorgungsgrad bei 62 Prozent, in Wilhelmsburg bei 17 Prozent, in Jenfeld bei 66 Prozent und in Dulsberg bei 45 Prozent. Auf der Veddel und in Steilshoop, wo rund 10.140 Frauen leben, gibt es keine Frauenärztin.

Manche „wohlhabenden“ Stadtteile gelten als überversorgt

Auf der anderen Seite sind „wohlhabende“ Stadtteile sehr gut versorgt. So gelten Blankenese mit 224 Prozent, Ro­therbaum mit 161 Prozent und Volksdorf mit 173 Prozent als überversorgt. Aber es gibt auch Ausnahmen: In Lemsahl-Mellingstedt liegt der Versorgungsgrad bei lediglich 46 Prozent und in Nienstedten bei 45 Prozent. In Wohldorf-Ohlstedt gibt es keine Hausarzt-Praxis.

Auch wenn das Bild nicht einheitlich ist, erkennt Deniz Celik, der gesundheitspolitische Sprecher der Linken-Fraktion, eine klare Tendenz. „Der Zusammenhang von Einkommen und Gesundheit ist unbestritten und hat sich in der Pandemie einmal mehr gezeigt. Dass ausgerechnet ärmere Stadtteile eher unterversorgt und reichere eher überversorgt sind, verstärkt das Problem zusätzlich und ist skandalös“, sagt Celik.

Hamburg wird als einheitliches Planungsbebiet betrachtet

Die medizinische Versorgung dürfe nicht vom Wohnort oder vom sozialen Status abhängen. „Deshalb verlangen wir vom Senat, dass er endlich die politische Initiative ergreift, damit in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen zusätzliche Haus- und vor allem Kinderarztpraxen in unterversorgten Stadtteilen entstehen. Das kann zum Beispiel über finanzielle Anreize entstehen“, sagt Celik.

Der Senat weist darauf hin, dass Hamburg nach der Bedarfsplanungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses als ein einheitliches Planungsgebiet für die Ärzteversorgung betrachtet wird. „Für die Stadtteile gibt es keine vorgeschriebenen Quoten für die verschiedenen Fachrichtungen“, heißt es in der Senatsantwort. Und weiter: „Nach der Bedarfsplanungsrichtlinie ist Hamburg für alle Fachrichtungen überversorgt (über 110 Prozent), mit Ausnahme der Frauenärzte (109,5 Prozent) und der Kinder- und Jugendärzte (108,8 Prozent).“ Für die Hausärzte wird ein Versorgungsgrad von 112,7 Prozent für das gesamte Stadtgebiet angegeben.

KV: Sehr gute Vollversorgung in allen Fachgruppen

„Soweit in einigen Stadtteilen keine oder wenige hausärztliche Praxen vorhanden sind, kann eine Mitversorgung in nahe gelegenen Stadtteilen erfolgen“, schreibt der Senat. „Wer in Hamburg lebt, profitiert von der großen Zahl an niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten aller Fachrichtungen, die in unserer Me­tropole auch gut erreichbar sind“, sagt auch Anja Segert, Sprecherin der Sozialbehörde, fügt aber hinzu: „Die haus- und kinderärztliche Versorgung ist aber noch stärker eine Versorgung der kurzen Wege. Und da erleben es die Bürger in ihren Stadtteilen sehr unterschiedlich, ob sie zeitnah einen Arzttermin bekommen oder nicht.“

Für Planung und Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung ist die nicht weisungsgebundene Kassenärztliche Vereinigung (KV) zuständig. Die Sozialbehörde berät lediglich. „Alle Fachgruppen liegen in Hamburg statistisch gesehen im Bereich der sehr guten Vollversorgung oder der Überversorgung“, sagt KV-Sprecher Jochen Kriens. Die Praxen verteilten sich insgesamt gut.

Hausarztpraxen in Finkenwerder und Harburg wegen fehlender Nachfolger geschlossen

„Ganz aktuell sind wir mit dem Problem konfrontiert, dass in Harburg und auf Finkenwerder Hausarztpraxen geschlossen werden, ohne dass ein Nachfolger gesucht oder gefunden wurde. Dadurch entstehen punktuell Pro­bleme“, sagt Kriens. Die KV prüfe, welche Möglichkeiten es gebe, um gegebenenfalls vorübergehend die hausärztliche Versorgung sicherzustellen. Ein Weg sei, dass die KV selbst Zulassungen übernehme, um sie mit angestellten Ärzten zu besetzen. Dazu sei eine Gesetzesänderung nötig.