Hamburg. „Hinz & Kunzt“, Tafel, Spendenparlament, Hanseatic Help – in Hamburg tragen viele Ehrenamtliche zum Erfolg bei.
Manchmal sind es ganz kleine Ideen, aus denen Großes erwächst. In Hamburg gibt es eine Reihe von Beispielen, wie sich aus dem Einfall eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe große Hilfsprojekte mit dauerhaftem Erfolg entwickelt haben.
Eines der bekanntesten feierte im vergangenen Jahr seinen 25. Geburtstag – „Hinz & Kunzt“. Der damalige Leiter der Diakonie, Stephan Reimers, hatte im Sommer 1992 davon gelesen, dass in London die Zeitung „Big issue“ von Obdachlosen verkauft wurde. Obdachlose seien zu jener Zeit auch in Hamburg nicht zu übersehen gewesen, sagt er.
Sein Büro lag in der östlichen Innenstadt. „Wenn ich spätabends zum Hauptbahnhof ging, merkte ich, dass sich in fast jedem Hauseingang jemand zum Schlafen bereitmachte“, erinnert sich der 75-Jährige. Er habe dann mehrere Leute angesprochen, die fachlich versiert waren, so ein Zeitungsprojekt zu starten. „Von der Namenssuche bis zu den Inhalten musste man sehr vieles klären“, sagt Reimers. 20.000 Deutsche Mark gab die Diakonie als Startkapital, 50.000 D-Mark gab die Synode. Am 6. November 1993 erschien schließlich die erste Ausgabe mit einer Auflage von 30.000 Exemplaren, im Januar 1993 stieg die Auflage bereits auf 180.000 Stück, die ersten Obdachlosen konnten angestellt werden.
Hamburger sind hilfsbereit
Aus einer Leserbefragung, an der sich 2500 Menschen beteiligten, entstand schließlich das Spendenparlament. Viele hätten sich nicht nur zur Zeitung geäußert, sondern auch eigene Vorschläge eingebracht, wie man Obdachlosen helfen könne, sagt Reimers. „Wir hatten das Gefühl, dass es eine große Bereitschaft in der Stadt gibt zu helfen.“
Diese Bereitschaft nutzte der evangelische Theologe in jenen Jahren. Jeweils im November starteten neue Hilfsinitiativen: 1995 die Kirchenkaten, kleine Holzhäuser für Obdachlose, die auf Kirchengrundstücken aufgebaut wurden, und auch das Spendenparlament. „Das war meine einzige wirklich eigene Idee“, sagt Reimers bescheiden.
Über einen kleinen Aufruf im Abendblatt habe er damals Freiwillige gesucht. „Mit 50 Leuten haben wir dann eine Satzung erarbeitet“, sagt er. Inzwischen gebe es 3400 Spendenparlamentarier, die in drei öffentlichen Sitzungen pro Jahr über die Vergabe von Geld an Hilfsorganisationen und Initiativen entscheiden. Insgesamt seien bereits mehr als 1300 Projektanträge bewilligt und mehr als 13 Millionen Euro ausgezahlt worden, so Reimers, der Vorstandsvorsitzender des Vereins Aktion Sühnezeichen Friedensdienste ist.
Kampagne fürs Wohnen
Auch „Hinz & Kunzt“ ist eine feste Größe in der Stadt. Inzwischen arbeiten nach Angaben von Chefredakteurin Birgit Müller um die 550 Verkäufer für das Straßenmagazin. Die verkaufte Auflage lag 2018 bei 654.000 Exemplaren, dazu gab es seit dem Start mehr als ein Dutzend Sonderpublikationen, darunter Kochmagazine, mit Auflagen von 20.000 bis 30.000. Das Magazin hat 36 fest angestellte Mitarbeiter, die meisten arbeiten in Teilzeit, darunter sind 19 ehemalige „Hinz & Künztler“. „Sie arbeiten im Vertrieb, als Reinigungskräfte, als Stadtführer und in Schulen in der Öffentlichkeitsarbeit und bei unseren Kooperationsprojekten ,Spende dein Pfand‘ am Flughafen und bei den ,BrotRettern‘, einer Filiale, die wir zusammen mit der Bäckerei Junge betreiben“, so Müller.
Wie viele „Hinz & Künztler“ inzwischen eine Wohnung bekommen haben, sei statistisch nicht erfasst. Zwei Drittel hätten wieder eine gesicherte Unterkunft, was aber nicht gleichbedeutend mit einer Wohnung sei. In den ersten Jahren habe man 60 Obdachlose in eine Wohnung vermittelt, im vergangenen Jahr nur zehn, sagt Müller: „Es gibt eine wahnsinnige Konkurrenz um bezahlbare Wohnungen – für alle, aber besonders für Menschen in Not. Deswegen startet am Montag übrigens auch die Kampagne #einfachwohnen von Diakonie, Caritas, Stattbau und Mieter helfen Mietern.“ 2021 will „Hinz & Kunzt“ in ein eigenes Haus umziehen, in dem 24 Menschen in Wohngemeinschaften leben können.
Auch die Hamburger Tafel hat 1994 klein angefangen, auch hier hatte Reimers seine Finger im Spiel. Damals habe ihn ein Fernsehbeitrag inspiriert, auch in Hamburg eine Tafel zu gründen. Mit der Hamburgerin Annemarie Dose, deren Mann kurz zuvor gestorben war, war die richtige Person am Start, um das Projekt mit einer Handvoll Ehrenamtlicher zu beginnen.
Inzwischen ist aus der Tafel ein ausgefeiltes Logistikunternehmen geworden. „Wir haben vier Festangestellte und etwa 110 ehrenamtliche Helfer, mit denen wir planbar arbeiten“, sagt Julia Bauer vom Vorstand der Tafel. 360 Tage im Jahr ist die Tafel aktiv, „nur zwischen Weihnachten und Neujahr machen wir ein paar Tage Pause“, sagt das Vorstandsmitglied. Mehr als 40 Tonnen an gespendeten Lebensmitteln sammelten die Helfer pro Monat ein, an Wochenenden werden Sondertouren gefahren. „Pro Tag brauchen wir mindestens 35 Menschen, die helfen“, sagt Bauer. Am Vormittag werden die Spenden abgeholt, am Nachmittag verteilt – an die 27 Ausgabestellen in den Stadtteilen und an bis zu 70 soziale Einrichtungen.
Hanseatic Help entstand zu Beginn der Flüchtlingskrise
Die Initiative von Verbraucherschutzsenatorin Cornelia Prüfer-Storcks, die Supermärkte zu Spenden an Hilfsorganisationen verpflichten will, anstatt Lebensmittel wegzuwerfen, begrüßt man bei der Tafel, „das bedeutet aber auch, dass wir mehr ehrenamtliche Helfer brauchen, wir müssen aufstocken“, sagt Julia Bauer.
Ein kleiner Schritt dazu ist die Erweiterung des Fuhrparks. Die Karin und Walter Blüchert Gedächtnisstiftung hat der Tafel einen neuen Mercedes-Benz Sprinter (mit Kühlfunktion) gespendet, der in der Mercedes-Benz-Niederlassung Hamburg übergeben wird. Mats Regenbogen, 1. Vorsitzender der Tafel und Enkel von Annemarie Dose, wird ihn persönlich abholen. Es wird der 14. Transporter in der Flotte sein.
Hanseatic Help ist erst vier Jahre alt, aber ebenfalls aus dem Hilfesystem der Stadt nicht mehr wegzudenken. Im Sommer 2015, als Zehntausende Flüchtlinge nach Hamburg kamen, spendeten die Hamburger Kleidung, Schuhe und Hygieneartikel – in schier unüberschaubaren Mengen. In den Messehallen waren kurzfristig Flüchtlinge untergebracht worden, daneben wurde deshalb eine Kleiderkammer eingerichtet. „Viele Hamburger waren nur vorbeigekommen, um Spenden abzugeben, und wurden dann gebeten, mal kurz anzupacken“, sagt Claudia Meister, die Geschäftsführerin von Hanseatic Help. Schnell professionalisierte sich die Freiwilligeninitiative, mit Kreide wurden Lagerbereiche auf dem Hallenboden markiert.
Inzwischen hat die Institution eine 2300 Quadratmeter große Halle an der Großen Elbstraße und ein ausgefeiltes Warenwirtschaftssystem, sodass soziale Einrichtungen zielgenau Bestellungen aufgeben können, beispielsweise: Rock Größe 40, Bluse Größe 38.
Auf Spenden angewiesen
In der Halle werden die Spenden angenommen, sortiert, gelagert und gepackt. Claudia Meister betont, Hanseatic Help sei vor allem auch eine große Begegnungsstätte. Neben sieben Festangestellten seien rund 100 Ehrenamtliche regelmäßig im Einsatz, „darunter sind viele Geflüchtete“, sagt die Geschäftsführerin, außerdem seien die Helfer aus unterschiedlichen Generationen und Milieus. Schon seit fast von Beginn an werden die Hilfsgüter nicht nur an Flüchtlinge ausgegeben, sondern an alle Bedürftigen. Vor allem in Hamburg, sagt Meister, aber es wurden auch schon Containerladungen nach Syrien, Haiti oder in die Ukraine geschickt.
Der Verein wird von der Stadt gefördert, ist aber vor allem auf Spenden angewiesen. Zu den Dauerunterstützern gehört das Miniatur Wunderland, aber auch der Musiker Bosse, der bei seinen Konzerten schon Kapuzenpullis und Jogginghosen einsammelte, um sie an Bedürftige weitergeben zu können.