Hamburg. Weniger neue Infektionen seit drei Tagen, doch der Senat sieht noch keine Trendwende. Opposition fordert Debatte über Lockerungen.

Es ist wie der bange Blick auf eine Fieberkurve: Steigt die Temperatur weiter? Oder fällt sie endlich? Seit Tagen starren Politik, Wirtschaft und viele Bürgerinnen und Bürger in Hamburg auf die Corona-Infektionszahlen und fragen sich: Ist der Scheitelpunkt der Omikron-Welle endlich erreicht? Ist mal Schluss mit Tausenden Neuinfektionen täglich? Dass das schon lange nicht mehr der entscheidende Indikator ist, hat sich zwar inzwischen herumgesprochen. Aber dennoch gilt: Bei steigenden Zahlen sind Lockerungen kein Thema – bei fallenden könnte man zumindest mal darüber debattieren.

Und genau diesen Punkt erreicht Hamburg jetzt: Den dritten Tag in Folge gingen die Infektionszahlen am Dienstag zurück: Mit 5409 neuen Fällen wurden 1254 weniger registriert als eine Woche zuvor. Die Inzidenz, die die Zahl der Ansteckungen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen angibt, sank von 2104,8 auf 2038,9.

Corona Hamburg: Senat sieht keine Trendwende

Und so überraschte es nicht, dass einige Experten die „Trendwende“ ausriefen und andere bereits eine Diskussion über Lockerung der Corona-Maßnahmen forderten. Doch der Senat wollte davon noch nichts wissen. „Für die Einschätzung einer Trendwende ist es noch zu früh“, sagte Senatssprecher Marcel Schweitzer auf der Landespressekonferenz. Drei Tage reichten dafür nicht aus. Auf die Frage, ab welchem Punkt man denn von einer Trendumkehr sprechen würde, betonte er, dass dafür nicht ein einziger Indikator entscheidend sei, sondern die „Gesamtsituation“.

Die sieht derzeit so aus: Die Zahl der neuen Fälle sinkt, die Hospitalisierungsquote (gibt die Anzahl der aufgenommenen Patienten mit Covid-19 pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen an) ist in Hamburg gegenüber der Vorwoche von 6,86 auf 5,45 zurückgegangen, der R-Wert (so viele Mitmenschen steckt ein Infizierter an) ist von Dienstag zu Sonnabend (neuere Werte gab es nicht) von 1,26 auf 1,1 gesunken, und größere Personalausfälle werden derzeit nicht vermeldet.

„Hamburg nähert sich dem Wendepunkt“

In den Krankenhäusern ist die Lage relativ stabil: Dort werden nach Senatsangaben 530 Covid-Patienten behandelt (drei weniger als am Vortag), 81 von ihnen auf Intensivstationen (plus sechs). Das aktuellere Register der Divi verzeichnete am Dienstagabend für Hamburg nur 74 Intensivpatienten. Die Zahl der Todesfälle stieg um drei auf 2136.

„Hamburg nähert sich dem Wendepunkt“, sagte Prof. Johannes Knobloch. Der Mikrobiologe und Leiter der Krankenhaushygiene am UKE verwies darauf, dass die Omikron-Welle den Norden früher als andere Bundesländer erreicht habe. Deshalb gingen auch die Zahlen eher zurück als im Bundestrend.

PCR-Tests weiterhin zum Großteil positiv

Der Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung, Walter Plassmann, kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Die Inanspruchnahme des Arztrufes 116 117, den Infizierte nach einem positiven Schnelltest oft anrufen, sei in den vergangenen Tagen dramatisch zurückgegangen. „In der gesamten Corona-Zeit lag Hamburg irgendwie immer vor der Welle“, so Plassmann.

„Insofern kann ich der Aussage von einer Wende in meinem laienhaften Verständnis nur zustimmen.“ Bei den Ergebnissen aus dem Arztruf 116 117 ist dagegen eine Wende bei den Neuinfektionen noch nicht erkennbar. Die PCR-Tests, die von den mobilen Ärzten genommen werden, sind weiterhin jeden Tag in bis zu 70 Prozent der Fälle positiv. Allerdings gibt es hier auch keinen stark steigenden Trend wie im gesamten Bundesgebiet.

Hospitalisierungsrate entscheidendes Kriterium

Während der Senat eine Debatte über mögliche Lockerungen noch ablehnt (Schweitzer: „Ich möchte keine Fragen im Konjunktiv beantworten.“), ist sie im Parlament bereits angekommen. „Für eine Entwarnung ist es noch viel zu früh, insbesondere da die Zahlen aufgrund der dauerhaften Überlastung der Gesundheitsämter und der Testlabore das tatsächliche Infektionsgeschehen gegenwärtig nur noch bedingt abbilden“, pflichtet CDU-Fraktionschef Dennis Thering dem rot-grünen Senat zwar bei.

Aber da statt des Inzidenzwerts inzwischen die Hospitalisierungsrate das entscheidende Kriterium sei und die in Hamburg „derzeit in einem überschaubaren Bereich“ liege, „sollte man die Phase jetzt nutzen, um tragfähige Öffnungsperspektiven zu entwickeln“, so der Oppositionsführer.

Nutzung der Luca-App wird aufgehoben

„Eine breite Debatte ist jetzt notwendig“, sagte Thering. Bund und Länder müssten sich abstimmen und „ein Wirrwarr aus verschiedensten Öffnungsschritten“ verhindern. Er erwarte von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), „dass er endlich aus seiner Versenkung auftaucht und gemeinsam mit den Ministerpräsidenten hier die notwendigen Perspektiven aufzeigt“. Noch deutlicher wurde die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein: Sie kritisierte, dass der Senat über die „dringend überfälligen Öffnungen für Gastronomie, Kultur- und Sportstätten“ erneut nicht entschieden habe – „obwohl das bei 2G oder 2G plus von Dänemark bis Bayern längst geschieht“.

Entschieden hat der Senat bereits, dass Hamburg die Luca-App vorerst nicht mehr nutzt. Von Sonnabend an entfällt etwa in Restaurants die Pflicht, die Gäste darüber einchecken zu lassen. Dies sollte eine Kontaktnachverfolgung ermöglichen – die findet aber kaum noch statt.

Dass der Senat die Verpflichtung von Gastronomie und anderen Einrichtungen zur Nutzung der Luca-App erst vom kommenden Sonnabend an aufhebe, obwohl diese zur Kontaktverfolgung gar nicht mehr genutzt werde, erboste Treuenfels-Frowein ebenfalls: „Das anhaltende Zögern, Zaudern und Vernebeln von Rot-Grün in Sachen Corona ist eine Zumutung für die Hamburger.“

„Der Peak beim Impfen ist überschritten“

Während über die mögliche Trendumkehr bei den Infektionen noch gestritten wird, sehen Mediziner einen anderen Höhepunkt erreicht: den der Impfkampagne. „Der Peak beim Impfen ist überschritten“, sagte die Vorsitzende des Hausärzteverbands, Dr. Jana Husemann, dem Abendblatt. Die Nachfrage nach einer Immunisierung oder Boosterung werde sinken. Auch bei den städtischen Impfangeboten seien viele Termine frei – Senatssprecher Schweitzer bestätigte das. Husemann hält es nicht für sinnvoll, dass jetzt auch Zahnärzte oder Apotheker das Impfen begännen.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Die niedergelassenen Ärzte haben in Hamburg das Gros aller Corona-Impfungen bestritten. Nach Zahlen der KV, die dem Abendblatt vorliegen, haben Praxisärzte (seit April 2021) 1,857 Millionen Impfungen verabreicht. Im Impfzentrum in den Messehallen plus den städtischen Angeboten waren es mit Stand Ende Januar 1,780 Millionen Spritzen – davon entfielen allein 1,1 Millionen Impfungen auf das Impfzentrum, das die KV im Auftrag der Stadt betrieben hatte. Betriebsärzte haben 174.258 Impfungen gegeben.

Corona Hamburg: Booster-Kampagne stagniert

Auch die Booster-Kampagne kann aktuell nicht in gewohntem Tempo weitergehen. Der Grund ist, dass aufgrund der vielen Infizierten diese sich bis zur nächsten Auffrischung noch gedulden müssen. Die Impfquote in Hamburg (vollständig geimpft) beträgt nach Zahlen des Robert-Koch-Institutes (RKI) 79,5 Prozent, deutlich über dem Bundesdurchschnitt (74,0). Geboostert ist inzwischen mehr als jeder Zweite (51,3 Prozent). Bundesweit sind es 53,0 Prozent.