Hamburg. In der aktuellen Stunde der Bürgerschaft muss Schulsenator Ties Rabe herbe Kritik einstecken – und gesteht Verbesserungsbedarf.
In der heftigen Diskussion über den richtigen Kurs bei der Rückkehr der Schulen in den Regelbetrieb in Corona-Zeiten spielen Sorgen und Ängste, aber auch Zahlen eine wichtige Rolle. Mit Letzteren versuchte es die Grünen-Abgeordnete Maryam Blumenthal in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft, zu der die CDU das Thema „Hamburg Spitzenreiter bei Corona-Neuinfektionen: Risikopatient Schule – was hat der Schulsenator die letzten fünf Monate gemacht?“ angemeldet hatte.
„Es gibt keine erkennbare Infektionshäufung an Schulen“, sagte Blumenthal. Seit dem Start des Schuljahres vor zwei Wochen seien 59 Schüler und Lehrer aus 41 Schulen infiziert worden. Bezogen nur auf die Werte der vergangenen sieben Tage bedeute das bei 285.000 Schülern und Schulbeschäftigten elf Neuinfizierte pro 100.000. „Zum Vergleich: Bei insgesamt 1,8 Millionen Einwohnern haben wir 181 Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen zu verzeichnen. Das entspricht einem Wert von 10,1 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohnern. Wenn Sie mich fragen, haben wir in der Schule gerade gar kein Problem. Das klingt überhaupt nicht nach Risikopatient Schule“, sagte Blumenthal.
Schulöffnung: Opposition wirft Rabe Versäumnisse vor
„Was passiert, wenn die Infektionszahlen wieder steigen? Es gibt kein konkretes Hygienekonzept für die Schulleitungen. Die Masken für die Lehrer sind noch immer nicht in allen Schulen angekommen, und Stoßlüftung ist bei Weitem nicht in jedem Klassenraum möglich“, konterte die CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver. Schulsenator Ties Rabe (SPD) habe auch keinen Plan B für die Gestaltung des Fernunterrichts vorgelegt, falls Schulen wieder ganz oder teilweise geschlossen werden müssten. „Das war eine grottenschlechte Vorbereitung, deswegen hat der Schulsenator jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem“, so Stöver.
Corona-Regeln an Hamburgs Schulen (Stand: 3. August):
- Maskenpflicht an weiterführenden Schulen für alle Beteiligten, ausgenommen im Unterricht
- Schüler und Beschäftigte müssen grundsätzlich den Mindestabstand einhalten
- Schulen müssen eine entsprechende Wegführung und feste Areale auf den Pausenhöfen organisieren
- Während des Unterrichts gilt die Abstandspflicht nicht
- In besonderen Fällen können Schüler verschiedener Klassen miteinander lernen, etwa in Oberstufen- oder Wahlpflichtkursen
- Schüler verschiedener Jahrgangsstufen müssen weiterhin untereinander den Mindestabstand einhalten
- In Sport, Schwimmen, Musik und Theater sind große Abstandsregeln einzuhalten und Körperkontakte zu vermeiden
- Schüler und Beschäftigte mit besonderen gesundheitlichen Risiken können sich per Attest vom Präsenzunterricht befreien lassen
- Kranke Schüler sowie Urlaubsrückkehrer aus Risikogebieten, die keinen negativen Test vorweisen können und noch nicht in Quarantäne waren, werden umgehend nach Hause geschickt und dürfen die Schule vorerst nicht betreten
- Bei Fernunterricht muss die Schule wöchentlich Telefongespräche mit den Schülern organisieren und den Austausch von Arbeitsbögen, Arbeitshefte, Bücher und handschriftlicher Arbeiten garantieren
- Schulen müssen bis zu den Herbstferien in jeder Woche den vollständigen Unterricht erteilen
- Projektwochen, Ausflüge, auswärtige Besuche sowie weitere Schulaktivitäten sind bis zu den Herbstferien nur erlaubt, wenn sie nicht zu Lasten der regulären Unterrichtsstunden gehen
- Klassenreisen sind bis zu den Herbstferien untersagt
„Fünf Monate hatte der Bildungssenator Zeit, die Wiederöffnung der Schulen vorzubereiten. Offenbar hat er den Begriff „Sommerpause“ wörtlich genommen: Weder gibt es genug Masken, noch sind Abstandskonzepte schulgenau mitgedacht oder digitale Strukturen endlich erneuert“, kritisierte auch die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein, die dem Schulsenator vorwarf: „Sie gefährden die Gesundheit von Schülern und Lehrern.“ Das Homeschooling habe die Defizite bei der Digitalisierung der Schulen aufgezeigt. „Lassen Sie Corona nicht zum Bildungskiller dieser Stadt werden“, sagte die FDP-Abgeordnete.
Rabe sieht Verbesserungsbedarf
s gehört nicht zu den größten Stärken des Schulsenators, Versäumnisse oder Fehler der eigenen Politik einzuräumen, insofern ließen zwei Sätze aufhorchen. „Wir muten dem System Schule in dieser Zeit einiges zu. Es muss eine Reaktionsgeschwindigkeit entwickeln, die außergewöhnlich schnell ist. Bei fast 600.000 Beteiligten lässt sich nicht ausschließen, dass es Fragen gibt“, sagte Rabe und ergänzte kurz darauf: „Es gibt Dinge, die noch besser laufen müssen.“ Was genau er meinte, sagte Rabe nicht. Dagegen betonte der SPD-Politiker, dass Hamburg beim Thema Digitalisierung bundesweit vorn liege, was die Anschaffung von 38.000 Laptops aus dem bundesweiten „Digitalpakt Schule“ angehe.
Die zurückhaltendste Rede der Opposition hielt ausgerechnet AfD-Fraktionschef Alexander Wolf. „Beim Thema Maskenpflicht gibt es kein eindeutiges Richtig oder Falsch. Eine Maskenpflicht im Unterricht kann es nur geben, wenn die Maßnahme verhältnismäßig ist“, sagte Wolf. Verhältnismäßig sei die Maskenpflicht nur dann, wenn andernfalls eine „ernsthafte Gesundheitsgefährdung“ bestehe. Davon könne aber angesichts einer Infektionsrate von 0,019 Prozent nicht die Rede sein. „Mein Appell ist: Behalten wir bei allen Vorwürfen stets die Verhältnismäßigkeit im Blick“, so Wolf.
Boeddinghaus: „Rabe spielt mit dem Feuer“
Auf Angriff geschaltet hatte Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. „Der Senator ist bereits mit der Kritik der Schulleitungen in die Sommerpause gegangen, er habe kein überzeugendes pädagogisches Konzept für Präsenz- und Fernunterricht vorgelegt und überziehe die Schulen ohne direkten Austausch mit immer neuen Anweisungen. Nun startet er mit derselben unerträglichen Ignoranz und Konzeptlosigkeit ins neue Schuljahr“, so Boeddinghaus. „Senator Rabe spielt mit dem Feuer“, sagte die Linke mit Blick auf die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, dass Kinder ähnlich empfänglich für Covid-19 seien wie Erwachsene. Es müsse jetzt darum gehen, Präsenz- und Fernunterricht zusammenzudenken. „Bildung kann auch jenseits des Stundenplans stattfinden. Schule ist nicht der einzige Lernort.“
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Rabe warf Boeddinghaus daraufhin „Verrat an Bildungsgerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit“ vor. „Ich will unbedingt vermeiden, dass es dauerhaft Fernunterricht gibt. Rund 20 Prozent der Kinder haben keinen eigenen Schreibtisch. Zu Hause lernen? 26 Prozent der Familien sprechen zu Hause nicht Deutsch. Wer hilft dann eigentlich zu Hause? Das wird die Bildungsungerechtigkeit immer stärker erweitern. Das ist nicht in Ordnung“, sagte Rabe unter starkem Beifall von rot-grüner Seite.