Hamburg. An einer Grundschule tun sich die Kinder schwer, alle Regeln einzuhalten. Die Hygienevorschriften der Behörde treffen auf die Realität.
Manchmal kann Lehrerin Claudia Schröder gar nicht so schnell schauen, wie ihre Schüler durcheinanderwuseln. Eben noch hat die 49-Jährige ihre Klasse einigermaßen geordnet auf den vorgesehenen Teil des Pausenhofs geführt und die Kinder zum wiederholten Mal ermahnt, nicht zu den Spielgeräten auf der anderen Seite zu laufen, da entdeckt eine Drittklässlerin ihren frisch eingeschulten Bruder weiter hinten auf dem Hof.
Lehrerinnen berichten vom Corona-Alltag an Grundschule
Sie entwischt, um ihn kurz zu begrüßen. Während Claudia Schröder noch dabei ist, sie zurückzurufen, holen die übrigen Kinder ihre Trinkflaschen heraus. Es ist heiß. Ein Junge hat keine Flasche dabei, dafür aber großen Durst. „Hier, nimm einen Schluck von mir“, offeriert eine Mitschülerin hilfsbereit. In Corona-Zeiten aus derselben Flasche trinken? Geht gar nicht. Schröder kann gerade noch einschreiten.
Eine Alltagsszene aus einer Grundschule in Hamburg, zehn Tage, nachdem die Schulen der Stadt wieder für alle Schüler geöffnet haben. Im Abendblatt schildert Lehrerin Claudia Schröder, wie ihr Tag unter den neuen Lernbedingungen aussieht. Das mag nicht repräsentativ sein, denn Schröders Grundschule liegt in einem sozial belasteten Stadtteil und ist von der Behörde mit dem niedrigsten Sozialindex (Kess 1) versehen. Die Schilderungen der 49-Jährigen, die eigentlich anders heißt, zeigen aber, wie das dicke Hygiene-Regelwerk der Behörde auf die Realität an den Schulen trifft.
Händewaschen für alle Schüler ist nicht umzusetzen
Morgens um kurz vor acht holen die Lehrer ihre Klassen am Eingang der Schule ab. Dort stehen bereits Kontrollposten, die die Kinder ermahnen, Abstand zu halten. Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte den Schulen freigestellt, unterschiedliche Anfangs- oder Pausenzeiten für die einzelnen Jahrgänge einzurichten, damit nicht zu viele Schüler aufeinandertreffen.
An Schröders Grundschule waren diese Überlegungen durchgespielt, aber verworfen worden. „Die Fachlehrer müssen ja in unterschiedlichen Stufen unterrichten, da klappt das nicht“, sagt Schröder. So also stellen sich alle Kinder in der Frühe am Haupttor zu ihren jeweiligen Klassen. „Und das klappt erstaunlich gut“, erzählt Schröder. Was man von den Eltern nicht sagen kann, die ihre Kinder abliefern: Sie stehen im Pulk eng zusammen – meist ohne Masken – und klönen.
Dann geht es für die Grundschüler nacheinander gruppenweise in ihre Klassen. Händewaschen für alle ist nicht umzusetzen. „Das würde locker eine halbe Stunde dauern, und wir sind gehalten, die Stundentafel umzusetzen“, sagt Schröder. Und auf etwa zwei Klassen kommt an dieser Schule ein Waschbecken. Also Desinfektionsmittel benutzen. Die stehen in allen Klassenräumen bereit – wenn die Spender nicht gerade leer sind.
„Im Unterricht funktionieren die Regeln recht gut“
Sitzen alle Kinder im der Klasse, geht es los. Schröder nimmt ihr Visier ab. „Im Unterricht funktionieren die Regeln recht gut“, berichtet die Lehrerin, auch wenn sich in vielen Klassenräumen einzelne Fenster nicht öffnen ließen – Querlüften ist dann nicht möglich. Die Kinder brauchen keinen Abstand zu halten. Auch Gruppenarbeit ist erlaubt.
Coronavirus – die Fotos zur Krise
Zum Schulstart hatte die Schule bei allen Schülern abgefragt, ob sie in den letzten 14 Tagen in einem Corona-Risikogebiet gewesen seien. Die Eltern mussten entsprechende Erklärungen unterschreiben. „Bei zwei oder drei Schülern stellte sich im Nachhinein zufällig heraus, dass sie doch in einem Risikogebiet gewesen waren – meist in der Türkei“, erzählt Schröder. Eine Schülerin berichtete beiläufig, sie habe Besuch von der Familie aus Pakistan gehabt.
Inklusionskinder sind mit den Corona-Regeln oft überfordert
Zur Pause werden die Kinder klassenweise von dem Lehrer, der sie zuletzt unterrichtet hat, zu ihrem Areal auf dem Schulhof geführt. Der Lehrer der folgenden Stunde holt sie dort nach der Pause ab. Die Jahrgänge sollen Abstand halten. „So weit die Theorie“, sagt Schröder. Die einen rennen vor, die anderen bleiben zurück. „Ich habe es noch nicht einmal geschafft, die Kinder auf den Schulhof zu bringen, ohne dass sie auf einen anderen Jahrgang gestoßen wären“, sagt die Lehrerin.
Das mag auch damit zu tun haben, dass an Schröders Schule zwei bis drei Inklusionskinder in jeder Klasse sind – oftmals Schüler, die schon unter normalen Bedingungen Schwierigkeiten haben, sich und ihr Verhalten zu steuern. Mit den Corona-Regeln sind viele überfordert. So hat die Lehrerin zuletzt wiederholt erlebt, dass Schüler einander anspuckten. „Das geht gar nicht“, sagt sie. Als ein Schüler wiederholt auffällig war, wollte sie ihn von den Eltern abholen lassen. Doch die waren nicht erreichbar.
Corona-Regeln an Hamburgs Schulen (Stand: 3. August):
- Maskenpflicht an weiterführenden Schulen für alle Beteiligten, ausgenommen im Unterricht
- Schüler und Beschäftigte müssen grundsätzlich den Mindestabstand einhalten
- Schulen müssen eine entsprechende Wegführung und feste Areale auf den Pausenhöfen organisieren
- Während des Unterrichts gilt die Abstandspflicht nicht
- In besonderen Fällen können Schüler verschiedener Klassen miteinander lernen, etwa in Oberstufen- oder Wahlpflichtkursen
- Schüler verschiedener Jahrgangsstufen müssen weiterhin untereinander den Mindestabstand einhalten
- In Sport, Schwimmen, Musik und Theater sind große Abstandsregeln einzuhalten und Körperkontakte zu vermeiden
- Schüler und Beschäftigte mit besonderen gesundheitlichen Risiken können sich per Attest vom Präsenzunterricht befreien lassen
- Kranke Schüler sowie Urlaubsrückkehrer aus Risikogebieten, die keinen negativen Test vorweisen können und noch nicht in Quarantäne waren, werden umgehend nach Hause geschickt und dürfen die Schule vorerst nicht betreten
- Bei Fernunterricht muss die Schule wöchentlich Telefongespräche mit den Schülern organisieren und den Austausch von Arbeitsbögen, Arbeitshefte, Bücher und handschriftlicher Arbeiten garantieren
- Schulen müssen bis zu den Herbstferien in jeder Woche den vollständigen Unterricht erteilen
- Projektwochen, Ausflüge, auswärtige Besuche sowie weitere Schulaktivitäten sind bis zu den Herbstferien nur erlaubt, wenn sie nicht zu Lasten der regulären Unterrichtsstunden gehen
- Klassenreisen sind bis zu den Herbstferien untersagt
Mittags werden die Kinder jahrgangsweise nacheinander in die Kantine geführt. Jedes Kind hat 20 Minuten, um sich an der Theke ein Tablett füllen zu lassen und zu essen. Manche kommen mit der Zeit gut klar, die Erstklässler sind noch etwas überfordert. Nachmittags geht der Unterricht an zwei Tagen in der Woche weiter, sonst gibt es im Rahmen der Ganztagsbetreuung Kursangebote.
Kinder haben oftmals keine Symptome, aber dieselbe Viruslast wie Erwachsene
Derzeit sind an der Schule 37 Kinder krankgemeldet. Ob es sich um Corona-Symptome handelt, erfahren die Lehrer oft nicht. „Ich fühle mich als Infektionsstandsanzeiger benutzt“, sagt Schröder. Aus der Wissenschaft wisse man, dass Kinder oftmals keine Symptome haben, aber wohl dieselbe Viruslast wie Erwachsene. „Da kann man dann an der Erkrankung von Lehrern ablesen, ob irgendwo ein Infektionsgeschehen beginnt.“
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Schröder ist sehr froh, ihre Schüler wiederzusehen. „Wenn man sie nicht vor sich hat, bekommt man kein richtiges Gefühl dafür, ob sie mit dem Lernstoff klarkommen und wie es ihnen geht.“ Trotzdem ist sie skeptisch: „Weil innerhalb eines Jahrgangs kein Abstand gehalten werden muss, sendet ihnen das das falsche Signal – nämlich, dass sie vieles wieder dürfen.“ Auch wenn die Lehrer die Kinder immer wieder ermahnen: „Angesichts der totalen Öffnung der Schulen fühlt sich für die Schüler wieder alles normal an. Und deshalb verhalten sie sich auch oftmals wie vor der Pandemie – ohne Abstand und Vorsicht.“